GesundheitspolitikSonstiges

Im Konflikt zwischen Patientenwohl und Gewinnmaximierung: Und wo bleibt die Ethik?

von Dr. Marianne Schoppmeyer, Ärztin und Medizinjournalistin, www.medizinundtext.de

Bereits seit Jahren hält die Ökonomisierung schleichend Einzug in deutsche Krankenhäuser. Ärzte klagen allerorts über fehlende Zeit für ihre Patienten, die zunehmende Technisierung des Medizinbetriebs und den Druck vonseiten der Krankenhausverwaltung, wirtschaftlich rentabel zu arbeiten. Von Ärzten wird direkt oder indirekt erwartet, ihr ärztlich professionelles Handeln betriebswirtschaftlicher Gewinnmaximierung unterzuordnen. Die Patienten haben dabei immer häufiger das Nachsehen. OH stellt konkrete Vorschläge vor, wie ein Umdenken erreicht werden kann. 

Hauptursache ist das DRG-System

Der eigentliche Sinn und Zweck der Medizin, die seelische und körperliche Gesundheit der Menschen wiederherzustellen, kann unter dem Druck der Ökonomisierung aus dem Blick geraten. Patienten werden nicht mehr primär als leidende Menschen wahrgenommen, sondern als Kunden. Ärzte werden zu reinen Leistungserbringern. Aus der sozialen Einrichtung Krankenhaus wird ein Wirtschaftsunternehmen. Mitgefühl, Fürsorge und Altruismus – Eigenschaften, die für viele Ärzte immer noch den Sinn der Medizin ausmachen – b

Ohne Zweifel liegt eine der Hauptursachen dieser Entwicklung in der Umstellung der Krankenhausfinanzierung von Tagessätzen auf diagnoseorientierte Fallpauschalen (DRG-System) vor mehr als zehn Jahren. Um für das Krankenhaus einen Gewinn zu erzielen, darf ein Patient weder zu kurz noch zu lange in der Klinik liegen. In dem einen Fall wird die DRG-Pauschale gekürzt, im anderen Fall droht dem Krankenhaus ein Verlustgeschäft. Zudem werden durch die Fallpauschalen medizinische Leistungen nur bedingt abgebildet. Geld wird verdient, wenn Medizintechnik eingesetzt wird. Gespräche und Zeit für den Patienten werden jedoch kaum honoriert.

In der Folge ändern Krankenhäuser ihre strategische Ausrichtung, indem beispielsweise die weniger lukrativen Behandlungsangebote aus dem Leistungskatalog gestrichen werden. Hierzu zählen in erster Linie die betreuungsintensiven Fachdisziplinen wie etwa die Diabetologie oder Rheumatologie. Auf der anderen Seite verleitet das DRG-System dazu, Eingriffe durchzuführen, die medizinisch nicht zwingend notwendig sind, mit denen jedoch Gewinn erwirtschaftet werden kann. Verschärft wird dieser Umstand durch Bonusregelungen, die in Chefarztverträgen verankert sind. Betriebswirtschaftliche Zielvorgaben wie z. B. Patientenzahlen, Mengenausweitungen oder Kosteneinsparungen erhöhen den Druck auf ärztliche Führungskräfte zusätzlich, das medizinisch Notwendige wirtschaftlichen Erwägungen unterzuordnen.

Daneben sind in der Klinikleitung häufig Manager mit wenig ärztlichem Sachverstand tonangebend. Patientenorientierte Konzepte haben in der Geschäftsführung daher oftmals nur wenige Fürsprecher.

Hinzu kommt, dass die Bundesländer ihrer Pflicht nicht ausreichend nachkommen, Investitionsmittel für die Krankenhäuser zur Verfügung zu stellen. Dies führt dazu, dass Kliniken ihre Investitionen selbst finanzieren – also Gewinne erwirtschaften – müssen.

Vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung erschwert

All das hat zur Folge, dass basismedizinische Leistungen wie die Anamnese, körperliche Untersuchung und persönliche Betreuung zu kurz kommen. Unter solchen Bedingungen leiden ein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis und die Behandlungsqualität für die Patienten. Eine werteorientierte, fürsorgliche und individualisierte Medizin ist so nur noch schwierig umzusetzen.

