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Entbinden ohne Trauma – Wie eine sensible Geburtsbegleitung gelingt

Eine Geburt ist ein physisch und emotional überwältigendes Ereignis. Es sind im Wortsinn gewaltige Vorgänge, die in und mit dem Körper einer werdenden Mutter stattfinden. Nicht allen Frauen gelingt es, das als positiv zu erleben – einige fühlen sich sowohl der Situation als auch den Geburtshelfenden hilflos ausgeliefert, erleben Angst oder überdurchschnittliche Schmerzen. Warum eine Geburt zum traumatischen Erlebnis werden oder alte Traumata wiederbeleben kann, welche Risikofaktoren es hierfür gibt und wie eine traumasensible Geburtsbegleitung dem entgegenwirken kann, darüber klärt die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM) auf.

In der Geburtshilfe muss manchmal schnell reagiert werden, um Gefahren für Mutter und Kind abzuwenden. Dann weiß oft die Gebärende von allen Anwesenden am wenigsten darüber, was gerade entschieden wird und warum. Ein Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit kann sich hier, aber auch während einer komplikationslosen Geburt einstellen. „Wir gehen davon aus, dass mehr Frauen als allgemein angenommen ihre Geburt traumatisch erleben“, sagt Professorin Dr. med. Kerstin Weidner, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik der TU Dresden. Das Gefühl, einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein, sei eine der klassischen Ursachen für posttraumatischen Stress.

Geburtstraumata belasten die Mutter-Kind-Beziehung

In Studien wurden bei rund jeder achten Frau – bei zwölf Prozent – nach der Entbindung solche posttraumatischen Stresssymptome festgestellt; bei fünf Prozent lag sogar eine voll entwickelte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor. „Sie ist gekennzeichnet durch anhaltendes Bedrohungsempfinden, wiederholtes gedankliches Durchleben des Traumas und das Vermeiden möglicher Triggersituationen“, erklärt Weidner. Auch depressive Verstimmungen zählen zu den häufigen Symptomen. „In dieser Verfassung fällt es vielen Müttern schwer, eine befriedigende und stabile Bindung zu ihrem Kind aufzubauen“, so die DGPM-Expertin. Manche zögen sich zurück und könnten keine Muttergefühle entwickeln. Zugleich machten sie sich deswegen Selbstvorwürfe, was zusätzlich belaste.

Auf das subjektive Erleben der Gebärenden kommt es an

Den Schlüssel dafür, dass es nicht so weit kommt, hält auch das geburtshilfliche Personal in der Hand. „Wie die Geburt erlebt wird, wird wesentlich durch die Interaktion und Kommunikation des Fachpersonals mit der gebärenden Frau, aber auch dem Partner oder der Partnerin bestimmt“, erläutert Weidner. Nach den Empfehlungen der WHO sollte dabei das emotionale, also das subjektive Erleben der Frau im Fokus stehen – denn was während einer Geburt als traumatisch empfunden wird, kann sehr unterschiedlich sein. „Das macht es schwer, verallgemeinernde Aussagen zu formulieren“, räumt Weidner ein. In Studien sei jedoch belegt, dass eine emotional unterstützende und respektvolle Geburtsbegleitung einen starken protektiven Einfluss habe.

Schwangere gezielt nach Vortraumatisierungen fragen

Je nach Vorgeschichte der Schwangeren können auch geburtsspezifische Trigger Erinnerungen an traumatisches Erleben in der Biografie wachrufen, etwa die Anwesenheit männlicher Fachkräfte im Kreißsaal oder bestimmte Sinneseindrücke, Schmerzen oder Untersuchungen und Gebärpositionen. „Daher ist es sinnvoll, sowohl allgemeine als auch individuelle Risikofaktoren für ein traumatisches Geburtserleben zu kennen und Frauen mit erhöhtem Risiko zu identifizieren“, betont Weidner. Besonders häufig erleben Frauen eine Geburt als traumatisch, wenn die Schwangerschaft ungeplant war, ihr Umfeld sie nur wenig unterstützt oder wenn sie bereits früher ein traumatisches Geburtserlebnis, einen Unfall oder eine körperliche, sexuelle oder emotionale Gewalterfahrung hatten. Kerstin Weidner plädiert daher dafür, bereits während der Schwangerschaftsvorsorge oder Geburtsvorbereitung gezielt nach einer Vortraumatisierung zu fragen. „Aber auch betroffene Frauen sollten wissen, dass es hilfreich ist, persönliche Gewalterfahrungen früh zu thematisieren“, so die Klinikdirektorin.

Tätersprache meiden, Stoppzeichen vereinbaren und erklären

Um dem Gefühl des Ausgeliefertseins und der Hilflosigkeit entgegenzuwirken, sollten insbesondere während einer Geburt alle Behandlungsschritte erklärt, die werdende Mutter nach Möglichkeit in alle Entscheidungen eingebunden und Stoppzeichen vereinbart werden. „Als vermeidbare Trigger während der Geburt gelten außerdem das Gefühl, von den Fachkräften ignoriert zu werden, aber auch unangekündigte oder unsensible Untersuchungen“, so Weidner. Auch Anweisungen im Befehlston wie „Lassen Sie locker!“ oder „Machen Sie die Beine breit!“ sollten unbedingt vermieden werden – das erinnert an die sogenannte „Tätersprache“, wenn die Frau biografische Gewalt erlebt hat. „Diese Maßnahmen werden unter dem Schlagwort ‚traumasensible Geburtshilfe‘ zusammengefasst und sollten im Kreißsaal Standard sein“, sagt Weidner. Voraussetzung hierfür sei allerdings eine ausreichende Anzahl gut geschulter Fachkräfte, die ohne Zeitdruck agieren können.

Innerhalb von 72 Stunden intervenieren

Nach der Geburt sollte im Rahmen einer Nachbesprechung nach dem Geburtserleben gefragt und nicht gewartet werden, bis mögliche Traumasymptome offensichtlich werden. „Es gibt Hinweise, dass ein offenes, empathisches Gespräch, Psychoedukation und das erklärende Aushändigen von Selbsthilfematerialen innerhalb von 72 Stunden oder auch die Vermittlung in weiterführende Angebote eine PTBS oder Depression verhindern und die Mutter-Kind-Bindung fördern können“, betont Weidner. Frauen mit Symptomen oder einem ausgeprägten Risikoprofil könnten so außerdem frühzeitig erkannt und an eine psychosomatische oder psychiatrische Abteilung – am besten mit speziellem Mutter-Kind-Angebot – weitergeleitet werden. „Hier, wie auch im Vorfeld der Entbindung, ist eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig“, so Weidner. Sie könne wesentlich dazu beitragen, dass mehr Mütter die erste Zeit mit ihrem Kind unbeschwert genießen könnten.

Kerstin Weidner et al.: Traumatische Geburt und traumasensible Geburtsbegleitung. Nervenarzt 2023 Sep;94(9):821. doi: 10.1007/s00115-023-01536-x.