Außerklinische Versorgung technikabhängiger Patienten planen

von Bernd Hein, Fachjournalist Gesundheitswesen, Buch am Buchrain

Patienten, die langfristig von Medizintechnik abhängig bleiben, benötigen über die akutstationäre Therapie hinaus eine verlässliche Versorgung. Viele von ihnen werden in die Häuslichkeit überführt. Dann sind vom Tag der Entlassung an Strukturen erforderlich, die ihnen helfen, mit den krankheitsbedingten Defiziten umzugehen. Die Grundlage dafür muss bereits im Krankenhaus gelegt werden. Durch gezieltes Case Management kann der Oberarzt zu einer echten Stütze technikabhängiger Patienten werden.

Das bedeutet Case Management

„Case Management“ bezeichnet die umfassende Einschätzung, Planung, Umsetzung, Überwachung und Steuerung aller Dienstleistungen, die ein Patient benötigt. Das Ziel kann der Erhalt oder die Wiedererlangung seiner Gesundheit sein. Alternativ richtet sich das Case Management darauf, eine Umgebung zu schaffen, die dem Patienten einen zielorientierten Weg durch die Angebote des Gesundheitssystems weist (z. B. in Bezug auf Rehabilitation) oder eine Situation schafft, in der er möglichst optimal mit Krankheitsfolgen oder Behinderungen leben und eine maximale Teilhabe an der Gesellschaft realisieren kann.

Die Abhängigkeit der Körperfunktionen von Produkten der Medizintechnik kann vielfältig und von unterschiedlicher Intensität sein. Diabetiker benötigen z. B. Insulinpumpen, die sie nach entsprechender Schulung eigenständig bedienen können. Auch eine häuslich durchgeführte Peritonealdialyse ist im besten Fall eigenständig durchführbar. Patienten, die mit implantierten Kathetern ausgestattet sind, um etwa eine parenterale Ernährung oder Schmerztherapie sicherstellen zu können, brauchen hingegen überwiegend deutlich mehr Assistenz. Die umfassendsten Anforderungen stellt ohne Zweifel die außerklinische Beatmung – sofern sie invasiv und kontinuierlich erfolgt.

In der Klinik gilt Beatmung als eine absolute Indikation für die Aufnahme auf einer entsprechend ausgestatteten Intensivstation, wenn man von suffizient eingestellten, ambulant betreuten Beatmungspatienten absieht, die ggf. entsprechend geschulte Betreuungskräfte mitbringen. Diese wären auch auf Normalstationen angemessen zu versorgen, ohne das klinikeigene Personal zu überfordern. Die Verlegung dauerhaft ateminsuffizienter Patienten (sowie von Menschen, die in ähnlicher Weise betreuungsbedürftig sind) in die Häuslichkeit kann nur mithilfe eines strukturierten Case Managements und eines entsprechend geschulten, multiprofessionellen Teams gelingen.

MERKE | Die Nutzung der Prinzipien des Case Managements ist vor allem erforderlich, wenn Patienten zu versorgen sind, bei denen langfristiger Hilfebedarf abzusehen ist, den verschiedene Anbieter und Institutionen leisten und der deshalb einer umfangreichen Koordination bedarf.

Ziele des Case Managements

Das strukturierte Case Management vermeidet Versorgungsfehler und -brüche. Es dient der Transparenz gegenüber den Kostenträgern und beschleunigt Prozesse. Die Ziele lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Versorgungsabläufe an den Schnittstellen der stationären und ambulanten Versorgung sowie der Teilbereiche Prävention, kurative und palliative Therapie, Rehabilitation optimieren
  • Koordination von Dienstleistern optimieren
  • Medizinisches und pflegerisches Gesamtkonzept schaffen, das sich sinnvoll ergänzt und keine Redundanzen zulässt
  • Transparenz und vereinfachte Kommunikationswege für alle beteiligten Dienstleister gewährleisten
  • Über-, Unter- oder Fehlversorgungen vermeiden
  • Maßnahmen an den Bedürfnissen des Patienten bzw. seiner Bezugspersonen (z. B. Angehörige) orientieren
  • Maximale Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit des Patienten beachten

