Arbeit

Der Oberarzt in Leitungsposition (Teil 1): So führen Sie Ihre Mitarbeiter erfolgreich

von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung – Coaching – Moderation, Seevetal, www.ihrcoach.com

Der Chefarzt alter Prägung ist zunehmend ein Auslaufmodell. Immer häufiger werden Oberärzte im Krankenhaus mit Führungsaufgaben betraut – etwa im Qualitätsmanagement, bei der Leitung einer medizinischen Abteilung oder in Abrechnungsfragen. Diese Oberärzte müssen sich nicht mehr nur medizinischen Fragen widmen, sondern sind auch für das Erreichen von Klinikzielen und die Entwicklung ihrer Mitarbeiter verantwortlich. Der Beitrag ist der Auftakt zu einer Serie, in der OH konkrete Führungssituationen für den Oberarzt mit entsprechenden Lösungen vorstellt. 

Veränderung der Anforderungen an Führung

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Anforderungen an Führungskräfte stark verändert. Die Zeiten, in denen der Arzt als „Halbgott in Weiß“ seine Patienten vor Ehrfurcht erstarren ließ, gehören inzwischen der Vergangenheit an. Die Aufgaben des Arztes und die Ansprüche der Patienten sind zu vielfältig geworden, um an diesem Paradigma festhalten zu können. Gerade Oberärzte in leitender Funktion müssen heute Aufgaben übernehmen, die über den klinischen Bereich weit hinausgehen.

Daher sollten Chefärzte wie auch Oberärzte mit Führungsaufgaben auf kollegiale Unterstützung setzen: In vielen Krankenhäusern gibt es zunehmend Leitungsteams – bestehend aus Chef- und Oberärzten. Allerdings hat die Beförderung zum Oberarzt oder gar zum Leitenden Oberarzt nicht automatisch zur Folge, dass dieser über das erforderliche Führungs-Know-how verfügt. Die Anforderungen an Ärzte mit Führungsfunktion, auf die sie häufig zu wenig vorbereitet werden, sind zum Beispiel:

  • Vielfalt der Führungssituationen: Erfahrung ist wichtig für das Erreichen einer Führungsposition, doch schon manch junger Arzt bringt diese mit. Somit führen heute schon jüngere Führungskräfte ältere Mitarbeiter.
  • Mitverantwortlich führen: Damit sich Mitarbeiter mit den Klinikzielen identifizieren, müssen sie in organisatorische Entscheidungen einbezogen werden. Partizipation spielt eine wichtige Rolle.
  • Komplexität und Veränderung bestimmen den Alltag: Komplexe Situationen und schnell aufeinanderfolgende Veränderungen kennzeichnen den Führungsalltag in der Klinik. Unter diesen Umständen ist es für Führungskräfte immer schwieriger, die Aufgabenbearbeitung ihrer Mitarbeiter fachlich und zeitlich zu begleiten. Deshalb brauchen die Mitarbeiter klar definierte Ziele und Führungskräfte überprüfbare Ergebnisse, um Leistungen einschätzen zu können.
  • Soziale Kompetenz: Die Arbeitsleistung ist im Klinikalltag von großer Bedeutung. Die Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten wird immer wichtiger. Flexibles Führungshandeln muss daher den Menschen in den Mittelpunkt rücken, nicht allein die Arbeitskraft.
  • Teamkultur: Die Herausforderungen im Klinikalltag sind nur im Team zu bewältigen. Es gehört zur Aufgabe des führenden Oberarztes, eine Teamkultur aufzubauen, die eine hohe Leistungsbereitschaft erzeugt und in der sich die Mitarbeiter mit den Zielen der Klinik identifizieren. Gleichzeitig muss das Team Schutz bieten vor Überlastung und dem Überschreiten der psychischen und physischen Grenzen der Teammitglieder und des Leiters.

Führungsaufgaben heute

Viele Oberärzte sind für die Leitung eines bestimmten Bereichs voll verantwortlich. Sie müssen mit ihrem Team und den anvertrauten Mitarbeitern bestimmte Ziele erreichen bzw. spezifische Dienstleistungen erbringen.

