Eine neue Stelle als Oberarzt? – So vermeiden Sie einen Fehlstart!
von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung – Coaching – Moderation, www.ihrcoach.com
Endlich sind alle Hürden des Bewerbungsverfahrens genommen und die Verträge für die neue Oberarztstelle unterzeichnet. Damit die ersten 100 Tage rund laufen, sollten Sie den Start systematisch gestalten. Und: Wer eine neue Aufgabe übernimmt, verlässt auch immer eine alte Position. Nur wer konstruktiv aus der alten Klinik aussteigt, handelt professionell. Die Devise „Nix wie weg“ schadet nicht nur den alten Kollegen und Ihrem Nachfolger, sondern meist auch der eigenen Karriere. Denn die Redensart „Man sieht sich immer zweimal im Leben“ hat durchaus ihre Berechtigung.
Fallstricke der ersten 100 Tage – ein Beispiel
Vor sechs Wochen hat ein leitender Oberarzt seine neue Position mit großem Enthusiasmus übernommen. Doch in der kurzen Zeit hat nicht nur seine Motivation deutlich gelitten, ihm sind bereits Zweifel an seiner Entscheidung gekommen: Seine Einarbeitung verläuft planlos, das Team trauert dem alten leitenden Oberarzt nach, eine Mitarbeiterin macht Stimmung gegen den Neuen, weil sie sich bereits als Inhaberin der Position wähnte.
Chefarzt hat keine Zeit – die Familie wird unzufrieden
Erschwerend hinzu kommt, dass sein Chefarzt keine Zeit für ihn hat und zudem der Krankenstand sehr hoch ist. Trotz dieser Umstände muss natürlich das Tagesgeschäft in der Klinik möglichst reibungslos laufen. Langsam beginnen die Familienmitglieder wegen der knappen gemeinsamen Zeit zu murren. Seine Situation erscheint ihm inzwischen beinahe ausweglos: „Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich bei meiner alten Klinik geblieben“, denkt er.
Oberarzt will Zeichen setzen
An diesem Punkt angekommen, unterlaufen ihm bereits erste Fehler: Die unterschiedlichen und sich teilweise widersprechenden Erwartungen von Chefs, Kollegen und Mitarbeitern werden weder geklärt noch systematisch analysiert. Stattdessen beginnt der Oberarzt, Veränderungen gegen Widerstände durchzusetzen – auch, um das eigene Revier abzustecken.
Die Folge: Sehr schnell setzt eine Eskalation nach unten ein. Die Last für den Neuen wird größer und die Arbeitsatmosphäre kälter. Gleichzeitig nehmen die Konflikte und die Anspannung bei allen Beteiligten zu.
Acht Grundregeln für die Übernahme von Leitungspositionen
Was können Sie als Oberarzt tun, um einen solchen Fehlstart zu vermeiden bzw. eine solche Situation zu entschärfen? Es gibt einige Grundregeln, mit denen Sie die häufigsten Fallstricke umgehen können:
- 1. „Der Klinikbetrieb hat auch ohne mich funktioniert …“ – diese Grundhaltung schützt Sie, Leistungen des Vorgängers und seines Teams abzuwerten.
- 2. Machen Sie sich klar: Der Einstieg in eine Leitungsposition ist eher ein Triathlon als ein Sprint. Es braucht Zeit, um herauszufinden, wie die Klinik, ihre Menschen und Prozesse „ticken“.
- 3. Wichtig: Stellen Sie Fragen, hören Sie zu, zeigen Sie Interesse.
Das sind die wichtigsten drei Verhaltensweisen während der Startphase. Nur so machen Sie sich Ihr eigenes Bild von den Mitarbeitern und ihren Arbeitsaufgaben. Wer hingegen gleich zu Beginn Lösungsvorschläge verbreitet und gegenüber Meinungen Zustimmung oder Ablehnung ausdrückt, schreckt ab. Denn solche Äußerungen entbehren meist einer soliden Grundlage und wirken daher unprofessionell. Nur wer sich sein eigenes Bild macht und die Fakten analysiert, kommt zu einem seriösen Urteil.
