Recht

Das Gespräch „en passant“ über Angehörige: Wann verstößt Arzt gegen die Schweigepflicht?

Dr. Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, Hannover, www.armedis.de

Ein Oberarzt der Hämatologie und Onkologie behandelt in einem Krankenhaus einen Patienten. Zufällig befindet sich auch dessen Cousine bei dem Oberarzt in Behandlung. Als der Patient wieder einmal in die Klinik kommt, spricht ihn der Oberarzt gut gelaunt an: „Es hat mich sehr gefreut, dass das neue Krebsmedikament bei Ihrer Cousine so gut angeschlagen hat!“ Der Patient ist erstaunt – er wusste nichts von der Krebserkrankung. Hat der Oberarzt gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen? 

 Oberarzt hat die Schweigepflicht verletzt

Der Oberarzt hat gegenüber dem Patienten ohne Einwilligung der Cousine ein zu ihrem persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis offenbart – und zwar ihre Krebserkrankung sowie deren Behandlung. Die Kenntnis hatte er in seiner Eigenschaft als Arzt. Eine Einwilligung der Cousine zur Informationsweitergabe lag nicht vor. Zudem war die Weitergabe nicht aus anderen Gründen gerechtfertigt oder entschuldigt. Somit hat sich der Oberarzt wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht strafbar gemacht.

Der Strafrahmen sieht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor. Dabei würde sich die Strafe für den Oberarzt als „Ersttäter“ sicherlich am unteren Rand des Strafrahmens bewegen.

PRAXISHINWEIS | Bei § 203 StGB handelt es sich um ein sog. Antragsdelikt. Dies bedeutet: Selbst wenn die Strafverfolgungsbehörden von der Schweigepflichtsverletzung erfahren, werden sie nicht von sich aus tätig. Vielmehr müsste ein Strafantrag gestellt werden – z. B. von der Cousine.

Abwandlung des Falls

Die Cousine lügt dem Oberarzt vor, sie unterhalte sich mit ihrem Cousin regelmäßig über ihre Krankheit und deren Verlauf. Der Oberarzt nahm daher an, dass sein Patient über den Fall im Bilde sei. Wie ist der Fall jetzt zu beurteilen? Hat sich der Oberarzt strafbar gemacht?

Lösung: Der Oberarzt hat sich nicht strafbar gemacht. Denn § 203 StGB ist ein reines Vorsatzdelikt, d. h. der „Täter“ muss bewusst und gewollt ein Geheimnis offenbaren. Durfte der Oberarzt aber annehmen, dass der Patient bereits involviert ist, fehlt dieser Vorsatz.

PRAXISHINWEIS | Obwohl der Arzt bei der „Abwandlung“ des Falls straffrei bleibt, sollten Sie als Oberarzt nicht ohne Weiteres davon ausgehen, dass sich – auch engste – Angehörige untereinander alles über ihren Gesundheitszustand erzählen. Deshalb gilt: Auch „en passant“ sollte der Arzt im Gespräch gegenüber dem Patienten nicht auf die Situation von anderen Patienten eingehen!