Riskante Sectio trotz personeller Unterbesetzung – Oberärztin haftet für den Tod einer Mutter

Eine Schwangere verlangt während der nächtlichen Entbindung plötzlich einen Kaiserschnitt. Die behandelnde Oberärztin stimmt zu, obwohl die personellen und organsiatorischen Mittel für eine auftretende Komplikation (Blutung der Gefäße der Gebärmutter) nicht zur Verfügung stehen – weil parallel einen weitere, problematische Geburt ansteht. Einen Tag später ist die Kindsmutter tot.

Der Fall

Eine Schwangere stellte sich am 21.06.2012 um 10.00 Uhr in der 39.+1 Schwangerschaftswoche in der Klinik wegen des Verdachtes auf einen vorzeitigen Blasensprung und wegen leichter vaginaler Blutung vor. Beabsichtigt war zunächst eine vaginale Entbindung: Um 23.00 Uhr äußerte die Kindesmutter im Kreißsaal schließlich den Wunsch nach einer Sectio. Zu diesem Zeitpunkt war der Muttermund bereits 6 cm geöffnet und die Wehen wurden deutlich kräftiger.

Nach einer etwa 6-minütigen Aufklärung, wobei die Kindesmutter den Aufklärungsbogen unterzeichnete, erfolgte gegen 23.28 Uhr der Transport in den Operationssaal. Unter Vollnarkose wurde das Kind geboren. Anwesend waren eine Oberärztin und der diensthabende Assistenzarzt.

Es entwickelte sich im weiteren Verlauf eine nicht mehr zu kontrollierende Blutung, wobei die Oberärztin wegen einer parallel verlaufenden Risikogeburt für 14 Minuten den OP-Saal verlassen musste. Trotz Infusionen mit Schuss sowie manuellen Kompressionsdruckversuche konnte die Blutung nicht gestoppt werden, so dass um 00.45 Uhr eine Re-Laparotomie erfolgte. Es zeigten sich arterielle Blutungen, so dass schließlich der Chefarzt der Frauenklinik und der Oberarzt der Gefäßchirurgie hinzugezogen wurden.

Während der Operation waren mehrfache Reanimationen erforderlich und die Patientin wurde katecholamin-pflichtig. Am Folgetag wurde nochmals eine Re-Laparotomie durchgeführt. Schließlich verstarb die Kindesmutter nach Multiorganversagen am 23.06.2012 um 00.37 Uhr.

Die Bewertung des Gerichts

Der Grundtenor aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm: Eine Wunschsectio muss mit einer maximalen Planung vorbereitet werden. Auch bei einer sekundären Wunschsectio ist dieser Standard zu wahren. An die Aufklärung sind – ähnlich wie bei reinen Schönheitsoperation – hohe Anforderungen zu stellen.

Es ist keine Frage, dass eine Kindesmutter im Rahmen ihrer Entscheidungsfreiheit selbst darüber entscheiden kann, ob sie eine vaginale Entbindung oder eine Sectio wünscht. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass im Rahmen einer reinen Wunschsectio ohne medizinische Indikation (die vor Gericht von beiden Sachverständigen übereinstimmend verneint worden ist) eine regelmäßig sorgfältige Planung einer solchen Operation auch unter personellen Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Darauf hat der Sachverständige Prof. Dr. U. ausdrücklich hingewiesen, nach dessen Ansicht es sich einen Heileingriff handelt, der sowohl unter organisatorischen als auch personellen Gesichtspunkten mit maximaler Sorgfalt vorbereitet werden muss. Es müsse dabei immer der obere Rand der ärztlichen Qualität eingehalten werden.

Es hat der Sachverständige auch darauf hingewiesen, dass bei einer sekundären Sectio – also nach Geburtsbeginn – ein beachtenswert höheres Risiko besteht, die Uterusgefäße zu verletzen, so dass ein höheres Risiko sowohl für das Kind als auch die Mutter besteht. Nach seiner Darstellung muss daher sichergestellt sein, dass eine solche Wunschsectio in jedem Fall mit der zuvor genannten Sorgfalt unter Berücksichtigung aller personellen und organisatorischen Ressourcen wie bei einer geplanten Sectio durchgeführt wird.

