Gesundheitspolitik

Entlassmanagement: Endlich geht‘s voran, doch um welchen Preis?

von RA Dr. Christian Bichler, FA MedR, Kanzlei Ulsenheimer & Friederich Rechtsanwälte, München und Berlin, www.uls-frie.de

Der Ablauf der Entlassung von gesetzlich krankenversicherten Patienten aus der stationären Versorgung ist im Rahmenvertrag geregelt, der vom Bundesschiedsamt beschlossen wurde. Dieser soll eigentlich am 01.07.2017 in Kraft treten. Während der GKV-Spitzenverband darin eine Verbesserung der Versorgung der Patienten erkennt, spricht die Deutsche Krankenhausgesellschaft von einem bürokratischen Super-GAU und legte beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage ein. OH erläutert, worauf sich die Krankenhäuser und die Oberärzte als Verantwortliche einstellen müssen. 

Patienten rechtzeitig entlassen, aber Drehtüreffekt vermeiden

Unter Entlassmanagement ist die individuelle Organisation des Übergangs des Versicherten zwischen Krankenhaus- und Anschlussbehandlung bzw. -versorgung (Reha, Pflege) unter Berücksichtigung des Unterstützungsbedarfs des Versicherten zur optimalen Wiedereingliederung in die gewohnte Umgebung zu verstehen. Dazu sollen die Patienten einerseits zeitig in den häuslichen Bereich entlassen, andererseits soll ein sogenannter Drehtüreffekt vermieden werden. Die Besorgnis, dass Patienten im Zweifel eher zu früh als zu spät aus der stationären Versorgung entlassen werden, hat insbesondere seit der Einführung des DRG-Systems zugenommen. Seither wird auch scherzhaft von „englischen“ (noch blutigen) Entlassungen gesprochen.

Schon im Jahr 2012 stellte der Gesetzgeber klar, dass das Entlassmanagement Teil des gesetzlichen Anspruchs des Versicherten auf Krankenhausbehandlung ist. Demgemäß kann der Patient das Entlassmanagement vom Krankenhaus einfordern. Den Krankenkassen kommt lediglich eine unterstützende Funktion zu. Somit liegt die größte Last derzeit zwangsläufig bei den Krankenhäusern, sodass hier (personelle und sächliche) Mehraufwände zu erwarten sind. Ob und inwieweit die DRG-Fallpauschalen entsprechend angepasst werden, kann derzeit nicht abgeschätzt werden.

Mit Einführung des § 39 Abs. 1a Sozialgesetzbuch (SGB) V hob der Gesetzgeber die Bedeutung des Entlassmanagements als Teil des Versorgungsmanagements (vgl. § 11 Abs. 4 SGB V) deutlich hervor. Seitdem besteht für Krankenhausärzte die Möglichkeit, Arzneimittel und andere Leistungen (z. B. Krankengymnastik) für GKV-Versicherte zu verordnen. Krankenhausärzte sollen auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für bis zu sieben Tage ausstellen dürfen.

Outsourcing nur eingeschränkt möglich

Weitgehend ungeklärt ist die Frage, ob auch in Zukunft die Möglichkeit besteht, Aufgaben des Entlassmanagements auf Drittunternehmen auszulagern. § 39 Abs. 1a SGB V besagt, dass das Krankenhaus mit bestimmten Leistungserbringern (Vertragsärzte, medizinische Versorgungszentren, ermächtigte Ärzte und Einrichtungen) Vereinbarungen treffen kann, damit diese – eigentlich dem Krankenhaus zukommende – Aufgaben des Entlassmanagements übernehmen. Ob dadurch Nicht-Vertragsärzten (z. B. Sanitätshäusern oder Homecare-Unternehmen) der Garaus gemacht wird, auf die in der Vergangenheit häufig Aufgaben übertragen wurden, ist noch offen.