Aufbau des Case Managements

Das Case Management ist in sechs Schritte gegliedert. Diese sind darauf ausgerichtet, Struktur zu vermitteln, die Adhärenz des Patienten zu gewährleisten und die Überprüfung des Nutzens der gewählten Strategie zu ermöglichen:

  • 1. Vertrauensbasis zwischen dem Betreuungs- bzw. Behandlungsteam und dem Patienten entwickeln
    • Die Auswahl der Patienten in das Verfahren des Case Managements erfolgt indikationsgestützt. Mögliche Indikationen bestehen in chronischen Erkrankungen, hohem Alter, sozialer Isolation, mangelhafter oder fehlender häuslicher Versorgung, Demenz.
    • Der erste Kontakt zwischen dem Case Manager und dem Patienten erfolgt in Form eines Informationsgesprächs, bei dem Aufgaben, Ziele und Nutzen des Prozesses sowie das weitere Vorgehen abzusprechen sind.
  • 2. Assessment und Bedarf klären
    • Medizinische, pflegerische und psychosoziale Anamnese erheben
    • Einschätzung der erforderlichen Unterstützung sowie Abstimmung und Priorisierung der Versorgungsleistungen mit den Institutionen, die an der Betreuung des Patienten beteiligt sind
  • 3. Versorgungsplan erstellen
    • Versorgungsziele und Maßnahmen festlegen, die erforderlich sind
    • Zuständigkeiten für die verschiedenen Aspekte der Versorgung regeln und Ziele vereinbaren, die die einzelnen Dienstleister in definierten Zeiträumen erreichen sollen
  • 4. Versorgungsplan umsetzen
    • Dienstleistungen koordinieren und dokumentieren, die alle Beteiligten zu erbringen haben
  • 5. Monitoring der Leistungserbringung
    • Geplante Maßnahmen sowie deren Verhältnis zu den angestrebten Zielen überwachen
    • Verwendung von Ressourcen überwachen
    • Qualität erbrachter Leistungen überwachen
  • 6. Evaluation
    • Überprüfung des Case-Management-Prozesses auf seine Effizienz
    • Zeitkritische Anpassung des Case-Management-Prozesses an veränderte Bedingungen
    • Abschluss des Case-Management-Prozesses, sobald die Ziele aller Beteiligten erreicht sind

MERKE | Das Case Management ist wie eine Spirale aufgebaut. Der Prozess entwickelt sich unter veränderlichen Bedingungen und durchläuft dabei die sechs genannten Stadien immer wieder, bis er die angestrebten Ziele vollständig erreicht hat. Wenn es gelingt, alle Aspekte in dem zuvor bestimmten Zeitrahmen zu erfüllen, sind zunächst keine weiteren Schritte erforderlich.

 

Steuerung des Case Managements

Case Management ist multidisziplinär angelegt. Ärzte, Therapeuten, Sozialarbeiter und Pflegekräfte übernehmen definierte Aufgaben, die sich im Idealfall ergänzen und dem Patienten eine durchgängig bedarfsgerechte Versorgung gewährleisten. Die Steuerung können z. B. Pflegekräfte übernehmen, die über eine entsprechende Weiterbildung verfügen und u. a. die jeweils aktuellen gesetzlichen Maßgaben kennen.

Beispiel: Überleitung von Patienten in die Heimbeatmung

Am Beispiel von Patienten, die eine Heimbeatmung benötigen, lässt sich beschreiben, welche Kommunikationswege für eine Überleitung aus der stationären Phase zu leisten sind. Die Maßnahmen sollten mindestens zwei Wochen vor dem Entlassungstermin beginnen.