- 4. Legen Sie zu Beginn der Einarbeitungszeit einen Gesprächsplan fest und arbeiten Sie diesen konsequent ab. Er umfasst folgende Dialogpartner:
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- Vorgesetzte,
- Kollegen,
- Mitarbeiter und
- Inhaber von Schlüsselpositionen.
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- 5. Nach acht bis zehn Wochen ist die Phase der Bestandsaufnahme abgeschlossen. Nun haben Sie eine solide Basis für die Entwicklung eines langfristig angelegten Klinikkonzepts, das folgende Aspekte berücksichtigt:
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- Balance zwischen Bewahren und Verändern halten,
- Prioritäten setzen,
- betroffene Mitarbeiter früh beteiligen und
- dabei vorhandene Hierarchien beachten.
- 6. Verzichten Sie auf Vergleiche mit der alten Klinik nach dem Motto: „In der alten Klinik haben wir das aber immer anders gemacht!“
- 7. Gewinnen Sie Vorgesetzte, Kollegen und Mitarbeiter mit konstruktiven Gesprächen für neue Vorhaben. Wer dauerhaft gegen Widerstände anarbeitet, verschleißt sich und andere.
- 8. Messen Sie die Mitarbeiter an ihren Erfolgen, nicht an ihren Misserfolgen.
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Du oder Sie? – Das Dilemma mit der richtigen Anrede
Ein häufig unterschätzter Aspekt bei der Übernahme einer neuen Position ist die Wahl der richtigen Anrede. Wie sollten Sie es als ärztliche Leitungskraft mit dem „Du“ halten? Und was ist, wenn Sie beispielsweise aus den eigenen Reihen in eine Leitungsposition befördert wurden und die früheren Kollegen nun zu Mitarbeitern werden, die Sie führen müssen?
Generell gilt: Das einmal angebotene „Du“ kann nicht wieder aufgehoben werden – erst recht nicht von einem Oberarzt, der aus den eigenen Reihen befördert wurde. Ist diesem Fall helfen „Abnabelungsgespräche“. Diese führen Sie mit allen ehemaligen Kollegen und verdeutlichen, was Ihre Beförderung für die Zusammenarbeit bedeutet und was Sie erwarten. Zudem hilft eine „Inthronisation“ durch den Chefarzt bei einer Team-Besprechung: „Herr X ist ab heute Oberarzt. Bitte unterstützen Sie ihn in dieser Funktion!“
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Das „Du“ nicht vorschnell anbieten
Wenn Sie als Leitungskraft von außen in eine Klinik oder Station kommen, in der sich alle duzen, sollten Sie trotzdem gut überlegen, ob sie Ihren Mitarbeitern das „Du“ anbieten möchten. Häufig verleiten Unsicherheiten im Führungshandeln dazu, sich durch das „Du“ einen vermeintlichen Schonraum zu verschaffen, der Nähe und Vertrauen suggeriert. Dabei sollten Sie jedoch nicht vergessen, dass die Beziehung zwischen Leitungskraft und Mitarbeitern durch die vertrautere Anrede schneller an Profil verlieren kann und sich die Balance zwischen Nähe und Distanz unweigerlich verschiebt.
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Auch beim „Du“ auf Disziplin achten
Nicht immer ist die Frage nach dem „Du“ oder „Sie“ für eine Leitungskraft leicht zu beantworten. In einer Klinikkultur, in der das „Du“ vorherrscht, kann man eventuell nicht dauerhaft das „Du“ verweigern. Dann allerdings wird die Konzentration auf das wirksame Führungshandeln umso wichtiger. Letztlich unterscheidet erfolgreiche Führung nur wenig zwischen „Du“ oder „Sie“.
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