Kann ein Patient mit starken Schmerzen noch rechtswirksam aufgeklärt werden?
Wer als Patient stationär in einer Klinik aufgenommen wird, hat häufig Schmerzen. Einer rechtlichen Wirksamkeit des Aufklärungsgesprächs steht dies im Regelfall nicht entgegen. Doch ab welchem Schmerzgrad wird es kritisch, sodass die Aufklärung unwirksam sein könnte? Der Oberarzt sollte drei Szenarien kennen, um rechtssicher handeln zu können.
von Dr. Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de
Szenario 1: Wirksame Aufklärung trotz Schmerzen
Trotz starker Schmerzen bleibt der Patient regelmäßig einwilligungsfähig und die Aufklärung daher rechtlich wirksam – dies zeigt ein Fall, der durch das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit Urteil vom 1. Oktober 2014 entschieden wurde (Az. 5 U 463/14)).
Der Sachverhalt
In diesem Fall ging es um eine Patientin, bei der die Gallenblase operiert wurde. Dabei wurde die Arteria hepatica dextra verletzt, was zum Absterben der rechten Seite der Leber führte. Der Operateur durchtrennte die Arteria hepatica dextra in der fälschlichen Annahme, es handele sich um die Arteria cystica. Zu dieser Gefäßverwechselung kam es aufgrund einer äußerst seltenen anatomischen Besonderheit bei der Patientin.
Die Patientin warf dem Arzt vor, er habe sie fehlerhaft behandelt; sie rügte zudem, sie sei präoperativ mangelhaft aufgeklärt worden. Über Risiken im Zusammenhang mit etwaigen anatomischen Varianten etwa habe der Arzt kein Wort verloren. Im Verlauf des Prozesses stützte die Patientin die Klage zusätzlich auf die Behauptung, sie sei wegen starker Schmerzen an dem Tag der Aufklärung gar nicht einwilligungsfähig gewesen.
Die Entscheidung
Das OLG Koblenz kippte das erstinstanzliche Urteil und wies die Haftungsklage als unbegründet ab. Wegen der äußerst seltenen anatomischen Besonderheit sei dem Operateur die Gefäßverwechselung nicht als Behandlungsfehler anzulasten. Auch einen Aufklärungsfehler sahen die Richter nicht.
Das Gericht hob hervor, die Patientin habe erst dann behauptet, am Tag der OP einwilligungsunfähig gewesen zu sein, nachdem das erstinstanzliche Gericht sie bei der Anhörung darauf hingewiesen hatte. Die Einwendung habe ihr das vorinstanzliche Landgericht gewissermaßen „in den Mund gelegt“. Ein derart starkes Ausmaß der Schmerzbeeinträchtigung, das auf eine Einwilligungsunfähigkeit schließen lasse, sei nicht nachgewiesen worden. Trotz der dokumentierten „kolikartigen Schmerzen im rechten Oberbauch“ sei von einer wirksamen Aufklärung auszugehen – so die Richter des OLG Koblenz.
Beweislastfür Behauptung der fehlenden Einwilligungsfähigkeit
Das Gericht begründete seine Einschätzung wie folgt: Die Einwilligungsfähigkeit beim erwachsenen Menschen sei die Regel. Wenn der Patient dies in Abrede stellen wolle, trage er die Beweislast – zumindest dann, wenn die Gesamtschau der unstreitigen medizinischen Fakten die fehlende Einwilligungsfähigkeit nicht eindeutig indiziere. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass starke Schmerzen die Einwilligungsfähigkeit immer einschränken oder aufheben würden, gebe es nicht – so das OLG ausdrücklich.
„Zittrige“ Unterschrift beweist nichts
Die Patientin habe ihre Einwilligungsunfähigkeit aufgrund von Schmerzen nicht beweisen können, so die gerichtliche Wertung. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Unterschrift der Patientin auf der Einverständniserklärung „zittrig“ gewesen sei. Es sei hierbei zu berücksichtigen, dass die Patientin die Unterschrift noch auf der Untersuchungsliege geleistet habe. In einem derartigen Fall könne die Unterschrift aus Gründen „zittrig“ werden, die mit dem Ausmaß der Schmerzbeeinträchtigung nichts zu tun haben.
