Recht

Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach § 116b SGB V: Das sollten Oberärzte wissen!

von RA, FA für MedR Dr. Tobias Scholl-Eickmann, Dortmund, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) ist eine ambulante Versorgungsform, die auch Oberärzten neue ambulante Behandlungsoptionen und ggf. zusätzliche Verdienstmöglichkeiten eröffnet. Generelles Merkmal der ASV ist ein interdisziplinäres Team, das bei bestimmten Erkrankungen bzw. Krankheitsbildern (z. B. Tuberkulose, onkologische Erkrankungen etc.) die Patientenversorgung wahrnimmt.

Der Rechtsrahmen bestimmt die Behandlungsmöglichkeit

Gerade bei der ambulanten Behandlung von Patienten im Krankenhaus ist der Oberarzt gut beraten, sich den jeweiligen Rechtsrahmen der Leistungserbringung zu verdeutlichen. So gilt im Rahmen der „Ermächtigungsambulanz“ der Grundsatz der höchstpersönlichen Leistungserbringung. Meistens ist nicht der Oberarzt, sondern der Chefarzt vom Zulassungsausschuss persönlich ermächtigt. Das hat zur Folge, dass der Oberarzt Patienten im Rahmen der Ermächtigung allenfalls bei Abwesenheit des Chefarztes wegen Urlaub oder Krankheit behandeln darf. Entsprechend ist auch die Unterzeichnung von Rezepten oder Arztbriefen verwehrt.

MERKE | Die vielfach aus der Praxis berichtete „laxe Handhabung“ sollte wohlüberlegt sein, denn sie ist sowohl für den Chef- als auch den Oberarzt nicht zuletzt strafrechtlich relevant. Anders verhält sich dies im Rahmen der sogenannten „Privatambulanz“ oder auch im Falle der ASV. Der Rechtsrahmen bestimmt daher die Behandlungsmöglichkeit.

 

Welche Patienten können in der ASV versorgt werden?

Der Sinn und Zweck der ASV besteht vor allem darin, schwer erkrankten Patienten bzw. Patienten mit seltenen Erkrankungen eine zentrale Anlaufstelle zu geben, damit eine Behandlung Hand in Hand und zentralisiert erfolgen kann. Die ASV ist für Patienten mit besonderen Krankheitsverläufen wie etwa onkologischen oder rheumatologischen Erkrankungen sowie bei schweren Verlaufsformen von HIV/Aids, Herzinsuffizienz (NYHA Stadium 3-4), Multipler Sklerose, Zerebralen Anfallsleiden (Epilepsie) etc. Der abschließende Katalog ist in § 116b Sozialgesetzbuch (SGB) V verankert.

Konkretisierungen durch den G-BA

Der Gesetzgeber hat es dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) übertragen, Näheres über die Behandlung der einzelnen Krankheitsbilder zu konkretisieren. Der G-BA erlässt daher sogenannte Konkretisierungen für die jeweiligen Krankheitsbilder, aus denen sich die personellen, sachlichen und strukturellen Vorgaben ergeben, die erfüllt werden müssen, um an der ASV teilnehmen zu können. Die Vorgaben sind umfassend. Der für den Oberarzt bedeutsame Kern lässt sich auf folgende Eckpunkte – beispielhaft für die aktuelle Konkretisierung der gynäkologischen Tumoren – zusammenfassen:

Diese Krankheitsbilder sind bereits konkretisiert

Die erfassten Krankheitsbilder werden vom G-BA durch ICD-10-Codes (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) vorgegeben.

  • Konkretisiert und somit einer Leistungsanzeige zugänglich sind derzeit die gastrointestinalen und die gynäkologischen Tumoren sowie bei den seltenen Erkrankungen die Tuberkulose/atypische Mykobakteriose, das Marfan-Syndrom und die pulmonale Hypertonie.
  • Die rheumatologischen Erkrankungen sind bereits konkretisiert, es fehlt indes noch die Genehmigung durch das Ministerium.
  • Für die weitere Umsetzung hat der G-BA einen Priorisierungsbeschluss gefasst, wonach zunächst die urologischen Tumore sowie die seltenen Lebererkrankungen vorrangig konkretisiert werden sollen.

Die erfassten Krankheitsbilder sind für gynäkologische Tumoren weit gefasst. Bei den Mammakarzinomen sind die ICD C50.0 bis C50.9 einschließlich der D05.1 (Karzinom in situ der Milchgänge) erfasst. Für die sonstigen gynäkologischen Tumoren reichen die erfassten Krankheitsbilder von Tumoren der peripheren Nerven des Beckens über Tumoren der Vulva und der Zervix bis zu bösartigen Neubildungen unklarer primärer Lokalisation.