Die konkreten Führungsaufgaben, die sich aus dieser formalen Beschreibung ableiten lassen, stellt der nachfolgende Führungskreislauf dar:

Der Führungskreislauf beschreibt die Schritte, die nacheinander und kontinuierlich erforderlich sind, um Mitarbeiter und Teams aktiv und wirkungsvoll zu führen:

  • Ziele, Aufgaben, Zuständigkeiten klar regeln und vereinbaren
  • Die Umsetzung der vereinbarten Ziele, Aufgaben, Zuständigkeiten beobachten und kontrollieren
  • Fragen klären, Probleme lösen und gleichzeitig die Mitarbeiter befähigen, die vereinbarten Ziele, Aufgaben, Zuständigkeiten zu erreichen und zu bewältigen
  • Feedback – positiv und negativ – geben und erhalten

Kommunikation steht im Zentrum

Diese Schritte des Führungskreislaufs markieren die originären Aufgaben wirksamer Führungskräfte. Sie sind die Basis aktiven Führungshandelns und werden im Alltag kontinuierlich angewendet. In ihrem Zentrum stehen Kommunikation, Information und Koordination – sie sind zwingend erforderlich, um der Führungsaufgabe gerecht zu werden.

Aus der Umsetzung der Einzelschritte des Führungskreislaufs resultiert ein Aspekt, der im hektischen Alltag im Krankenhaus häufig unterschätzt wird: Führung braucht Zeit – Zeit für Gespräche, Information und Koordination.

Vorbild der Führungskräfte

Doch Führungskraft zu sein, heißt auch, sich die eigene Führungsrolle und die mit ihr verbundene Vorbildfunktion bewusst zu machen. Nur wer seinen Mitarbeitern Wertschätzung, Respekt und Achtung entgegenbringt, ist glaubwürdig und damit langfristig in der Lage, auf deren Verhalten Einfluss zu nehmen.

Die vier Kernprinzipien erfolgreicher Führung

Will der Oberarzt Mitarbeiter des von ihm verantworteten Bereichs erfolgreich führen, sollte er sich an den folgenden vier Kernprinzipien orientieren:

  • 1. Fürsorgeprinzip: Der Oberarzt übernimmt für die Mitarbeiter seines Teams die Verantwortung.
  • 2. Verteilungsgerechtigkeit: Er stellt die Balance zwischen Arbeitsmenge, Qualität und persönlicher Präsenz sicher.
  • 3. Fairness: Der Oberarzt verlangt eine Leistung, die der Erfahrung und dem Reifegrad des jeweiligen Mitarbeiters entspricht; er schützt vor Überforderung und hört bei Konflikten immer beide Seiten an.
  • 4. Informationsverantwortung: Der Oberarzt gibt die richtige Information in der richtigen Menge an die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal.

Führen über das Gespräch

Wie bereits beschrieben, ist das Gespräch das einzige Mittel, das Führungskräfte haben, um ihre Mitarbeiter zu führen und zu entwickeln. Regelmäßige Gespräche und Besprechungsroutinen sichern somit die erforderliche Weitergabe von Informationen über

  • Prozesse,
  • Strukturen,
  • Probleme,
  • die Sinnhaftigkeit von Zielen und
  • den Stand der Zielerreichung.

Um die ohnehin knappe Führungszeit noch gezielter einzusetzen, hat sich in der Praxis das Modell der Bindungsanalyse bewährt:

Je weiter entfernt ein Mitarbeiter steht, umso intensiver muss der Oberarzt als Führungskraft mit ihm ins Gespräch kommen.

Die vier Grundpfeiler des Mitarbeiter-Dialogs

Die folgenden Punkte sind entscheidend für den Dialog mit den Mitarbeitern:

  • Team- und Abteilungsgespräche zur regelmäßigen Information über Themen, die für alle Mitglieder des Teams gleichermaßen relevant sind.
  • Briefing-/Debriefing-Gespräche vor und nach Schichtbeginn zur Übermittlung wichtiger patientenbezogener Informationen.
  • Vier-Augen-Gespräche zur Besprechung von Entwicklungszielen und Hemmnissen oder Problemen sowie zur Analyse von Reifegraden.
  • Zielvereinbarungsgespräche zur jährlichen Vereinbarung von Entwicklungszielen. Sie sind Meilensteine einer dialogorientierten Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Sie fassen auch die Feedback-Gespräche zusammen, die im Laufe des Jahres geführt wurden.

FAZIT | Mitarbeiterführung bedeutet für den Oberarzt mit Führungsaufgaben ein enormes zeitliches Investment. Es besteht nicht darin, mehr zu arbeiten, sondern wirksamer. Hierfür ist aktive Führung nötig: Es entlastet den Oberarzt selbst, das Team und die Patienten. Die Grundlage hierfür ist die Einsicht, dass Führung nötig ist, zugleich erfordert es den Willen, sie wahrzunehmen.