Manche ziehen als Argument dafür den Wortlaut des § 39 Abs. 1a SGB V heran. Sie lehnen dementsprechend ein Outsourcing von Aufgaben an Drittunternehmen ab, da diese gerade nicht im Gesetzestext genannt werden. Andere argumentieren, dass das Auslagern von Aufgaben auf Drittunternehmen schon vor Einführung des § 39 Abs. 1a SGB V zulässig war und häufig praktiziert wurde. Von dieser Praxis soll nun nicht abgewichen werden müssen. Die neue Bezugnahme auf bestimmte Leistungserbringer im Wortlaut des § 39 Abs. 1a SGB V solle vielmehr – ergänzend zu den bisher schon zulässigen Kooperationsformen mit Drittunternehmen – den Weg für Leistungserbringer ebnen, die dem restriktiven ärztlichen Berufsrecht unterliegen.

PRAXISHINWEIS | Da noch keine einschlägigen Gerichtsentscheidungen ergangen sind, sollte jedes Krankenhaus, das Drittunternehmen mit Aufgaben des Entlassmanagements betraut, überprüfen (lassen), inwieweit die Kooperationsformen weiterhin rechtlich zulässig sind. Nicht zuletzt aufgrund der kürzlichen Erweiterung der strafrechtlichen Korruptionstatbestände im Gesundheitswesen sind entsprechende Kooperationen – auch mit Leistungserbringern – kritisch zu überdenken.

 

Ablauf des Entlassmanagements nach dem Rahmenvertrag

Der beschlossene Rahmenvertrag ist zwar aktuell noch nicht in Kraft getreten. Dennoch empfiehlt es sich für Krankenhäuser, sich rechtzeitig mit den darin geregelten Vorgaben des Entlassmanagements vertraut zu machen. Krankenhäuser sollen demnach in Zukunft ein multidisziplinäres Entlassmanagement sicherstellen und entsprechende schriftliche Standards niederlegen. Darin sind auch die Verantwortlichkeiten im multidisziplinären Team verbindlich zu regeln. Gleichwohl hat das Bundesschiedsamt erkannt, dass eine Unterstützung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bei der Entwicklung dieser Standards unabdingbar ist.

Krankenhäuser müssen zudem in ihrem Internetauftritt über ihr Entlassmanagement informieren. Die Patienten müssen hingegen diverse Einwilligungserklärungen (datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung sowie Patienteninformation zum Entlassmanagement inklusive Einwilligungserklärung zur Durchführung des Entlassmanagements) abgeben, bevor Maßnahmen des Entlassmanagements begonnen werden dürfen. Der Rahmenvertrag hält hierfür Muster bereit. Vorausgesetzt, der Patient ist mit der Durchführung des Entlassmanagements einverstanden, muss der zuständige Krankenhausarzt zunächst – und zwar schon während des stationären Aufenthalts – den Bedarf des Patienten für seine Anschlussversorgung feststellen. Danach ist ein Entlassplan zu erstellen, der den voraussichtlichen Versorgungsbedarf des Patienten im Anschluss an die Krankenhausbehandlung darlegt. Schon zum Zeitpunkt der Erstellung des Entlassplans muss der Krankenhausarzt prüfen, ob Verordnungen bzw. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erforderlich sind. Der Entlassplan kann somit als „Fahrplan des Entlassmanagements“ bezeichnet werden und wird Bestandteil der Behandlungsunterlagen des Patienten.

Eine weitere Aufgabe des Krankenhauses ist die frühzeitige Kontaktaufnahme mit den nachversorgenden Ärzten. Dabei ist auf das dem Patienten zustehende Recht auf freie Arztwahl zu achten. Das Krankenhaus muss daneben rechtzeitig Kontakt zur zuständigen Krankenkasse (bzw. Pflegekasse) aufnehmen, um ggf. notwendige Genehmigungsverfahren einzuleiten. In diesem Zug sind den Krankenkassen auch die Einwilligungen des Patienten und die Informationen aus dem Entlassplan zu übersenden.

Am Tag der Entlassung selbst erhalten der Patient, der einweisende Arzt sowie der nachbehandelnde Arzt den (vorläufigen) Entlassbrief. Darin ist die Telefonnummer eines Ansprechpartners des Krankenhauses anzugeben, der für Rückfragen zur Verfügung steht. Dieser muss zu bestimmten Zeiten erreichbar sein. Sogar an Samstagen und Sonntagen muss eine Rücksprache zumindest für einige Stunden möglich sein. Der Patient erhält am Entlasstag zudem die Verordnungen (beispielsweise von Arzneimitteln) sowie ggf. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Des Weiteren ist dem Patienten auf Wunsch ein Medikationsplan (zunächst nur in Papierform) auszustellen, sofern er mit einer Medikation entlassen wird. Ein Anspruch auf einen solchen Medikationsplan besteht für Versicherte seit dem 01.10.2016.

