Recht

„Ich gebe Ihnen mal ein paar Tropfen mit …“ Worauf muss der Oberarzt hierbei achten?

von Dr. Christian Bichler, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei Ulsenheimer & Friederich Rechtsanwälte, München und Berlin, www.uls-frie.de

„Entlassmanagement: Versorgungslücken nach stationärer Behandlung geschlossen“ – mit diesen Worten kündigte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seinen Beschluss vom 17. Dezember 2015 an. Nun müssen z. B. Verordnungen des Klinikarztes innerhalb von drei Werktagen eingelöst werden. Welche weiteren Neuerungen sollte der Oberarzt kennen? 

Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses

Mit dem Beschluss vom 17. Dezember 2015 ist der G-BA seiner gesetzlichen Pflicht nachgekommen, die Arzneimittel-Richtlinie anzupassen. Die Neuregelung ist derzeit zwar noch nicht in Kraft. Sie wird aktuell beim Bundesministerium für Gesundheit geprüft. Mit größeren Änderungen ist jedoch nach Expertenansicht nicht zu rechnen, sodass nachfolgend die wichtigsten Punkte erörtert werden.

Vorgaben für die Entlassmedikation

Der G-BA hat beschlossen, die Regelungen zu den Voraussetzungen für die Arzneimittelverordnung (insbesondere §§ 8 und 9 AM-RL) im Wesentlichen wie folgt zu ändern.

Klinikarzt hat zu prüfen: Ist eine Verordnung wirklich notwendig?

Vor einer Verordnung von Entlassmedikation hat der Klinikarzt zu prüfen, ob eine Verordnung überhaupt nötig ist, um den Versicherten unmittelbar nach der Entlassung mit Arzneimitteln zu versorgen. Das bedeutet, dass therapie-, indikations- und arzneimittelspezifische Aspekte zu berücksichtigen sind, um zu beurteilen, ob eine nahtlose Arzneimitteltherapie unmittelbar nach der Entlassung erforderlich ist (medizinische Aspekte).

Daneben muss der Arzt prüfen: Kann der Patient einen weiter behandelnden Arzt rechtzeitig erreichen? Sind bereits Arzttermine nach der Entlassung geplant (organisatorische Aspekte)? Hierfür kann es nötig sein, den Patienten zu befragen oder mit dem weiterbehandelnden Arzt Kontakt aufzunehmen.

Überbrückungsmedikation: Wann ist sie erlaubt?

Die neu gefasste AM-RL weist auf die weiterhin zum Überbrücken eines Wochenendes oder eines Feiertages mögliche „Überbrückungsmedikation“ nach § 14 Abs. 7 Apothekengesetz hin, d. h. die unmittelbare Mitgabe von Arzneimitteln (im Gegensatz zur Verordnung von Arzneimitteln). Deutlich unterschieden wird nun zwischen der Verordnung von Entlassmedikation und der Mitgabe von Überbrückungsmedikation: Letztere soll demnach Vorrang gegenüber der Verordnung von Entlassmedikation haben, wenn die medikamentöse Behandlung durch die Reichweite der mitgegebenen Arzneimittel abgeschlossen werden kann. In diesem Fall wäre es unwirtschaftlich, Arzneimittel durch einen Krankenhausarzt zu verordnen – und damit nachrangig. Daneben sind laut G-BA weitere Gründe denkbar, bei deren Vorliegen die Mitgabe von Arzneimitteln gegenüber der Verordnung von Arzneimitteln vorrangig ist. Als Beispiele hierfür werden besondere örtliche Versorgungsstrukturen sowie besondere Arzneimittel genannt, deren Mitgabe Vorrang haben soll. Genaueres teilt der G-BA leider nicht mit.

Information der weiter behandelnden Vertragsärzte

In der AM-RL soll künftig zudem geregelt werden, dass das Krankenhaus die weiter behandelnden Vertragsärzte über die Entlassung des Patienten aus der Klinik rechtzeitig informieren muss. Diese Information umfasst auch

  • die medikamentöse Therapie bei Entlassung,
  • deren Dosierung und
  • die im Rahmen des Entlassmanagements verordneten Arzneimittel.

Dabei ist auch darzustellen, wenn eine vor der stationären Aufnahme bestandene Medikation geändert wird. Zudem hat der Klinikarzt darauf hinzuweisen, wie lange von ihm verordnete Medikamente einzunehmen sind.

Einwilligung des Patienten zur Erfassung seiner Daten

Es ist weiter darauf zu achten, dass der Patient schriftlich darin einwilligt, dass seine Sozialdaten erhoben, verarbeitet und genutzt werden dürfen. Diese Einwilligung darf er nicht widerrufen haben.

