Chefarzt darf nicht wegen mißlungener Operation gekündigt werden

Verletzt ein Chefarzt fahrlässig seine arbeitsvertraglichen Pflichten, indem er eine komplexe neurochirurgische Operation durchführt, für die ihm die entsprechende Weiterbildung und Erfahrung fehlt und erleidet der Patient dadurch eine Querschnittslähmung, so berechtigt dies die Klinik jedoch nicht, dem Chefarzt fristlos zu kündigen. Denn es standen der Klinik zum einen mildere Mittel zur Verfügung, um eine Wiederholung eines solchen Fehlers zu verhindern. Zum anderen hörte die Klinik den Personalrat vor der Kündigung nicht formell ordnungsgemäß an.

von Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin/Heidelberg
www.christmann-law.de

Der Fall

Ein neurochirurgischer Chefarzt einer hochspezialisierten Klinik der Maximalversorgung behandelte einen Jugendlichen, der an einer hochkomplexen und hochgradigen Skoliose (Verkrümmung der Wirbelsäule) litt. Er entschied sich zur Operation, obgleich er schon im Vorfeld Zweifel hatte, ob er und sein Team die Operation alleine machen könnten und ob der Patient überhaupt therapiebar ist.

Nach der langen und von Komplikationen und Blutverlusten begleiteten Operation litt der junge Patient an einer Querschnittslähmung. Fachgutachten, die die Klinik danach einholte, belegten Fehler des Chefarztes bei der Operation (u.a. falsche Setzung von Schrauben und fehlerhafte Behandlung des Patienten nach der Operation). Deshalb kündigte die Klinik dem Chefarzt außerordentlich. Später kündigte sie den Vertrag auch noch ordentlich. Der Chefarzt zog gegen die außerordentliche Kündigung vor das Arbeitsgericht – und gewann. Die Klinik zog daraufhin vor das Landesarbeitsgericht.

Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht bestätigte die Einschätzung des Arbeitsgerichts, wonach kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Chefarztes vorlag. Das LAG bestätigte zwar eine fahrlässige Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Dem Chefarzt hätten – wie sich aus Fachgutachten ergab – die notwendigen Weiterbildungen und auch die Erfahrung für die Durchführung einer derart komplexen Operation gefehlt.

Allerdings stünden der Klinik mildere Mittel zur Verfügung, um weitere Pflichtverstöße des Chefarztes zu verhindern: Die Klinik hätte dem Chefarzt solche Operationen verbieten können. Oder sie hätte eine sog. Änderungskündigung aussprechen und den Chefarzt auf eine andere Stelle versetzen können.

Auch sei die Kündigung formell fehlerhaft, weil die Klinik die Frist zur Stellungnahme des Personalrates nicht vollständig abgewartet hatte, bevor sie die Kündigung gegenüber dem Chefarzt aussprach. Auch habe sie den Personalrat nicht vollständig über den Sachverhalt, der die Grundlage für die Kündigung bildete, informiert.

Praxisanmerkung

Eine außerordentliche Kündigung kann immer nur das „letzte Mittel“ sein, um Verstöße künftig zu verhindern. Auch gelten hohe formelle Hürden für eine fristlose Kündigung. Das bedeutet, dass ein Arzt, dem fristlos gekündigt wurde, regelmäßig gute Erfolgsaussichten hat, sich gegen eine solche Kündigung zu wehren. Das bedeutet auch, dass eine Klinik einige Vorbereitungen treffen muss, bevor sie eine solche Kündigung ausspricht. Regelmäßig ist vor einer solchen Kündigung auch eine Abmahnung und ein weiterer, ähnlicher Verstoß des Arztes erforderlich.

[!] Wer sich als Arzt unsicher ist, ob er eine risikoreiche Operation durchführen soll, kann auch Rücksprache mit seinem Dienstherren halten, seine Bedenken mitteilen und diesen nach seiner Einschätzung fragen. Gibt dieser „grünes Licht“ oder überlässt die Entscheidung dem Arzt, so ist das Risiko eines nachfolgenden (wie hier jahrelangen) Rechtsstreites wegen einer Kündigung jedenfalls deutlich verringert. Das setzt natürlich voraus, dass der Arzt diese Gespräche hinreichend dokumentiert, um diese – im Streitfall – auch nachweisen zu können.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, 2.9.2019 – 3 Sa 527/16.