Aufklärungsgespräch mit Flüchtlingen: Gericht stellt hohe Anforderungen an Klinikärzte

von Dr. Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de

Die jetzt veröffentlichten Entscheidungsgründe eines Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Köln vom 09.12.2015 zeigen: Der Klinikarzt muss eine Reihe von Punkten für eine rechtssichere Aufklärung beachten, wenn Familienangehörige oder andere nicht-professionelle Übersetzer am Werk sind (Az. 5 U 184/14, Abruf-Nr. 188951 ). Die Grundsätze der Entscheidung sollte der Oberarzt nicht nur bei der Behandlung von Flüchtlingen, sondern generell beim Umgang mit nicht Deutsch sprechenden Patienten beherzigen. 

Der Fall

Das OLG Köln hatte einen Sachverhalt zu entscheiden, bei dem es um die operative Implantierung einer Hüft-Endoprothese ging. Unstreitig konnte der aus der Türkei stammende Patient kaum Deutsch sprechen. Ohne die Hilfe eines Übersetzers war er nicht in der Lage, dem präoperativen Aufklärungsgespräch zu folgen. Infolge der OP kam es zu einer Ischiadikusparese. Daher war eine Revisions-OP zur Ausräumung eines Hämatoms erforderlich.

Der Patient rügte neben Behandlungsfehlern auch eine mangelhafte Aufklärung: Da seine beim Gespräch anwesende Ehefrau nur bruchstückhaft Deutsch spreche, habe ein Dolmetscher hinzugezogen werden müssen. Zudem sei die Aufklärung inhaltlich unzureichend gewesen.

Klage wurde im Ergebnis abgewiesen

Die Aufklärungsrüge wies das OLG Köln zurück und die Klage des Patienten im Ergebnis ab. Der Arzt konnte erfolgreich vortragen, dass der Patient aufgrund seiner Leidensgeschichte ohnehin auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte, sog. hypothetische Einwilligung. Demgegenüber konnte der Patient nicht hinreichend plausibel machen, dass er im – theoretischen – Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung einen Entscheidungskonflikt (OP: ja oder nein?) gehabt hätte.

Gericht: Aber Aufklärung war fehlerhaft!

Unabhängig davon bejahte das Gericht aber ausdrücklich, dass die Aufklärung fehlerhaft war. Der aufklärende Arzt hätte – so die Richter des OLG – sicherstellen müssen, dass dem Patienten durch die Übersetzung auch der Inhalt des Aufklärungsgesprächs vermittelt wird. Zwar war von ärztlicher Seite vorgetragen worden, die Ehefrau des Patienten habe das Gespräch vom Deutschen ins Türkische übersetzt. Für das OLG Köln verblieben jedoch Zweifel, ob die Sprachkenntnisse der Ehefrau gut genug waren, um eine ausreichende Übersetzung zu gewährleisten.

Übersetzer muss „in geeigneter Weise überprüft“ werden

Wenn gegenüber einem nicht ausreichend Deutsch sprechenden Patienten ein Familienangehöriger die Aufklärung übersetzt, dürfe der Arzt nicht einfach auf die sprachlichen Fähigkeiten des Angehörigen vertrauen. Vielmehr müsse er „in geeigneter Weise überprüfen“, ob der „Übersetzer“ seine Erläuterungen auch verstanden hat – so das OLG Köln. Gemäß diesem Urteil wurde folgender Pflichtenkatalog für den Arzt konstituiert:

  • 1. Der Arzt muss sich zumindest einen ungefähren Eindruck von den sprachlichen Fähigkeiten des Übersetzers verschaffen.
  • 2. Anschließend muss der Arzt durch eigene Beobachtungen feststellen, dass dem Patienten übersetzt werde.
  • 3. Aus der Länge der Übersetzung muss der Arzt den Schluss ziehen können, dass sie vollständig erfolgt ist.
  • 4. Der Arzt muss sich durch Rückfrage an den Patienten einen Eindruck davon verschaffen, ob dieser die Aufklärung auch verstanden hat.
  • 5. Bleiben an irgendeiner Stelle Zweifel, muss der Arzt einen Dolmetscher rufen – von dessen Sprachfähigkeiten könne er sicher ausgehen.

Kritik am Urteil

Kritisch kann man hinterfragen: Wie soll sich der Arzt „durch Rückfrage an den Patienten“ – so die Worte des OLG Köln – versichern, dass er die Aufklärung verstanden hat, wenn der Arzt mit ihm ohne Übersetzer gar nicht kommunizieren kann? Zudem kann man allein aus der Länge der Übersetzung kaum sicher schließen, ob die Übersetzung vollständig erfolgt ist. Und wie soll der Arzt überhaupt Zweifeln nachgehen oder sogar überprüfen, wenn er mit dem Patienten nicht direkt kommunizieren kann und daher auf den Übersetzer als Mittler auch bei Rückfragen auf jeden Fall angewiesen ist?

Trotz dieser Kritik muss der Oberarzt die hohen Anforderungen beachten. Er sollte sicherstellen, dass den Vorgaben an die Übersetzungsqualität und der Überprüfung des „Übersetzers“ entsprochen wird – und vor allem, dass dies aus der Dokumentation heraus belegbar ist. Auf die Zeugenaussage des übersetzenden Familienangehörigen sollte er sich nicht verlassen, da der Angehörige in einem Prozess vermutlich zugunsten des Patienten aussagt.

PRAXISHINWEIS | Klären Sie in einem kurzen Vorgespräch, dass der übersetzende Angehörige ausreichend Deutsch spricht! Fragen Sie ihn, in welcher Beziehung er zum Patienten steht, und bitten Sie ihn, eigene Erkrankungen und medizinische Behandlungen zu beschreiben. Dieses Vorgespräch sollten Sie – etwa durch einen kurzen handschriftlichen Vermerk – im Aufklärungsbogen dokumentieren. Dort sollte auch der Name des „Übersetzers“ aufgezeichnet sein.

Beobachten Sie den Übersetzungsvorgang genau. Indizien für eine unzureichende Übersetzung sind z. B. starke Verkürzungen, offensichtliche Beschwichtigungen oder sehr viele Rückfragen des Patienten an den Übersetzer. Lassen Sie sich die vom Patienten gestellten Rückfragen übersetzen! Fehlen die genannten Indizien, sollten Sie dies dokumentieren. Ziehen Sie im Zweifel – gerade bei elektiven Eingriffen – lieber einen (professionellen) Dolmetscher hinzu!