Voraussetzungen der Verordnung von Arzneimitteln

Die neu geschaffene Möglichkeit, Arzneimittel zu verordnen, darf nicht mit der Mitgabe von Arzneimitteln verwechselt werden. So gilt auch weiterhin der Grundsatz, dass eine Arzneimittelabgabe – im Gegensatz zur Arzneimittelverabreichung – in Kliniken unzulässig ist. Eine Arzneimittelabgabe ist öffentlichen Apotheken vorbehalten. Allerdings eröffnet § 14 Abs. 7 S. 3 Apothekengesetz (ApoG) auch weiterhin die Möglichkeit, eine sogenannte Überbrückungsmedikation abzugeben, falls im unmittelbaren Anschluss an die Behandlung ein Wochenende oder ein Feiertag folgt.

Im Rahmenvertrag und der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses sind u. a. folgende Kriterien der Arzneimittelverordnung geregelt:

  • Die Verordnung muss für die Versorgung mit Arzneimitteln unmittelbar nach der Entlassung erforderlich sein – und zwar medizinisch oder organisatorisch. Das bedeutet, dass therapie-, indikations- und arzneimittelspezifische Aspekte bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer nahtlosen Arzneimitteltherapie unmittelbar nach der Entlassung zu berücksichtigen sind (medizinische Aspekte). Des Weiteren muss berücksichtigt werden, ob der Patient in der Lage ist, einen weiterbehandelnden Arzt rechtzeitig zu erreichen, sowie ob bereits Arzttermine nach der Entlassung bestehen (organisatorische Aspekte). Hierfür kann die Befragung des Patienten oder eine Kontaktaufnahme mit dem weiterbehandelnden Arzt erforderlich sein.
  • Die Mitgabe von Arzneimitteln zur Überbrückung des Wochenendes oder von Feiertagen ist gegenüber der Verordnung von Arzneimitteln vorrangig.
  • Die Verordnung der Arzneimittel muss dem im Sozialrecht geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot genügen. Somit müssen sich auch Krankenhäuser in Zukunft näher mit dem Thema Wirtschaftlichkeitsprüfungen durch kassenärztliche Vereinigungen beschäftigen.
  • Der Krankenhausarzt darf nur Kleinstpackungen verordnen. Hierunter ist eine N1-Packung zu verstehen, die i. d. R. für eine Behandlungsdauer von zehn Tagen ausreicht. Für den Fall, dass für das konkrete Arzneimittel keine N1-Packung existiert, hat das Bundesministerium für Gesundheit klargestellt, dass die nächstgrößere Packung (N2 bzw. N3) verordnet werden darf.
  • Der Krankenhausarzt hat ein Arzneiverordnungsblatt (früher Kassenrezept) ordnungsgemäß auszufüllen. Hierfür muss er den als Muster 16 bekannten Vordruck verwenden. Allerdings ist dieses Muster um den Hinweis zu ergänzen, dass es sich um eine Verordnung nach § 39 Abs. 1a SGB V handelt. Den formalen Aufdruck „Entlassmanagement“ gibt der Rahmenvertrag vor. Die Kosten für die Vordrucke der Arzneiverordnungsblätter haben die Krankenkassen zu tragen. Die Kosten für den Versand der Vordrucke müssen hingegen die Krankenhäuser übernehmen. Sollten nachträglich Änderungen oder Ergänzungen der Verordnung notwendig sein, bedarf es einer erneuten Unterschrift mit Datumsangabe der Klinik (nicht des Hausarztes). Die ausgestellte Verordnung gilt drei Werktage. Dazu zählt auch ein Samstag.
  • Verordnungen von Entlassmedikation dürfen nicht in Krankenhausapotheken eingelöst werden, sondern nur in öffentlichen Apotheken.

