Völlig von der Rolle? Durch klares Rollenverständnis zu mehr Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden

von Diplom-Psychologe Matthias Krack, Kraftquelle – Coaching & Beratung, Gundersheim (www.kraftquelle-coaching.de)

Die Veränderungen im Gesundheitssystem haben auch das Rollenverständnis und die Erwartungen an Klinikärzte stark gewandelt. Mit dem Wegfall klarer offensichtlicher äußerer Rollendefinitionen ist ein Großteil an Orientierung und Sicherheit verloren gegangen. Viele Fachärzte stellen ihre Berufswahl, ihre Position und ihre soziale Rolle infrage. Eine Selbstanalyse des eigenen Rollenverständnisses trägt dazu bei, die Außenwahrnehmung und das eigene Verhalten zu optimieren. So steigern Sie Ihre Effizienz und Ihr Wohlbefinden als Oberarzt deutlich.

Wandel in Kliniklandschaft und Rollenbild

Die Kliniklandschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Rentabilität, Effizienz, Qualitäts- und Kostendruck gehen einher mit einem in der Ärzteschaft besonders stark auffälligen Fachkräftemangel. Medizinisches Handeln im Klinikalltag ist geprägt durch gesetzliche Vorgaben, Dokumentationspflichten, Qualitätsmanagement-Richtlinien, betriebswirtschaftliche Vorgaben, verbindliche Verträge mit Versicherungen, eingeschränkte Budgets und eine stets angespannte Personalsituation. Der eigene Handlungsspielraum und damit auch die fachliche sowie persönliche Kompetenz werden stark eingeschränkt. Medizinisches und ethisches Handeln steht unter dem Diktat wirtschaftlicher Einschränkungen.

Damit einher geht eine große Veränderung in den Erwartungen an das medizinische Fachpersonal. Längst haben sich Strukturen, Entscheidungsprozesse und Hierarchien enorm gewandelt – und damit auch das Rollenverständnis und die -erwartungen an die jeweiligen ärztlichen Entscheidungsträger.

Position in der Hierarchie

Die Rollenvielfalt als Oberarzt – Facharzt, Anleiter, Behandler, Kollege, Führungskraft, Qualitätsmanager, Schnittstellenkoordinator etc. – sowie die erforderliche Ansprechbarkeit vonseiten der Patienten, des Pflegeteams, des Fachkollegiums oder der Verwaltung verlangen ein stets flexibles und souveränes Auftreten sowie ständige Leistungsbereitschaft. Jenseits der eigentlichen Stellenbeschreibung bestehen zusätzliche Herausforderungen darin, den „ungeschriebenen“ Erwartungen gerecht zu werden.

Work-Life-Balance

Früher stand die Frage im Vordergrund: „Was muss ich tun, um erfolgreich zu sein?“ Im Laufe der eigenen Karriere, der persönlichen sowie familiären Entwicklung ändert sich die Frage in: „Was brauche und erwarte ich?“ Damit wendet sich die Fragerichtung nach innen: „Was tut mir gut? Welche Ziele habe ich? Wie balanciere ich Berufliches und Privates, sodass es mir Sinn und Erfüllung gibt?“ Auch wird der Begriff „Erfolg“ anders mit Leben gefüllt. So steht mit der Zeit z. B. nicht mehr die Position „Chefarzt“ oder „niedergelassener Facharzt“ bedingungslos als oberstes Karriereziel fest.

Der Nutzen einer klaren Rollendefinition

Rollen vereinfachen das Geschehen: Sie verleihen personale Identität, machen die Kommunikation untereinander berechenbarer, sorgen für Stabilität im System und ermöglichen es, wichtige Themen an bestimmte Personen zu delegieren. Auch Tabus oder Konflikte können verdeutlicht und effektiver ausgetragen werden, wenn bestimmte Rolleninhaber als „Thementräger“ identifiziert werden. Eine eindeutige Rollenverteilung ist ein durchaus ökonomischer Vorgang. Er erspart Reibungsverluste, die durch ständig neues Ausbalancieren entstehen würden. Fällt jemand jedoch unerwartet aus der Rolle, beeinflusst dies auch alle anderen Gruppenmitglieder. Rollenuntreue kann somit für viel Aufruhr sorgen, schafft aber gleichzeitig die Möglichkeiten dafür, Themen neu in den Fokus zu rücken und auch neu zu verhandeln.