Um die Besonderheiten bei gynäkologischen Tumoren zu berücksichtigen, wurden krankheitsspezifische Ergänzungen vorgenommen. Sie betreffen vor allem die Notwendigkeit einer multimodalen Therapie oder zytostatischen Systemtherapie in einem interdisziplinären Team. Nach dem Verständnis des G-BA heißt das: Es ist entweder als Primärtherapie oder als adjuvante/neoadjuvante Therapie eine systemische Therapie indiziert, die einer interdisziplinären bzw. komplexen Versorgung oder einer besonderen Expertise oder Ausstattung bedarf. Nicht ausreichend ist es, dass lediglich eine endokrine Therapie und/oder Strahlentherapie notwendig ist.

MERKE | Die Beschreibung der ASV-fähigen Krankheitsbilder ist jeweils ICD-10-Code-basiert festzustellen und je nach ASV-Krankheitsbild gesondert gefasst.

 

Behandlungsumfang bei gynäkologischen Tumoren

Die Behandlung in der ASV ist sehr weitgehend und umfasst auch Therapienebenwirkungen, Komplikationen sowie akute unerwünschte Behandlungsfolgen, sofern die Indikation gemäß Krankheitskonkretisierung fortbesteht. Sie beinhaltet jedoch nicht die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus und von Behandlungsspätfolgen wie etwa die durch Chemotherapie induzierten Neuropathien.

Teils wurden Leistungen in den Behandlungsumfang aufgenommen, die bislang nicht Bestandteil des EBM und somit im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung nicht abrechenbar sind (z. B. die PET- bzw. die PET/CT-Untersuchung bei Patientinnen mit Ovarialkarzinom im Rezidiv oder die spezifische Untersuchung mit Genexpressionsanalyse im Rahmen der Primärdiagnostik als Entscheidungshilfe im Einzelfall unter näher definierten Voraussetzungen).

Personelle Anforderungen/ASV-Team

Voraussetzung für die Teilnahme an der ASV ist die Gründung eines ASV-Teams. Dieses interdisziplinäre Team besteht aus einem Teamleiter, einem Kernteam sowie weiteren, (nur) im Einzelfall hinzuzuziehenden Fachärzten. Der Teamleiter ist zugleich Mitglied des Kernteams. Im Bereich der gynäkologischen Tumoren sind folgende Fachärzte für das Kernteam erforderlich:

  • Innere Medizin sowie Hämatologie und Onkologie
  • Strahlentherapie
  • Gynäkologie mit Schwerpunkt gynäkologische Onkologie oder Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (ohne Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie) mit der Zusatz-Weiterbildung „Medikamentöse Tumortherapie“, denen ihre KV bis zum 31.12.2015 eine Zulassung zur Teilnahme an der Onkologie-Vereinbarung erteilt hat

Als hinzuzuziehende Fachärzte kommen z. B. folgende Fachgebiete in Betracht: Anästhesiologie, Gefäßchirurgie, Humangenetik, Innere Medizin und Angiologie, Innere Medizin und Endokrinologie/Diabetologie, Innere Medizin und Gastroenterologie, Innere Medizin und Kardiologie, Innere Medizin und Nephrologie, Laboratoriumsmedizin, Neurologie, Nuklearmedizin, Psychiatrie und Psychotherapie, Radiologie, Urologie und Viszeralchirurgie.

Bei Fernmetastasen oder in benachbarte Organe eingewachsenen Tumoren sind – sofern eine Operation in Betracht kommt – je nach Lokalisation Fachärzte der jeweils betroffenen operativen Fachdisziplin einzubinden. Zudem muss ein Mitglied der in den personellen Anforderungen benannten Facharztgruppen über die Zusatzweiterbildung Palliativmedizin verfügen.

Muss eine sektorenübergreifende Kooperation vorliegen?

Die ASV ist auf eine interdisziplinäre Tätigkeit ausgerichtet. Eine sektorenübergreifende Kooperation zwischen stationären und niedergelassenen Leistungserbringern ist nur für onkologische Krankheitsbilder obligat. In der Praxis ergeben sich aber vielfach entweder über krankenhauseigene MVZ oder am Krankenhaus (auch) niedergelassene Fachrichtungen – etwa Strahlentherapeuten – die sektorübergreifenden Teams. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist die ASV keine isoliert den Krankenhäusern zustehende Option. Denkbar wären somit auch ASV-Teams, die maßgeblich aus Vertragsärzten bestehen.

Dokumentation

Gesonderte Mehrvorgaben für die Dokumentation bestehen nicht. Die Diagnose nach ICD-10-GM sowie das Zusatzkennzeichen zur Diagnosesicherheit sind anzugeben. Wegen des Leistungsanspruchs der Patienten mit intermediärem Rückfallrisiko bei Mammakarzinom sind neben dem TNM-Status der ER-Status und der Her2-Status zu dokumentieren.

Mindestmengen

Eine ASV-Zulassung ist regelhaft an bestimmte Mindestmengen gebunden, die im Rahmen des Anzeigeverfahrens dargelegt werden müssen. So muss das Kernteam (nicht der einzelne Arzt!) beim Mammakarzinom mindestens 250 Patienten der oben benannten Indikationsgruppen mit ICD-Code C50 mit gesicherter Diagnose behandeln. Für sonstige gynäkologische Tumoren muss ein Kernteam mindestens 60 Patienten der genannten Indikationsgruppen mit gesicherter Diagnose ICD-Codes C51 bis C58 behandeln.

