Leitender Oberarzt: Es kann nur einen geben …

von Marc Rumpenhorst, Fachanwalt für Arbeits- und für Medizinrecht, Klostermann pp., Bochum, www.klostermann-rae.de

Oberärzte sind in Kliniken der leistungsstarke Mittelbau des ärztlichen Dienstes. Sie sind sowohl in der Patientenversorgung als auch bei der Weiterbildung unersetzlich. Durch die zunehmende Spezialisierung in der Medizin, die in einer Person gar nicht vereinigt werden kann, werden Oberärzte zur tragenden Säule in der Struktur der Krankenhausabteilung. Auch formal haben Oberärzte nun vielfach eine herausgehobene Stellung – etwa als „leitender Oberarzt“. Dieser wird tariflich höher gruppiert als andere Oberärzte. Wann aber ist man tatsächlich „leitender Oberarzt“?

Gehaltsunterschied von über 1.000 Euro pro Monat

Falls der Oberarzt einen Anspruch hat, als „leitender Oberarzt“ eingruppiert zu werden, sollte er hierauf bestehen – schließlich macht dies beim Gehalt einen erheblichen Unterschied aus: Während „normale“ Oberärzte bei den speziellen Ärzte-Tarifverträgen, die auch in die AVR-Caritas und AVR-Diakonie einbezogen werden, in Entgeltgruppe III eingruppiert werden, gelangen „leitende Oberärzte“ in Entgeltgruppe IV. Am Beispiel der kommunalen Krankenhäuser (TV-Ärzte/VKA) ergibt sich folgendes Bild: (Stand 2016)

  • TV-Ärzte/VKA: Eingruppierung von Oberarzt bzw. leitendem Oberarzt
    (Stand 2016)
Basis
(Euro)
nach 3 Jahren
(Euro)
nach 6 Jahren
(Euro)
Entgeltgruppe III (Oberarzt)
6.926,33
7.333,42
7.915,82
Entgeltgruppe IV (Leitender Oberarzt)
8.147,60
8.730,02

Oberarzt vs. leitender Oberarzt: Wo liegen die Unterschiede?

In den Vergütungsregelungen der einschlägigen Ärzte-Tarifverträge wird der Oberarzt definiert als „derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. der Abteilung vom Dienstgeber ausdrücklich übertragen worden ist.“

Nach den tarifvertraglichen Eingruppierungsmerkmalen ist hingegen der leitende Oberarzt „derjenige Arzt, dem die ständige Vertretung des leitenden Arztes (Chefarzt) vom Dienstgeber ausdrücklich übertragen worden ist.“

Für die Entscheidung, ob der Arzt als „leitender Oberarzt“ oder als „Oberarzt“ einzugruppieren ist, kommt es maßgeblich auf die nicht nur formal, sondern tatsächlich ausgeübte Tätigkeit an. Entspricht diese mindestens zur Hälfte der Arbeitszeit den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, so ist der Arzt nach dieser Gruppe zu vergüten.

Arzt verlangte Eingruppierung als „leitender Oberarzt“

Ein Oberarzt begehrte, nach der Entgeltgruppe des leitenden Oberarztes der AVR-Caritas eingruppiert und entsprechend vergütet zu werden. Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Köln blieb er allerdings erfolglos (Urteil vom 2.2.2016, Az. 12 Sa 700/15).

Das LAG orientierte sich an der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den nahezu identischen Tarifmerkmalen des leitenden Oberarztes im Sinne des TV-Ärzte/VKA bzw. des TV-Ärzte/TdL. Hiernach, so das Gericht, müsse das Tarifmerkmal einer I„ständigen Vertretung des Chefarztes“ erfüllt sein. Dabei genüge es für die Eingruppierung als „leitender Oberarzt“ nicht, dass der Arzt seinen Chefarzt vertrete, wenn dieser abwesend oder verhindert sei – etwa wegen Krankheit oder Urlaub.

Vielmehr müsse der „ständige Vertreter“ die Aufgaben des Chefarztes auch wahrnehmen, wenn dieser dienstlich anwesend ist. Mit anderen Worten: Der Arzt nimmt die Aufgaben des Chefarztes „neben“ ihm wahr. Der „ständige Vertreter“ müsse seine Tätigkeit auch ausüben, wenn sich der leitende (Chef-)Arzt im Dienst befinde, aber gerade nicht „greifbar“ sei, weil er mit anderen (Leitungs-) Tätigkeiten beschäftigt sei (siehe Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.2.2011, Az. 4 AZR 336/09).