Die gruppendynamische und die psychologische Rolle

Psychologisch gesehen übernimmt jeder die Rolle, die ihm „spielbar“ und lohnend erscheint. Das heißt, dass wir zum einen zu Rollen neigen, die uns vertraut sind, uns naheliegen und automatisiert abgerufen werden können. Zum anderen sind Rollenübernahmen durch die zu erwartende Belohnung motiviert. Dabei kann die Währung der Belohnung unterschiedlich sein: Zuwendung, Aufmerksamkeit, materieller Erfolg, Macht oder einfache Duldung.

Bei der Betrachtung der Rollenverteilung sind vor allem zwei Formen interessant: die gruppendynamische und die psychologische Rolle. Die gruppendynamische Rolle betrachtet die Interaktion von Individuen und den wechselseitigen Einfluss. Diese Rolle ist von Situation zu Situation variabel. Die psychologische Rolle wird als zur Person gehörig verstanden und ist durch unsere Veranlagung oder individuelle Prägung als eher stabil zu betrachten.

Die gruppendynamische Rolle

Gruppendynamisch betrachtet werden Rollen in erster Linie als das Ausmaß des Einflusses auf das Gruppengeschehen beschrieben. Die Rollenverteilung ist nicht auf bestimmte Personen fixiert, sondern variiert je nach Situation, Thema und Organisationsklima. Es werden hauptsächlich folgende Rollen unterschieden:

  • Der „(inoffizielle) Führer“, der als Meinungsbildner die Gruppenmeinung unabhängig von seinem hierarchischen Status beeinflusst
  • Der „Unterstützer“ bzw. der „Mitläufer“, der sich der vorherrschenden Meinung anpasst und die Gruppe bei der Umsetzung unterstützt
  • Der „Experte“ oder „Außenseiter“, der eher distanziert bleibt und am ehesten seine fachliche Expertise einbringt
  • Der „Sündenbock“, an den die Tabuthemen delegiert werden bzw. an dem letztlich vieles Unangenehme oder Konflikthafte hängenbleibt

Die psychologische Rolle

Psychologische Rollen können auf der Basis individueller lebenslanger Erfahrungen quasi als „Charakterrolle“ als qualitativer klimatischer Beitrag verstanden werden. Unter Stress reagieren Menschen verstärkt im Sinne ihres natürlichen Verhaltens bzw. ihrer psychologischen Rolle. Man greift auf bewährtes vertrautes Verhalten zurück – selbst auf die Gefahr hin, dass dies in der aktuellen Situation wenig zielführend ist.

Das prozessorientierte Rollenmodell

In Anlehnung an Friedmann können „sachtypische“, „handlungstypische“ und „beziehungstypische“ Rollen unterschieden werden. Sie kombinieren die psychologische und gruppendynamische Rolle und geben Hinweise zur persönlichen Optimierung.

Sachtypen (Kopfmenschen)

Sachtypen wenden vor allem kognitive Strategien an, um Probleme anzugehen und sich selbst zu definieren. Unter Stress ziehen sie sich aufs Denken zurück, statt die Dinge aktiv zu regeln und empfinden sich letztlich als Opfer der Umstände bzw. des Systems. Der „gutmütige Beobachter“ ist ein klarsichtiger Denker, doch eher distanziert und neigt dazu, sich weniger zu engagieren. Der „loyale Skeptiker“ denkt tief nach und klärt sein Wollen, läuft jedoch Gefahr, sich im Grübeln zu verlieren. Der „optimistische Pragmatiker“ handelt durchdacht und zukunftsorientiert, aber gelegentlich zu ichbezogen.

Handlungstypen (Bauchmenschen)

Handlungstypischen Rollen ist gemeinsam, dass sie sich aktiv engagieren. Sie tun dies allerdings bisweilen auch über ein gesundes Maß hinaus, sodass sie oft als Verfolger wahrgenommen werden und den Kontakt zum eigenen Fühlen verlieren. Der „faire Kämpfer“ übernimmt gern Verantwortung und Führung, verrennt sich aber oft in Vorurteile. Der „kameradschaftliche Macher“ kann kollegial handeln, sich aber auch in Nebensächlichkeiten verlieren. Als verlässlicher und sozial eingestellter „ethischer Unterstützer“ neigt man dazu, andere zu regulieren und hohe Erwartungen zu formulieren.

