Gesundheitspolitik

HNO-Ärzte: Kritik an fachübergreifenden Bereitschaftsdiensten

Der Personalmangel an deutschen Kliniken beschränkt sich längst nicht nur auf den Pflegebereich; auch Ärztinnen und Ärzte fehlen, die verbleibenden sind häufig überlastet und arbeiten zum Teil weit über die offizielle wöchentliche Stundenzahl hinaus. Wie der Stellenabbau die Versorgungsqualität gefährdet, wird unter anderem am Beispiel der fachübergreifenden Bereitschaftsdienste deutlich, die an Kliniken zunehmend eingerichtet werden sollen. Hier werde aus ökonomischen Gründen eine deutliche Risikoerhöhung für die Patienten in Kauf genommen, mahnen die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie e.V. (DGHNO-KHC) und die Vereinigung der HNO-Lehrstuhlinhaber und der HNO-Chefärzte: Bereitschaftsdienste für HNO-Abteilungen sollten ausschließlich in der Hand von fachkundigen HNO-Ärzten liegen.

Auf den ersten Blick scheint das Konzept der fachübergreifenden Bereitschaft schlüssig: In Zeiten geringer Arbeitsbelastung – etwa nachts – deckt der Bereitschaftsdienst einer Fachabteilung den Dienst einer anderen Abteilung mit ab und greift nur im Ausnahmefall auf deren Rufbereitschaft zurück. Damit kann eine spürbare zeitliche Entlastung der Ärztinnen und Ärzte einhergehen, vor allem jedoch spart die Klinik Kosten. Dass die Qualität der Patientenversorgung unter dieser Sparmaßnahme leidet, liegt jedoch auf der Hand: Ein fachfremder Bereitschaftsdienst kann bei der Behandlung lediglich auf rudimentäre Kenntnisse zurückgreifen und wird sich in der Regel an standardisierten Handlungsempfehlungen (SOP) entlangarbeiten müssen. Solche starr fixierten Behandlungsschemata können dem klinischen Einzelfall, zumal in einer Notfallsituation, kaum gerecht werden.

Facharztstandard auch im Bereitschaftsdienst!

In diesem Zusammenhang erinnert die DGHNO-KHC noch einmal daran, dass für die Patientenversorgung in Deutschland der sogenannte Facharztstandard gilt: Patientinnen und Patienten haben Anspruch auf eine Behandlungsqualität, die derjenigen entspricht, die ein sorgfältig arbeitender Facharzt oder zumindest ein im Fach hinreichend qualifizierter und weitergebildeter Arzt erbringen würde. Dieser Maßstab muss auch in Bereitschaftssituationen gelten; durch einen fachfremden Bereitschaftsdienst kann er nicht sicher gewährleistet werden.

In besonderem Maße gilt dies für hoch spezialisierte Fachgebiete wie die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, in denen medizinische Behandlungsstandards und Versorgungsmöglichkeiten heute weit fortgeschritten sind. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade bei Eingriffen im Kopf-Hals-Bereich ein erhebliches Risiko von Nachblutungen besteht, die die Atemwege verlegen und somit lebensbedrohlich verlaufen können. Solche kritischen Blutungen können, wie die DGHNO-KHC betont, auch nach scheinbar harmlosen Routineoperationen wie einer Mandel- oder Polypenentfernung auftreten. Eine sichere postoperative Betreuung kann daher nur von fachspezifisch ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten gewährleistet werden, die auch bei plötzlich auftretenden Komplikationen die notwendigen Notfallmaßnahmen beherrschen. Der Einsatz fachfremder Ärzte im Rahmen interdisziplinärer Behandlungseinheiten führt so zwangsläufig zu einer deutlichen Verschlechterung der klinischen Versorgung und einer Risikoerhöhung für die Patienten, die nach Ansicht der Fachgesellschaft nicht toleriert werden kann.

Die DGHNO-KHC fordert daher, die Bereitschaftsdienste in den HNO-Kliniken stets mit fachkundigen Ärzten zu besetzen. Abhängig vom Komplikations- und Schwierigkeitsgrad der aktuellen Behandlungsfälle sei auch der Einsatz erfahrener HNO-Assistenzärzte denkbar – dabei müsse jedoch sichergestellt werden, dass ein langjährig tätiger HNO-Arzt in Rufbereitschaft zur Verfügung stehe und notfalls kurzfristig hinzugezogen werden könne.

Nicht zuletzt verweisen die HNO-Ärzte auch auf die rechtlichen Aspekte, die gegen die Einführung fachübergreifender Bereitschaftsdienste sprechen. Gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung sind die personelle und materielle Ausstattung, sowie interne Abläufe in Kliniken und Praxen konsequent an der Patientensicherheit auszurichten. Haftungsrisiken bestehen dabei auch für patientenferne Entscheider wie die Vorstände und Geschäftsführungen der Kliniken.

 Mitteilung der DGHNO-KHC vom 23.07.2021