[!] Es kommt also nicht darauf an, dass der ständige Vertreter des Chefarztes dessen Leitungsaufgaben tatsächlich wahrnimmt, wenn dieser abwesend ist; vielmehr müssen maßgebende Führungs- und Leitungsaufgaben im Sinne einer Zuständigkeitsregelung dauerhaft übertragen werden.

Leitender Oberarzt ist kein „Chef neben dem Chef“

Auf der anderen Seite folgt aus der „Vertretung in der Gesamtheit seiner Dienstaufgaben“ keine Gleichstellung des leitenden Oberarztes mit dem Chefarzt in der krankenhausinternen Organisations- und Verantwortungsstruktur. Der leitende Oberarzt als ständiger Vertreter muss also nicht allein zuständig sein für sämtliche Führungs- und Leitungsaufgaben, wenn der Chefarzt anwesend ist. Zwischen dem Chefarzt und seinem ständigen Vertreter besteht nach wie vor ein hierarchisches Über-/Unterordnungsverhältnis, das auch dadurch nicht aufgehoben wird, dass z. B. dem Oberarzt Aufgaben eines ständigen Vertreters übertragen wurden. Die Leitungsverantwortung verbleibt immer beim Chefarzt!

Nur ein ständiger Vertreter je Abteilung

Moderne Strukturen mittlerer und größerer Abteilungen erfordern vielfältige Aufgabenteilungen – sowohl mit Blick auf die ärztliche Spezialisierung innerhalb der Fachgebiete als auch mit Blick auf wachsende Aufgaben auf nicht-ärztlichem Gebiet. Hier ist an die Dokumentation und Kodierung im Rahmen der DRG-Vergütung bis hin zur administrativen Verantwortung in den Bereichen Dienstplanerstellung, Hygiene oder Medizinprodukte zu denken.

Muss der leitende Oberarzt um seine Eingruppierung als leitender Oberarzt fürchten, wenn der Chefarzt einen Teil der zu erfüllenden Aufgaben, die nicht originär zu seiner Führungs- und Leitungsverantwortung gehören, an andere Ärzte als den „ständigen Vertreter“ delegiert? Nein, so das LAG Köln.

Allerdings muss die Vertretung ungeteilt beim leitenden Oberarzt als ständigem Vertreter liegen. Mit anderen Worten: Innerhalb einer Klinik kann es nur einen „ständigen Vertreter“ geben. Eine Aufspaltung der Vertretung auf zwei oder mehrere Ärzte sehen die tarifvertraglichen Entgeltgruppen und Eingruppierungsmerkmale nicht vor.

[!] Wird der Oberarzt zum ständigen Vertreter bestellt und in die Entgeltgruppe eines „leitenden Oberarztes“ eingruppiert, kann kein weiterer Arzt in dieser Abteilung in diese Entgeltgruppe eingruppiert werden.

Ständiger Vertreter neben Bereichsleiter möglich

Für die Eingruppierung als leitender Oberarzt ist es hingegen nicht erheblich, dass einem anderen Arzt der Abteilung die medizinisch-fachliche Leitung eines bestimmten Bereichs zugeordnet ist. Hierzu ein Beispiel: Ist ein Oberarzt zum ärztlichen Leiter des ambulanten Operierens bestimmt worden, kann ein anderer Arzt als ständiger Vertreter zuständig sein, wenn einzelne Aufgaben des erstgenannten Oberarztes nicht dem Kreis der unmittelbaren Führungs- und Leitungsaufgaben zuzurechnen sind.

Klagender Oberarzt konnte Gericht nicht überzeugen

Im Fall vor dem LAG Köln konnte der klagende Oberarzt das Gericht nicht davon überzeugen, dass ihn der Chefarzt damit beauftragt hat, für die Gesamtheit seiner Dienstaufgaben als sein „ständiger Vertreter“ zu fungieren.

Dem Anspruch des Oberarztes stand nach Überzeugung der Richter ferner entgegen, dass in der Abteilung ein anderer Arzt mit der ständigen Vertretung des Chefarztes betraut und als leitender Oberarzt geführt und entsprechend eingruppiert war – eine Aufspaltung der Aufgaben des ständigen Vertreters auf zwei Ärzte sehen die tariflichen Eingruppierungsmerkmale nicht vor.

FAZIT | Für den Oberarzt ist es für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe der „leitenden Oberärzte“ maßgeblich, dass ihm die Tätigkeit als „ständiger Vertreter“ übertragen wurde – er also nicht lediglich den Chefarzt als „Abwesenheitsvertreter“ z. B. bei Urlaub oder Krankheit vertritt. Eine Aufteilung der Aufgaben des ständigen Vertreters auf mehrere Ärzte einer Abteilung lehnen die Kölner Richter des LAG ab. Der Grund: In jeder Abteilung kann es nur einen leitenden Oberarzt geben.