Auch für grobe Fehler von Nachbehandlern wird gehaftet!

von FA für MedR Dr. Rainer Hellweg, Hannover

Wird aufgrund eines arztlichen Behandlungsfehlers ein Folgeeingriff erforderlich und passiert hierbei ein (erneuter) Kunstfehler, hat der erstbehandelnde Arzt auch für die dadurch verursachten Folgen zu haften. Dies gilt selbst dann, wenn der zweite Behandlungsfehler als grob einzustufen ist (Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Urteil vom 15.11.2016, Az. 26 U 37/14 ). 

Sachverhalt

In dem Fall des OLG Hamm ging es um eine Patientin, die wegen einer Magenanomalie in der Klinik operiert werden musste. Diese Operation sei mangels hinreichender Fixation des Magens fehlerhaft erfolgt – so der Vorwurf der Patientin. Es schloss sich ein Leidensweg mit zahlreichen Krankenhausaufenthalten und weiteren erforderlichen Operationen an. So mussten Fundusteile reseziert, der gastroösophageale Übergang erweitert, mehrere Magen(teil)resektionen sowie eine Bauchdecken- und Narbenrevision vorgenommen werden. Die Abschlussoperation beinhaltete schließlich eine Laparotomie, offene Adhäsiolyse, Aufhebung der Gastropexie sowie eine hintere untere Gastrojejunostomie nach Roux-Y.

All dies wäre ihr erspart geblieben, wenn die Erst-OP nicht mangelhaft gewesen wäre – so die Patientin. Sie forderte daher Schadenersatz und Schmerzensgeld für alle erlittenen Schäden sowie Beeinträchtigungen.

Entscheidungsgründe

Das OLG Hamm hob hervor, dass die Erstoperation (laparoskopische Gastropexie) eindeutig indiziert gewesen sei. Sie sei aber fehlerhaft durchgeführt worden. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige hatte festgestellt: Der Magen sei bei der Operation nicht in der richtigen Weise positioniert und befestigt worden. Aufgrund fehlerhaft gesetzter Nähte sei es erneut zu einem Abkippen und einer Verdrehung des Magens gekommen. Hätte der Operateur den höchsten Punkt des Fundus fixiert, so hätte nach der Operation eine erneute Abkippung vermieden werden können.

Zurechnung aller weiteren Schäden?

Somit stand fest, dass die erstbehandelnde Klinik – in der die Ursprungsoperation stattfand – haften muss. Die Frage war aber, ob sie wirklich für alle weiteren Schäden einzustehen hat. Das Krankenhaus hatte nämlich eingewandt, die zweite Operation (erste Revisionsoperation), die in einer anderen Klinik durchgeführt wurde, sei ebenfalls – sogar grob – behandlungsfehlerhaft gewesen. Daher seien alle nachfolgenden Beeinträchtigungen der zweitbehandelnden Klinik und nicht mehr dem Erstschädiger zuzurechnen.

Diesem Einwand erteilte das OLG Hamm jedoch eine klare Absage und bejahte die Kausalität. Die Argumentation des Gerichts: Wenn aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein weiterer Eingriff erforderlich sei, der dem Patienten bei korrektem medizinischem Vorgehen erspart geblieben wäre, habe der erstbehandelnde Arzt haftungsrechtlich für den weiteren Eingriff einzustehen. Dabei umfasse die Einstandspflicht regelmäßig auch die Folgen eines Fehlers des nachbehandelnden Arztes.

Zurechnung nur in Ausnahmefällen unterbrochen

Eine Unterbrechung des Zurechenbarkeitszusammenhangs (zugunsten des Erstschädigers) erachtete das Gericht nur ausnahmsweise in bestimmten Sonderfällen als diskutabel. Als beispielhafte Fallkonstellationen nannte es:

  • Wenn das Schadensrisiko der Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen sei, sich der Behandlungsfehler des Erstbehandelnden auf den weiteren Krankheitsverlauf also nicht mehr ausgewirkt habe
  • Wenn es um die Behandlung einer Krankheit gehe, die mit dem Anlass für die Erstbehandlung in keiner Beziehung stehe
  • Wenn der Zweitbehandler in so außergewöhnlich hohem Maße fehlerhaft gehandelt habe, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend allein zuzuordnen sei

Diese rechtlichen Leitsätze wendete das OLG Hamm auf den vorliegenden Sachverhalt an: Zwar sei die Revisionsoperation grob fehlerhaft durchgeführt worden, da der Magen im Rahmen dieser Operation schon wieder nicht richtig aufgehängt worden sei. Der Gerichtssachverständige befand das operative Vorgehen als medizinisch nicht nachvollziehbar. Das Gericht stufte die Revisionsoperation als grob, nicht aber als „besonders grob fehlerhaft“ ein. Das reiche nicht, um den Zurechnungszusammenhang zu unterbrechen. Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Die Revisionsoperation war nicht so „daneben“, dass dies den Erstschädiger entlassen könne.

Fazit: Folgen für Klinikärzte und Niedergelassene

Klinikärzte und auch Niedergelassene müssen sich darauf einstellen: Wer fehlerhaft behandelt, muss haftungsrechtlich für alle hieraus zulasten des Patienten erwachsenden Folgen einstehen. Dies gilt auch dann, wenn ein Nachbehandler wiederum – sogar grobe – Behandlungsfehler begeht. Dies ist von praktischer Relevanz in vielen Rechtsstreitigkeiten: Wenn einmal ein Behandlungsfehler begangen worden ist, entwickelt sich häufig ein komplikationsreicher medizinischer Verlauf. Nachbehandler kommen dann manchmal gar nicht daran vorbei, „on the edge“ zu behandeln, also mit immanent erhöhtem Risiko. Wenn hierbei etwas schiefgeht, entlastet dies nicht den Erstschädiger.

Wichtig | Dass der Erstschädiger haftet, bedeutet nicht, dass nicht auch der Zweitschädiger vom Patienten haftungsrechtlich herangezogen werden könnte. Vielmehr können dann sowohl Erst- als auch Zweitschädiger verklagt werden. Der Patient hat also zwei potenzielle Haftungsschuldner zur Auswahl.