Eine solche Situation war hier aber in der Nacht außerhalb der Kernarbeitszeit nicht sichergestellt. Die zuständige Oberärztin, musste sogar während der Operation bei noch bestehender Blutung den OP-Saal für 14 Minuten verlassen, um bei einer parallel verlaufenden Geburt, bei der es zum Geburtstillstand mit pathologischem CTG gekommen war, eine Vakuumextraktion durchführen. Zu diesem Zeitpunkt war ein Assistenzarzt zusammen mit der Hebamme allein und damit beschäftigt, die noch bestehende, wenn auch geringer gewordene Blutung, zum Stillstand zu bringen.

Er konnte die Oberärztin zwar telefonisch über die dann wieder stärker werdende Blutung informieren und ihren Anweisungen zufolge Methergin zuführen, es kann aber keine Rede davon sein, dass in dieser letztlich gefährlichen Situation, die gerade auch bei einer sekundären Sectio zu einem tödlichen Verlauf führen kann, das am besten geschulte ärztliche Personal ausreichend zur Verfügung stand.

Tatsächlich mussten erst nach weiteren Telefonaten zusätzliche Ärzte einschließlich des Chefarztes herbeigerufen werden, nachdem weder die Kompressionsversuche noch die operative Versorgung mit Lynch-Nähten die massiven Blutungen hatten stoppen können, so dass eine Reanimationspflichtigkeit entstanden war.

Nach Ansicht des Sachverständigen durfte man sich in solch einer Situation nicht einfach auf den Wunsch der Patientin einlassen, weil es einerseits das erhöhte Risiko bei der sekundären Sectio gibt und andererseits die Kindesmutter davon keinerlei Vorteil hatte. Dabei hilft auch nicht, dass nach Darstellung der Oberärztin im Zeitpunkt der Entscheidung und unterschriebenen Zustimmung zur Sectio bei der parallel laufenden Geburt die Austreibungsphase noch nicht begonnen hatte, die nach Angaben des Sachverständigen eher Risiken auftreten lässt; denn die Oberärztin hat selbst ausgesagt, dass man sich mit der Kindesmutter beeilt habe, um gar nicht erst in Schwierigkeiten zu kommen. Dabei sind aber gerade die Risiken, die bei einer sekundären Sectio bestehen, nicht ausreichend berücksichtigt worden, so dass genau zwei Probleme bei zwei Geburten auftauchten, die personell nicht von ihr als Oberärztin ausreichend betreut werden konnten.

Den Richtern fehlte die „harte Aufklärung“

Vor diesem Hintergrund kann auch dahingestellt bleiben, ob nicht zudem ein Aufklärungsmangel vorliegt, weil der Kindesmutter nicht mit deutlichen Worten erklärt worden ist, dass sie so kurz vor der Entbindung ohne Not sich selbst und auch das Kind durch erhöhte Risiken gefährdet und unnötig Gefahr läuft, ihr Kind nicht mehr aufwachsen zu sehen, weil sie im Rahmen einer sekundären Sectio möglicherweise durch nicht mehr beherrschbare Blutungen versterben kann.

Da es sich letztlich um einen medizinisch nicht indizierten Eingriff handelt, der nach Ansicht des Sachverständigen der Kindesmutter in dieser Phase keinerlei Vorteil brachte, waren die Richter der Ansicht, dass einer Mutter, die so überraschend einen solch unvernünftigen Wunsch äußert, auch die bestehende Gefahr des Todes deutlich vor Augen geführt werden muss.

[!] Insoweit muss – ähnlich wie auch bei reinen Schönheitsoperationen – eine sehr harte Aufklärung erfolgen, die dem Patienten deutlich vor Augen führt, in welche Gefahren er sich durch einen nicht notwendigen operativen Eingriff bringt.

OLG Hamm, 10. 12. 2019 – 26 U 2/18


[!] Lesen Sie dazu auch den Praxistipp von Rechtsanwalt Philip Christmann!

Sectio trotz personeller Unterbesetzung – Praxishinweise