Urteil des Bundesverfassungsgerichts zeigt: Patienten genügend Bedenkzeit vor OP geben!

von Dr. Kyrill Makoski, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei Möller und Partner, Düsseldorf, www.moellerpartner.de

Wer von Patienten für den Fall einer OP-Absage ein Ausfallhonorar erhalten möchte, sollte dies ausdrücklich vereinbaren. Der Patient sollte zudem darauf hingewiesen werden, bis wann er seine Zustimmung zum Eingriff ohne finanzielle Konsequenzen widerrufen kann. In allen anderen Fällen sollte sich der Arzt zurückhalten und nicht versuchen, den Patienten finanziell unter Druck zu setzen und so zu einer Einwilligung in einen Eingriff zu zwingen. Diese Lehren kann man aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.09.2016 ziehen (Az. 1 BvR 1304/13).

Sachverhalt: Sinneswandel beim Patienten kurz vor der OP

Dem Fall zugrunde liegt ein Verfahren vor dem Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main: Ein Patient hatte eine OP einen Tag vor dem geplanten Eingriff bestätigt, wollte den Eingriff aber – nach weiterer Recherche – am Nachmittag vor der OP absagen. In der Praxis konnte er aber niemanden mehr erreichen, sodass er dem Operationstermin unentschuldigt fernblieb.

Der Arzt verlangte von dem Patienten nunmehr das entsprechende Honorar. Der Patient verteidigte sich unter anderem damit, dass er über die OP-Risiken nicht hinreichend aufgeklärt worden sei und er bei ordnungsgemäßer Aufklärung der Operation nicht zugestimmt hätte. Zudem sei ein Ausfallhonorar nicht ausdrücklich vereinbart worden.

Amtsgericht: Patient muss Ausfallhonorar zahlen

Das AG verurteilte den Patienten – ohne mündliche Verhandlung – zur Zahlung des Ausfallhonorars. Dabei stützte es sich u. a. auf die Ansicht des Arztes, der Patient sei hinreichend aufgeklärt worden. Die Rechtsmittel des Patienten blieben erfolglos, sodass er Verfassungsbeschwerde erhob. Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) auf. Das AG habe dem Patienten nicht den Schriftsatz des Arztes zusammen mit dem Urteil zusenden dürfen. Denn damit hatte der Patient keine Möglichkeit mehr, gegenüber der Ansicht des Arztes Stellung zu beziehen.

Das AG hatte sich weder mit den Einwendungen des Patienten gegen den Behandlungsvertrag noch mit dem Vorwurf auseinandergesetzt, der Arzt habe nicht korrekt aufgeklärt; beide Einreden hätten dem Zahlungsanspruch entgegengestanden. Zudem habe das AG das Vorbringen des Patienten nicht abgewogen. Es reiche zudem nicht aus, wenn das AG wegen der fehlenden Anhörung bloß formelhaft auf Urteile zweier Oberlandesgerichte hinweist – und seine Ansicht nicht mit eigenen Worten begründet.

Ausfallhonorar: Wann kann es gefordert werden?

Zur Frage des Ausfallhonorars haben sich in der Rechtsprechung einige Grundlinien herausgebildet:

  • Es muss sich um eine Leistung handeln, für die ein Termin festgesetzt ist und entsprechende Ressourcen eingeplant wurden – so z. B. bei einer plastischen Operation, für die ein OP-Saal mit Zubehör für den Patienten bereitgehalten wird oder ein Zahnarzttermin, bei dem eine anderweitige Vergabe nicht mehr möglich ist.
  • Das Ausfallhonorar umfasst i. d. R. nicht den kompletten Verdienstausfall des Arztes, sondern vor allem die unnütz aufgewendeten Kosten.
  • Den Arzt trifft dabei immer eine Pflicht zur Schadensminderung, d. h. er muss sich bemühen, eine anderweitige Vergabe des entsprechenden Termins zu erreichen. Naturgemäß wird dies eher möglich sein, je früher die Absage erfolgt. Wenn – wie im Sachverhalt – die Absage erst am Nachmittag vor der geplanten OP erfolgt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Arzt einen „Ersatz-Patienten“ für einen ähnlichen Eingriff finden kann.
  • Manche Gerichte setzen voraus, dass der Arzt das Ausfallhonorar mit dem Patienten vorher vereinbart hat. Zumindest muss er den Patienten darauf hinweisen, dass bei Absage kurz vor der OP eine Zahlung fällig wird. Dabei kann es hilfreich sein, den geforderten Betrag schon zu benennen.

Kein Honorar bei unzureichender Aufklärung

Im vorliegenden Fall hält der Patient eine unzureichende Aufklärung dem Zahlungsverlangen des Arztes entgegen – das „gefährlichste“ Argument: Denn der Arzt hat die Aufklärung und ihren Inhalt zu beweisen (§ 630h Abs. 2 S. 1 BGB). Der Arzt muss also nachweisen, dass er die Aufklärung umfassend durchgeführt hat. Insbesondere muss er alle für die Entscheidung des Patienten relevanten Faktoren benennen.

Die Aufklärung muss so früh erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung überdenken und ggf. widerrufen kann (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB); die Mindestfrist beträgt 24 Stunden. Vorliegend erfolgte die Aufklärung am Vortag der geplanten OP, d. h. sehr kurzfristig. Da es sich nicht um einen medizinisch unmittelbar notwendigen Eingriff handelte, hätte dem Patienten eine entsprechende Bedenkzeit eingeräumt werden müssen. Der Arzt hätte also besser früher als nur einen Tag vor dem geplanten Eingriff aufklären sollen, um einem eventuellen Sinneswandel des Patienten noch Rechnung zu tragen.

Ohne Aufklärung wird die Einwilligung des Patienten nicht wirksam, sodass der Arzt zum Schadenersatz verpflichtet sein kann – selbst dann, wenn er den Eingriff lege artis durchführt und der Patient nicht einmal negative Folgen davonträgt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.03.2003, Az. 8 U 18/02). Dass die Einwilligung für den operierenden Arzt besonders wichtig ist, hat auch der BGH kürzlich betont (Urteil vom 19.07.2016, Az. VI ZR 75/15).