Zusätzlich ist für alle onkologischen ASV-Entitäten eine arztbezogene Mindestmenge C- entsprechend den Vorgaben der Onkologie-Vereinbarung – zu erfüllen:

  • Mindestens ein Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie und Onkologie muss in den letzten 12 Monaten vor ASV-Antragstellung die Betreuung von durchschnittlich 120 Patienten mit soliden oder hämatologischen Neoplasien pro Quartal und Arzt nachweisen,
    • darunter 70 Patienten, die mit medikamentöser Tumortherapie behandelt werden, und
    • davon wiederum 30 Patienten mit intravenöser und/oder intrakavitärer und/oder intraläsionaler Behandlung.

  • Und/oder mindestens ein Facharzt einer anderen Arztgruppe des Kernteams muss in den letzten 12 Monaten vor ASV-Antragstellung die Betreuung von durchschnittlich 80 Patienten mit soliden Neoplasien pro Quartal und Arzt nachweisen,
    • darunter 60 Patienten, die mit antineoplastischer Therapie behandelt werden, und
    • davon wiederum 20 Patienten mit intravenöser und/oder intrakavitärer antineoplastischer und/oder intraläsionaler Behandlung.

Die Mindestmengen sind während der ASV laufend nachzuweisen. Im ersten Jahr der ASV-Berechtigung können sie um maximal 50 Prozent unterschritten werden. In den 12 Monaten vor Anzeige beim Erweiterten Landesausschuss als zuständige Institution sind die oben genannten Mengen zu mindestens 50 Prozent nachzuweisen.

So kommt der Patient in die ASV

Für die Teilnahme des Patienten an der ASV gibt es zwei mögliche Wege. Einerseits ist als Grundkonzept eine Überweisung durch den behandelnden Vertragsarzt (z. B. den Hausarzt) nötig, die nach zwei Quartalen erneuert werden muss und kann, sofern die Voraussetzungen für eine ASV-Behandlung weiterhin gegeben sind. Andererseits können Patienten aber auch aus dem stationären Bereich eines ASV-berechtigten Krankenhauses unmittelbar in die ASV übernommen werden. Dies ist ein von vielen ASV-Teams geschilderter großer Vorteil, da der Patient so unmittelbar in der Behandlung weitergeführt werden kann.

Abrechnung von Leistungen via Appendix

Die vollständige und abschließende Aufzählung der Leistungen sowie die Zuordnung zu den an der ASV beteiligten Facharztgruppen erfolgt im sogenannten Appendix. Soweit die Leistungen im EBM enthalten sind, werden die entsprechenden Gebührenordnungspositionen (GOP) abschließend aufgeführt. Die Leistungen außerhalb des EBM werden ergänzend benannt. Sie können vom Leistungserbringer unmittelbar mit den Kassen abgerechnet werden und sind „extrabudgetär“.

Wichtig | Trotz des Teamgedankens bleibt jeder Leistungserbringer (das Krankenhaus, das MVZ, der niedergelassene Arzt) autark und rechnet seine Leistung selbstständig ab.

Optionen durch die ASV für Oberärzte

Die ASV eröffnet Oberärzten einen sicheren Zugang zum ambulanten Sektor im Bereich der ASV-fähigen Krankheitsbilder. Die Leistungserbringung muss nicht – wie es vielfach in der Praxis geschieht – über Graubereiche wie „getriggerte Einweisungen“ oder gar „Vertretungen in der Ermächtigungsambulanz“ erfolgen. Auch die Einbindung nachgeordneter Assistenzärzte zu Ausbildungszwecken ist hier möglich, solange die leitenden Entscheidungen und Therapien durch den Facharzt erfolgen.

Wirtschaftlich lässt sich aus der ASV für den Oberarzt nicht unmittelbar Nutzen ziehen. Die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung erfasst regelhaft auch die Tätigkeit im Rahmen einer ASV. Gute Verhandlungsoptionen für einen Bonus bestehen aber vor allem dann, wenn der Oberarzt – wie häufig – über spezielle Weiterbildungen verfügt, die für die Umsetzung der ASV essenziell sind. Dies gilt etwa für Palliativmediziner oder auch für Endokrinologen. Gleichermaßen könnte auch die Bereitschaft zur Koordination und Umsetzung eines ASV-Projekts eine zusätzliche Entlohnung auslösen.

FAZIT | Der G-BA ebnet den betroffenen Patienten den Weg in eine Behandlung durch absolute Spezialisten in einem interdisziplinären Team. Die ASV bietet gerade in Zeiten restriktiver Handhabung von Ermächtigungen eine sichere ambulante Option, deren Nutzen im Einzelfall geprüft werden sollte. Aktuell sind mehrere Leistungserbringer mit der Umsetzung von ASV-Teams befasst. Die ASV wird kommen – und auch Oberärzte können davon profitieren.