Voraussetzungen der Verordnung sonstiger Leistungen

Auch die Verordnungen von Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie müssen unmittelbar nach der Entlassung erforderlich sein und dürfen für höchstens sieben Tage verordnet werden. Bei nicht zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln gilt jedoch keine zeitliche Begrenzung. Das aufgrund einer Verordnung abgegebene Hilfsmittel darf dauerhaft genutzt werden und bedarf keiner „Zweitverordnung“ des Hausarztes.

Ist für die Versorgung mit einem Hilfsmittel im häuslichen Bereich die besondere Expertise oder Umgebung des Krankenhauses erforderlich (z. B. bei Heimbeatmungsgeräten, auf die der Versicherte im Krankenhaus eingestellt wird), kann die Verordnung bereits vor dem Entlasstag erfolgen. Kosten für während des stationären Aufenthalts abgegebene Dauer-Hilfsmittel sind von den Krankenkassen zu tragen. Sollte es sich bei dem Hilfsmittel allerdings um eine individuelle Anfertigung handeln, die der ärztlichen Nachkontrolle bedarf und zur dauerhaften Versorgung vorgesehen ist, darf nur ausnahmsweise eine Verordnung durch den Krankenhausarzt ausgestellt werden. Die Verordnungen sonstiger Leistungen müssen dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügen. Sie verlieren sieben Kalendertage nach der Entlassung ihre Gültigkeit und müssen um den Zusatz „Entlassmanagement“ ergänzt werden.

Der Krankenhausarzt muss den Patienten bei der Ausstellung der Verordnung auf sein Recht auf freie Wahl des Leistungserbringers hinweisen. Auch beim Entlassmanagement gilt der Grundsatz, dass eine Zuweisung von Patienten unzulässig ist. Die für die Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten geltenden Besonderheiten wie Depot-, Beteiligungs- und Zuwendungsverbot (§ 128 SGB V) finden demgemäß im Bereich des Entlassmanagements auch für Krankenhausärzte Anwendung.

Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Neben der Verordnung von Leistungen besteht für den Krankenhausarzt nun auch die Möglichkeit, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen auszustellen. Diese müssen für die Versorgung unmittelbar nach der Entlassung erforderlich sein. Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie) findet Anwendung. Der Krankenhausarzt hat das Muster 1 des Bundesmantelvertrags für Ärzte zu verwenden. Auch hier muss der Hinweis aufgedruckt werden, dass es sich um eine Maßnahme des Entlassmanagements handelt. Das Krankenhaus muss den weiterbehandelnden Arzt über die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit informieren.

Was kommt jetzt?

Der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rahmenvertrags wurde auf den 01.07.2017 gelegt, wobei sich dieser aufgrund der kürzlich eingereichten Klage der DKG verschieben könnte. In der Zwischenzeit sind zwar die detaillierten Regelungen des Rahmenvertrags noch nicht verbindlich. Die Vorgaben des § 39 Abs. 1a SGB V sowie die Regelungen der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses finden jedoch schon heute Anwendung. Die Krankenhäuser sollten auch die Auswirkungen des E-Health-Gesetzes im Blick behalten, da in Zukunft die Leistungen der elektronischen Gesundheitskarte erweitert und elektronische Entlassbriefe sowie elektronische Medikationspläne zum Standard gehören werden.

Schon heute können die Krankenhäuser – sofern noch nicht vorhanden – Betriebsstättennummern bei der für sie zuständigen kassenärztlichen Vereinigung (KV) beantragen. Die KVen vergeben in Zukunft auch für Krankenhausärzte auf Antrag lebenslange Arztnummern (LANR), die für die Verordnung von Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig sind.

Letzten Endes ist eine Bewusstseinsänderung der Krankenhäuser und jeweiligen Krankenhausärzte notwendig. So muss sich jeder Krankenhausarzt, der in Zukunft Aufgaben des Entlassmanagements übernehmen möchte, als „Krankenhausvertragsarzt“ sehen und die Wirtschaftlichkeit seines Verordnungsverhaltens kritisch hinterfragen. Anderenfalls werden sich die Krankenhäuser Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausgesetzt sehen, die im schlimmsten Fall existenzbedrohende Ausmaße annehmen.