DGIM fordert ein Umdenken

Auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Aus diesem Grund hat sie ein Positionspapier formuliert, in dem sie vor dem Gewinnstreben in der Klinikmedizin warnt und fünf Vorschläge macht, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist:

  • 1. Die Regeln des ökonomischen Wettbewerbs dürfen das medizinische Handeln zu keinem Zeitpunkt dominieren.
  • 2. Die falsche Gewichtung auf ausschließlich wirtschaftlich ertragreiche Schwerpunkte in Krankenhäusern ist nicht zu vertreten.
  • 3. Die Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin sowie zu den internistischen Schwerpunkten gehört zur Dienstaufgabe leitender Krankenhausärzte.
  • 4. Unternehmerische Entscheidungen müssen in ausgewogenem Verhältnis von leitenden Ärzten, kaufmännischen Direktoren und Pflegeleitung getroffen werden.
  • 5. Betriebswirtschaftliche Entscheidungen dürfen nicht zu einer ökonomischen Abhängigkeit führen, die ärztliche Entscheidungen in der Diagnostik und Therapie von Patienten beeinflusst.

Ärzte-Klinik-Kodex angestrebt

Neben ihrer Forderung nach einer angemessenen Vergütung für die „sprechende Medizin“ befasst sich die DGIM intensiv mit der Frage, wie die verschiedenen Akteure im Gesundheitswesen die Bedingungen für Ärzte und Patienten verbessern können. Am Ende dieser Diskussion, an der auch die Politik und der Gesetzgeber beteiligt werden sollen, soll ein „Ärzte-Klinik-Kodex“ stehen (Arbeitstitel: Medical Corporate Governance-Leitlinie für den Kliniksektor). Dieser könnte als Modellansatz für eine werteorientierte Integration ärztlichen Handelns in den derzeit durch ökonomische Leitbilder bestimmten Krankenhaussektor dienen.

Empfehlungen des Deutschen Ethikrates

Der Deutsche Ethikrat hat bereits im April 2016 Empfehlungen für eine am Patientenwohl orientierte Krankenhausversorgung formuliert. Als maßgebliches ethisches Leitprinzip stellt er das Patientenwohl in den Mittelpunkt seiner Stellungnahme. Danach bestimmen drei Kriterien das Patientenwohl:

  • Die Selbstbestimmung ermöglichende Sorge für den Patienten
  • Die gute Behandlungsqualität
  • Eine Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit

Daraus ergeben sich unterschiedliche Konfliktfelder. Diese betreffen vor allem die belastete Arzt-Patient-Beziehung sowie die zunehmenden Schwierigkeiten, berufsethische Vorstellungen umzusetzen. Zudem erweist es sich insbesondere für Patientengruppen mit besonderen Bedürfnissen als zunehmend problematisch, einen gleichen Zugang zu Krankenhausleistungen sicherzustellen. Dies betrifft Kinder und Jugendliche, Patienten in hohem Lebensalter, Patienten mit geriatrischen Erkrankungen, mit Demenz, mit Behinderung und Patienten mit Migrationshintergrund.

Anpassung des DRG-Systems empfohlen

Der Deutsche Ethikrat formuliert insgesamt 29 Empfehlungen. Neben vielem anderen empfiehlt er, den zeitlichen und organisatorischen Aufwand bei der Vergütung innerhalb des DRG-Systems zu berücksichtigen. Dies betrifft sowohl die Kommunikation mit den Patienten als auch die interprofessionelle Kommunikation. Zur Weiterentwicklung des DRG-Systems empfiehlt der Ethikrat, Fehlanreizen entgegenzuwirken, die dem Patientenwohl entgegenstehen, wie die vorzeitige oder verzögerte Entlassung oder Verlegung eines Patienten. So sollten beispielsweise für betagte Patienten, Patienten mit seltenen Erkrankungen oder Patienten mit besonderen Verhaltensauffälligkeiten neue Vereinbarungsmöglichkeiten für Zusatzentgelte geschaffen werden. Zur Vermeidung unnötiger Eingriffe und Prozeduren sollten Vergütungsmodelle entwickelt und geprüft werden, in denen auch die begründete Unterlassung etwaiger Maßnahmen ihren Niederschlag findet.

Weiterführende Hinweise

  • Schumm-Draeger, Petra-Maria et al.: Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen. Dtsch Med Wochenschr 2016; 141: 1183-1188, online unter www.iww.de/s223
  • Deutscher Ethikrat: Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus, online unter www.iww.de/s224