Gesundheitspolitik

Pflegereform 2017: Was ist neu?

von Dr. Marianne Schoppmeyer, Ärztin und Medizinjournalistin, www.medizinundtext.de

Zum 01.01.2017 wird das Pflegesystem umgestellt. Grundlage ist das zweite Pflegestärkungsgesetz, das nun auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen berücksichtigt. Kernstück des Gesetzes ist eine neue Definition des Begriffs „Pflegebedürftigkeit“ verbunden mit einem neuen Begutachtungsverfahren.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff

Im Vordergrund werden bei der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit in Zukunft nicht mehr die Defizite des Patienten stehen, sondern seine noch vorhandene Selbstständigkeit im Alltag. Während sich Pflegebedürftigkeit bislang vorwiegend auf körperliche Einschränkungen bezog, werden nun auch geistige und seelische Beeinträchtigungen stärker berücksichtigt. Das kommt insbesondere Demenzkranken zugute.

Was ändert sich konkret?

Die bisherigen drei Pflegestufen sowie die Anerkennung einer eingeschränkten Alltagskompetenz werden durch fünf Pflegegrade ersetzt. Patienten, die bereits Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, werden automatisch von ihrer Pflegestufe in einen neuen Pflegegrad überführt. Dabei soll niemand schlechter gestellt werden, es gilt Bestandsschutz.

Pflegebedürftige mit körperlichen Beeinträchtigungen erhalten automatisch den nächst höheren Pflegegrad. Liegt zusätzlich eine dauerhaft erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz vor, erfolgt eine um zwei Pflegegrade höhere Einstufung. Aktuell sind rund 2,8 Millionen Pflegebedürftige von dieser Umstellung betroffen.

Das neue Begutachtungsverfahren

Patienten, die nach dem 01.01.2017 einen Antrag auf Pflegebedürftigkeit stellen, werden nach dem neuen Prüfverfahren NBA („Neues Begutachtungsassessment“) durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) bei gesetzlich Versicherten bzw. durch die MedicProof GmbH bei privat Versicherten begutachtet. Künftig werden nicht mehr die Minuten zusammengerechnet, die für die Pflege aufgewendet werden müssen, sondern es wird ein kompliziertes Punktesystem angewendet. Dabei werden je nach Intensität bzw. Häufigkeit der notwendigen Unterstützung Punkte verge-ben und abhängig von der Gesamtpunktzahl der Pflegegrad des Patienten bestimmt. Mit dem neuen Begutachtungsinstrument soll zukünftig die individuelle Pflege- und Lebenssituation besser erfasst werden können. Im Mittelpunkt stehen der Mensch und seine noch vorhandenen Fähigkeiten.

Sechs Bereiche werden begutachtet

Konkret werden bei der Begutachtung sechs verschiedene Bereiche mit unterschiedlicher Gewichtung betrachtet:

  • 1. Mobilität (10 Prozent)
  • 2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • 3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (die Bereiche 2 und 3 ergeben zusammen 15 Prozent)
  • 4. Selbstversorgung (40 Prozent)
  • 5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20 Prozent)
  • 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (15 Prozent)

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff führt dazu, dass zukünftig nicht nur Menschen mit körperlichen Einschränkungen von der Pflegeversicherung profitieren, sondern gleichberechtigt auch etwa 1,6 Millionen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und kognitiven Defiziten wie beispielsweise Demenzerkrankte. Auch wird die Unterstützung früher einsetzen. In den Pflegegrad 1 werden Menschen eingestuft, die noch weitgehend selbstständig sind, aber von einer Pflegeberatung, einer Anpassung der Wohnungsgegebenheiten oder von Leistungen zur allgemeinen Betreuung profitieren.

Aufgrund dieser niedrigen Einstiegsschwelle wird sich die Zahl derjenigen erheblich erhöhen, die erstmals Leistungen der Pflegeversicherung beanspruchen. Daneben wird die Absicherung von pflegenden Angehörigen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung verbessert. Die von der Pflegekasse zu zahlenden Rentenversicherungsbeiträge steigen mit dem Pflegegrad.

Finanzierung

Für das neue Pflegestärkungsgesetz stehen laut Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ab 2017 jährlich 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Pflege zur Verfügung. Die Pflegeversicherung werde damit um etwa 20 Prozent leistungsfähiger. Um diese Kosten finanzieren zu können, wird der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte auf 2,55 Prozent angehoben, für Kinderlose auf 2,8 Prozent. Weitere Mittel werden aus den Rücklagen der Pflegeversicherung genommen. Das BMG geht davon aus, dass der Beitragssatz bis in das Jahr 2022 stabil gehalten werden kann.

Fachkräftemangel ungelöst

Auch wenn das zweite Pflegestärkungsgesetz zahlreiche Verbesserungen in der Pflege bringt, wird das Problem des Fachkräftemangels nicht angegangen. Hier besteht in vielen Regionen Deutschlands bereits jetzt ein gravierender Mangel, der sich durch den demografischen Wandel in den nächsten Jahrzehnten weiter verschärfen wird.

Ausblick: Das dritte Pflegestärkungsgesetz

Ziel des dritten Pflegestärkungsgesetzes ist es, die Kommunen vor Ort bei der Beratung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen zu unterstützen. Da Städte und Kommunen einen guten Überblick über die vorhandenen Beratungs-, Betreuungs- und Pflegeangebote vor Ort haben, sind sie am besten geeignet, diese Angebotsstrukturen zu koordinieren und zu verbessern. Dafür können sie beispielsweise neue Pflegestützpunkte für Hilfesuchende gründen, was bislang den Bundesländern vorbehalten war, oder am Aufbau niedrigschwelliger Beratungsangebote beteiligt werden.

Zudem soll es den Krankenkassen mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz erleichtert werden, gegen Abrechnungsbetrug von Pflegediensten vorzugehen. So erhalten Krankenkassen ein systematisches Prüfrecht für ambulante Dienstleister, um systematischem Abrechnungsbetrug, wie er im Frühjahr 2016 bei Intensivpflegediensten aufgetreten war, entgegenzuwirken. Wenn das dritte Pflegestärkungsgesetz wie geplant in diesem Dezember vom Bundestag beschlossen wird, kann es gleichzeitig mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz zum 01.01.2017 in Kraft treten.