Zudem muss der Patient zuvor schriftlich informiert worden sein, welche Inhalte und Ziele mit der Nutzung seiner Sozialdaten verfolgt werden. Schließlich ist er zu informieren, dass er ein Widerrufsrecht besitzt.

Wirtschaftliche Verordnungsweise

Ein Klinikarzt muss beim Verordnen von Medikamenten anlässlich der Entlassung des Patienten wirtschaftlich vorgehen. Bevor er eine Verordnung wiederholt, muss er prüfen, ob dies erforderlich ist und ob die verordnete Menge mit der vorgesehenen Anwendungsdauer übereinstimmt. Der Klinikarzt muss dabei insbesondere achten auf

  • Arzneimittelmissbrauch,
  • Arzneimittelgewöhnung und
  • Arzneimittelabhängigkeit.

Allerdings darf der Klinikarzt lediglich eine Packung mit dem kleinsten Größenkennzeichen gemäß Packungsgrößenverordnung (N1) verordnen. Sollte eine solche „Kleinstpackung“ (N1) nicht im Verkehr sein, kann er eine andere Packung verordnen, um Versorgungslücken zu vermeiden. Deren Packungsgröße darf jedoch eine „Kleinstpackung“ nicht überschreiten. Hieran wird – zu Recht – kritisiert, dass nicht für sämtliche Wirkstoffe Packungen mit dem Größenkennzeichen N1 erhältlich sind. Nicht gefolgt ist der G-BA dem Vorschlag, auch größere Packungen als N1 verordnen zu dürfen, wenn auf dem Markt nur größere Packungsgrößen als N1 verfügbar sind. Der G-BA beruft sich bei seiner Weigerung auf den Willen des Gesetzgebers.

PRAXISHINWEIS | Als Krankenhausarzt dürfen Sie somit keine Medikamente als Entlassmedikation verordnen, wenn weder N1- noch kleinere Packungsgrößen zur Verfügung stehen!

 

Besonderheiten bei Verbänden und Lutschtabletten

Die übrigen in die Arzneimittelversorgung einbezogenen Produkte können für die Versorgung in einem Zeitraum von bis zu sieben Tagen verordnet werden. Diese Klarstellung ist nötig, da für diese Produkte keine Packungsgrößenverordnung existiert. Dabei handelt es sich um folgende Produkte:

  • Bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung
  • Stoffliche Medizinprodukte (beispielsweise Lutschtabletten)
  • Verbandmittel
  • Harn- und Blutteststreifen

Aus „Kassenrezept“ wird „Arzneiverordnungsblatt“

Die Neufassung der AM-RL stellt klar, dass der Vordruck Muster 16 („Kassenrezept“) nunmehr „Arzneiverordnungsblatt“ heißt. Grundlage für die Versorgung mit Arzneimitteln ist eine Verordnung auf diesem Arzneiverordnungsblatt. Wer eine ausgestellte Verordnung ändert oder ergänzt, muss dies künftig mit einem Datum vermerken und die Änderung (erneut) unterschreiben.

Verordnung des Klinikarztes ist nur drei Werktage gültig

Verordnungen im Rahmen des Entlassmanagements dürfen nach dem G-BA-Beschluss nur innerhalb von drei Werktagen – wozu auch ein Samstag zählt  – eingelöst werden. Im Gegensatz dazu sind vom Vertragsarzt ausgestellte Verordnungen einen Monat lang gültig. Zudem ist die Verordnung von Entlassmedikation als „Verordnung nach § 39 Abs. 1a SGB V“ zu kennzeichnen.

PRAXISHINWEIS | Der Tag der Ausstellung der Verordnung ist bereits der erste Tag der Drei-Tages-Frist. Die Pflicht zur Kennzeichnung als Verordnung nach § 39 Abs. 1a SGB V sowie die verkürzte Gültigkeitsfrist gelten ebenso für Verordnungen von Betäubungsmitteln sowie für „T-Rezepte“ – Verordnungen für Arzneimittel mit den Wirkstoffen Lenalidomid, Pomalidomid oder Thalidomid.

 

Rahmenvertrag steht noch aus

Zwar hat der G-BA durch die AM-RL zahlreiche Neuregelungen getroffen, doch steht der Rahmenvertrag zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der KBV und der DKG noch aus, der die AM-RL zu berücksichtigen hat. Auch muss abgewartet werden, ob das Gesundheitsministerium den G-BA-Beschluss unverändert akzeptiert oder Änderungen fordert.