Medizin

Künstliche Ernährung: Lieferengpässe bei Multivitaminpräparaten

Patientinnen und Patienten, die auf die Versorgung mit Ernährungslösungen über die Vene (parenteral) angewiesen sind, benötigen auch Vitamin- und Spurenelementgaben, um ihren täglichen Bedarf daran zu decken. Die entsprechenden Präparate dafür sind aufgrund von Lieferengpässen ab sofort nur noch sehr begrenzt verfügbar. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) macht Ärztinnen und Ärzte auf diesen Engpass aufmerksam und gibt Fachkräften Empfehlungen, wie mit den knappen Ressourcen umgegangen werden sollte.

Wie Kliniken und Apotheken berichten, ist das Multivitaminpräparats Cernevit® voraussichtlich bis Januar 2022 nur in reduzierter Menge lieferfähig. Weder ein vergleichbares Präparat noch die fettlöslichen Einzelkomponenten (FrekaVit® fettlöslich und Vitalipid adult®) sind in nachgefragter Menge lieferbar. Das Produkt Vitalipid® ist im bisherigen Umfang lieferbar, kann jedoch die enorm gestiegene Nachfrage auf dem Markt aktuell nicht abdecken. Gründe für diesen Engpass sind zum einen der enorm gestiegene Bedarf an Cernevit® und zum anderen die anderweitig gebundenen Produktionskapazitäten für COVID-19-Impfstoffe. Krankenhäuser und Kliniken erhalten die Vitaminpräparate, die primär für die parenterale Ernährung eingesetzt werden, daher nur noch kontingentiert, also in begrenzten Mengen.

Immer dann, wenn ein Patient vollständig parenteral ernährt wird, ist die tägliche Gabe von Vitaminen und Spurenelementen zwingend zu empfehlen. Bei Betroffenen werden der Mund-Rachen-Raum und der Magen-Darm-Trakt umgangen, indem alle notwendigen Nährstoffe in Form von Nährstofflösungen mittels Katheter in die Blutbahn geleitet werden. „Diese Form der klinischen Ernährung wird vor allem bei kritisch kranken Patienten, die beispielsweise auf der Intensivstation liegen und ihren Bedarf an Nährstoffen nicht mehr über eine orale Nahrungsaufnahme decken können, angewendet“, sagt Professor Dr. med. Johann Ockenga, Leiter der Medizinischen Klinik II mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin am Klinikum Bremen-Mitte.

„Bei bestimmten Krankheitsbildern entwickeln sich sehr schnell Defizite. So sinkt beispielsweise der Vitamin-C-Spiegel bei chirurgischen Intensivpatienten vergleichsweise schnell“, so Professor Dr. med. Diana Rubin, DGEM-Vorstandsmitglied sowie Leiterin des Zentrums für Ernährungsmedizin an den Vivantes Kliniken in Berlin. „Bei den wenigsten Patienten ist zudem bekannt, welche Defizite sie bereits in die Klinik mitbringen. Vor allem chronisch kranke oder geriatrische Patienten weisen bei der Klinikeinweisung gravierende Mikronährstoffdefizite auf, häufig bedingt durch Mangelernährung oder die Einnahme bestimmter Medikamente.“ Wird ein Patient länger als eine Woche parenteral ernährt, so ist die Zugabe von Vitaminen und Spurenelementen unerlässlich.

Um parenteral ernährte Patienten auch weiterhin ausreichend mit Vitaminen zu versorgen, rät die DGEM Ärzten, sich an den Empfehlungen der American Society for Parenteral and Enteral Nutrition (ASPEN) zum Vorgehen bei Multivitaminverknappungen zu orientieren. „Für Patienten, die ausschließlich parenteral ernährt werden können oder für Patienten mit einem therapeutischen, medizinischen Bedarf an intravenösen Multivitaminen sollten intravenöse Multivitamine vom behandelnden Arzt reserviert werden“, sagt Rubin. „Sofern möglich, sollte eine Ernährung immer auf oralem oder enteralem Weg erfolgen“, ergänzt Ockenga. „Wenn notwendig, muss die Zufuhr intravenöser Multivitamine rationiert werden, indem zum Beispiel die Tagesdosis um 50 Prozent verringert wird.“

Weitere Informationen:

ASPEN Empfehlungen zum Vorgehen bei Multivitaminverknappungen: https://www.nutritioncare.org/Guidelines_and_Clinical_Resources/Product_Shortages/2021_Parenteral_Nutrition_Multivitamin_Product_Shortage_Considerations/

 

Anmerkung: In der am 21. Juni 2021  veröffentlichten Pressemitteilung „Fachgesellschaft warnt vor Lieferengpass bei Multivitaminpräparaten“der DGEM  kam es fälschlicherweise zu der Darstellung, dass die Produkte Cernevit® und Vitalipid® adult der Firma Baxter Deutschland GmbH „voraussichtlich bis Ende 2021 nicht lieferbar“ seien. Die korrigierte Aussage lautet, dass Cernevit® bis voraussichtlich Januar 2022 in reduzierter Menge zur Verfügung steht. Das Produkt Vitalipid® ist im bisherigen Umfang lieferbar, kann jedoch die enorm gestiegene Nachfrage auf dem Markt aktuell nicht abdecken. Die DGEM weist darauf hin, dass die ursprünglichen Empfehlungen zum Umgang bei Vitaminverknappung gültig bleiben.