Adaption des Patienten an ein Heimbeatmungsgerät

Auf der therapeutischen Ebene ist zunächst die Adaption des Patienten an ein Heimbeatmungsgerät erforderlich. Inzwischen bietet der Markt viele Modelle mit unterschiedlicher Konfektion. Sie lassen sich exakt nach den Bedürfnissen des Patienten auswählen. Da das Angebot so unübersichtlich ist, sind Kliniker meist überfordert, wenn sie das Optimum herausfinden sollen. Deshalb ist es unverzichtbar, den Kontakt zu Hilfsmittellieferanten zu halten, deren Portfolio die Heimbeatmung umfasst. Sie können auch die anderen Medizinprodukte und Hilfsmittel (z. B. Verbrauchsgüter, Verbandsmaterialien) zur Verfügung stellen, die für eine solche Versorgung zwingend erforderlich sind.

Auswahl des Pflegedienstes

Invasive Heimbeatmung erfordert in aller Regel eine professionelle 24-Stunden-Pflege und damit einen Pflegedienst, der über das nötige Know-how sowie die personellen Ressourcen verfügt. Aus der Sicht der Klinik ist es notwendig, rechtzeitig vor der Entlassung des Patienten Kontakt zu einem entsprechend qualifizierten Pflegedienst aufzunehmen, der in der Heimatregion des Patienten tätig ist. Sofern eine häusliche Versorgung im Familienverbund nicht möglich sein sollte, besteht die Möglichkeit der Verlegung in eine Wohngemeinschaft. Solche Einrichtungen sind inzwischen weit verbreitet und werden häufig ebenfalls von Pflegediensten betrieben.

Diese Pflegedienste unterhalten zumeist intensiven Kontakt zu niedergelassenen Medizinern, die in der Lage sind, die anspruchsvolle Betreuung heimbeatmeter Menschen zu leisten. Hierbei ist zu bedenken, dass es sich in aller Regel nicht um eine isolierte Ateminsuffizienz handelt, sondern dass auch das Management einer enteralen Ernährung sowie ggf. einer kontinuierlichen intravenösen Therapie erforderlich wird.

Kontakt mit der Krankenversicherung

Angesichts der erheblichen Kosten, die ein Heimbeatmungspatient monatlich verursacht, ist es geraten, frühzeitig in Kontakt mit der Krankenversicherung zu treten. Dort sind Prüfungs- und Genehmigungsverfahren zu durchlaufen, bevor die Übernahmezusage erteilt wird.

Versorgung über Apotheke sichern

Auch an den Kontakt zu einer nahe gelegenen Apotheke ist zu denken, weil die Patienten häufig Arzneimittel bzw. Sondennahrung benötigen, die nicht zum täglichen Leistungsumfang gehören. Auch wenn das Liefersystem in Deutschland darauf ausgerichtet ist, ungewöhnliche Bestellungen binnen weniger Stunden an jedem beliebigen Ort verfügbar zu machen, können ungünstige Verlegungszeitpunkte (z. B. Wochenende) zu Versorgungsbrüchen führen.

Auswahl geeigneter Therapeuten

Heimbeatmete Patienten benötigen überdies fast immer therapeutische Interventionen, z. B. Physio- und Ergotherapie oder Logopädie. Nicht alle niedergelassenen Anbieter können diese spezielle Klientel adäquat behandeln. Deshalb ist auch hier eine zeitgerechte Information bzw. Auswahl sinnvoll.

Begleitung und Vorbereitung der Angehörigen

Nicht zuletzt ist die intensive Begleitung und Vorbereitung der Angehörigen von immenser Bedeutung für eine gelingende Heimbeatmung. Auch wenn Mitarbeiter eines spezialisierten Pflegedienstes rund um die Uhr anwesend sind und den Familienmitgliedern alle unmittelbaren Pflege- und Versorgungstätigkeiten abnehmen, bedeutet die Aufnahme eines derart eingeschränkten Menschen in den privaten Lebensraum eine erhebliche Belastung. Sie potenziert sich durch die gleichzeitige und permanente Anwesenheit eines fremden Menschen (der Pflegekraft). Aus diesem Grund kommt es sehr häufig zu Konflikten. Diese Entwicklung lässt sich bereits vor dem Beginn der Versorgung durch Beratungsgespräche mit entsprechend geschulten und in diesem Bereich erfahrenen Mediatoren (z. B. Sozialarbeitern, Supervisoren, Seelsorgern) mildern oder abwenden.