„Tritt in den Hintern“ – und die Verjährung beginnt

von Rosemarie Sailer, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Wienke & Becker – Köln, www.kanzlei-wbk.de

Das Thema Verjährung bietet sich selten für einen Beitrag in OH an. Mit einem kuriosen Urteil schafft es jedoch das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken, die Zusammenhänge anhand eines Arzthaftungsfalls recht eindrucksvoll und auch für juristische Laien auf den Punkt zu bringen ( Urteil vom 18.05.2016, Az. 1 U 121/15 ).

Hintergrund

Ansprüche verjähren im Normalfall innerhalb von drei Jahren – auch Schadenersatzansprüche von Patienten nach Behandlungsfehlern. Die Dreijahresfrist beginnt zu laufen, wenn der Patient die Umstände kennt, die den Anspruch begründen. Doch wann diese subjektive Kenntnis (oder grob fahrlässige Unkenntnis) tatsächlich vorliegt, ist nicht immer ganz klar.

Augenarzt ließ Tumor unbehelligt wachsen

Der Sachverhalt: Eine Patientin verklagt ihren Augenarzt auf 50.000 Euro Schmerzensgeld, weil dieser ein Jahr lang trotz mehrfacher Untersuchung nicht festgestellt hatte, dass die Patientin unter einem Netzhauttumor litt. Dieser konnte ungestört wachsen und führte letztlich zur Erblindung der Patientin auf dem betroffenen Auge. Der nachbehandelnde Arzt machte ihr mit deutlichen Worten klar, was er von der Diagnoseleistung des Kollegen hielt: Man solle ihn „in den Arsch treten“.

Klage viel zu spät erhoben

Diesen Rat nahm sich die Patientin zu Herzen und erhob Klage – allerdings erst fünf Jahre später. Der Augenarzt stritt die Vorwürfe nicht ab, sondern berief sich direkt auf Verjährung – zu Recht, wie das Gericht entschied.

Denn mit seiner saloppen Aussage habe der nachbehandelnde Arzt der Patientin hinreichend deutlich gemacht, dass die Behandlung des Kollegen wohl nicht dem ärztlichen Standard entsprochen habe. Ab diesem Zeitpunkt wusste sie von den anspruchsbegründenden Umständen. Daher hätte sie längstens drei Jahre warten dürfen, bis sie die Klage erhebt. Sie wartete allerdings länger, weswegen die Klage verjährt war.

PRAXISHINWEIS | In der Praxis sind die Umstände selten so deutlich, sodass im Einzelfall schon mal darüber gestritten werden kann, ab wann der Patient wusste oder sich ihm jedenfalls hätte aufdrängen müssen, dass bei der Behandlung etwas schiefgelaufen ist. Hier aber wusste die Patientin nach den deftigen Aussagen des nachbehandelnden Arztes Bescheid, so das Gericht.