Beziehungstypen (Herzmenschen)

Beziehungstypisches Rollenverhalten ist dadurch gekennzeichnet, dass Emotionalität, Spontaneität und positives Beziehungsverhalten im Vordergrund stehen. Dies kann allerdings zu „kopflosem“ Verhalten führen. Beziehungstypen engagieren sich gerne als Retter, machen sich jedoch häufig abhängig vom Urteil anderer. Der „begeisterungsfähige Helfer“ ist engagiert und zugewandt, möchte jedoch andere im Sinne des Helfersyndroms retten. Der „liebenswürdige Gewinner“ bringt brilliante Leistungen, hat aber die Tendenz, sich und andere zu manipulieren. Der „anspruchsvolle Romantiker“ zeigt sich kultiviert und gefühlstief, neigt aber dazu, andere abzuwerten.

Persönliche Optimierung

Das prozessorientierte Modell der Sach-, Handlungs- und Beziehungstypen gibt zusätzlich wichtige Anhaltspunkte für den nächsten Schritt zur persönlichen Optimierung:

  • Für Sachtypen ist es wichtig, ins Handeln zu kommen und Verantwortung zu übernehmen: aktiv werden, Spontaneität steigern, Angst vor Fehlern verringern, sich festlegen und Selbstzweifel überwinden
  • Handlungstypen tun gut daran, ihr Beziehungsverhalten zu verbessern und ihr Wohlbefinden zu berücksichtigen: andere nicht bevormunden, Geduld üben, aktiv zuhören, Erwartungen relativieren und achtsam sein
  • Beziehungstypen werden effektiver, wenn sie öfter innehalten und durchdachter handeln: sich auf sich besinnen, reflektieren, authentisch sein, sich vom Urteil anderer weniger abhängig machen

Die eigene Rolle finden und optimieren

Lohnend auf dem Weg zu einem eigenen Rollenverständnis ist zunächst die ehrliche Selbstanalyse. Eine solche Bestandsaufnahme kann bereits erste Handlungsimpulse initiieren. Mögliche Fragestellungen dafür sind:

  • Welche Rolle(n) nehme ich oft ein? Welche der oben beschriebenen Verhaltensweisen trifft am ehesten auf mich zu?
  • Welche Rolle(n) fallen mir leicht? Welche fallen mir eher schwer?
  • Wie nehme ich meinen eigenen Einfluss im System wahr? Welche Potenziale habe ich bislang noch zu wenig genutzt?

In einem zweiten Schritt sollten Sie den Blick in Richtung eigene Werte und erwünschte Haltungen lenken:

  • Was war meine Grundmotivation, diesen Beruf zu ergreifen? Wofür steht für mich mein Beruf, meine Rolle, meine Position?
  • Wofür bin ich auch in schwierigen Zeiten eingetreten? Was hat mich „bei der Stange“ gehalten?
  • Wofür möchte ich mich zukünftig mehr engagieren? Wofür weniger?
  • Welche innere Haltung kann dabei hilfreich sein? Über welche Ressourcen verfüge ich? Wer oder was kann mich dabei unterstützen? Von wem muss ich Widerstand erwarten und wie möchte ich damit umgehen?

  • Alternativ können Sie Ihr Selbstmanagement wie folgt optimieren
  • 1. Skizzieren Sie, mit welchen Personen bzw. Positionen Sie in Ihrem beruflichen Kontext zu tun haben.
  •  2. Priorisieren Sie die Rolleninhaber nach ihrer Wichtigkeit für Ihren Arbeitsalltag. Das erleichtert es Ihnen, unter den mannigfaltigen Erwartungen dieser Rollenträger an Sie die für Sie relevanten Anforderungen zu identifizieren. Notieren Sie die offiziellen und inoffiziellen Erwartungen der jeweiligen Person an Sie. In der Regel entfalten vor allem die unausgesprochenen, teils selbst hineininterpretierten Erwartungshaltungen die größte Wirkung auf Ihr Erleben und Verhalten.
  •  3. Reflektieren Sie, welche der Erwartungen für Sie relevant sowie wichtig und welche Rollen für Sie bedeutsam sind. Entscheiden Sie dann, welchen Erwartungen Sie deshalb zukünftig weniger gerecht werden wollen oder müssen.