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Szenario 2: Keine Einwilligung ab bestimmtem Schmerzgrad
Wenn der Schmerz ein bestimmtes Ausmaß überschritten hat, kann dies den Patienten einwilligungsunfähig machen. Dann kann rechtlich weder wirksam aufgeklärt noch eingewilligt werden. Dies hat beispielsweise das OLG Frankfurt mit Urteil vom 19. Mai 1983 in einem Fall bejaht, bei dem der Patient so stark unter Schmerzen litt, dass er „völlig auf diese fixiert und in der Aufnahmefähigkeit eingeschränkt“ erschien (Az. 1 U 65/80).
Szenario 3: Die mutmaßliche Einwilligung des Patienten
Kann der Patient nicht aufgeklärt werden, weil es sich etwa um einen Notfall handelt oder weil er bewusstlos ist, kommt eine mutmaßliche Einwilligung als Begründung für die Rechtmäßigkeit des operativen Eingriffs in Betracht. Dies kann auch den Fall betreffen, dass der Patient vor Schmerzen fast bewusstlos und nicht entscheidungsfähig ist. Der Arzt darf den Eingriff aber trotzdem durchführen, wenn angenommen werden kann, dass ein verständiger Patient in den Eingriff eingewilligt hätte.
Fall des OLG Naumburg
Mit Urteil vom 6. Februar 2014 (Az. 1 U 45/13, Abruf-Nr. 186729) hatte das OLG Naumburg über einen Fall zu entscheiden, in dem es um eine innergeburtliche Periduralanästhesie (PDA) ging: Unter der Geburt konnte die – teilweise ohnmächtige und nicht mehr ansprechbare – Mutter nicht mehr über das Legen der PDA entscheiden. Die Geburt konnte aber auch nicht unterbrochen werden, um die Einwilligung der Patientin einzuholen. Somit sei es an den Geburtshelfern gewesen, sorgfältig zu prüfen und zu beurteilen, wie sich eine verständige Gebärende in dieser Situation entschieden hätte.
Diese Einschätzung hätten die Beteiligten im dortigen Fall zutreffend vorgenommen, befand das OLG Naumburg: Die Patientin hätte die PDA gebilligt, wenn sie in dieser Situation selbst hätte entscheiden können, so das Gericht. Daher verwarf es die Aufklärungsrüge der Patientin.
Hinweise für den Arzt
Es bleibt dabei: Wenn der Patient einwilligungsfähig ist, müssen Sie ihn als Arzt aufklären, damit er befähigt wird, selbst zu entscheiden! Er kann dann nicht übergangen werden. Ist der Patient einwilligungsfähig, bleibt für die Rechtsfigur der mutmaßlichen Einwilligung kein Raum.
Rechtzeitig aufklären bei vorhersehbarer Einwilligungsunfähigkeit!
Ist vorhersehbar, dass während der Operation möglicherweise eine Entscheidung für die eine und gegen eine andere Methode getroffen werden muss, der Patient dann aber sediert und daher nicht mehr einwilligungsfähig sein wird, muss er hierüber vor dem Eingriff aufgeklärt werden. Dies ist insbesondere in der Geburtshilfe von Relevanz, kann aber auch bei allen sonstigen Operationen in entsprechender Konstellation notwendig sein.
Patienten wenden in vielen Situationen Schmerzen als Gegenargument ein
Nicht nur bei der präoperativen Aufklärung, sondern auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen kann der Einwand des Patienten, er habe Schmerzen gehabt, eine Rolle spielen – z. B. wenn es um die Unterzeichnung des Krankenhausausnahmevertrags oder der Wahlleistungsvereinbarung geht. Hier argumentieren Patienten in Vergütungsprozessen häufig, dass der Vertragsschluss rechtlich unwirksam sei; sie hätten aufgrund der starken Schmerzen gar nicht gewusst, was sie da unterschreiben.
Rechtlich geht es dann nicht um die Frage, ob der Patient einwilligungsfähig, sondern ob er geschäftsfähig war. Hierbei gilt: Wenn die Unterschrift des Patienten vorliegt, muss dieser darlegen und beweisen, dass er geschäftsunfähig war – sofern er sich im Prozess darauf beruft. Dies bedeutet: Gelingt dieser Nachweis nicht, geht dies zulasten des Patienten. Juristisch bestehen recht hohe Anforderungen, um eine Geschäftsunfähigkeit darzulegen. Bei Schmerzen muss der Patient nachweisen, dass er sich „im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit“ befunden hat. Erforderlich ist eine hochgradige Bewusstseinstrübung, was auch bei starken Schmerzen in der Regel kaum nachzuweisen sein wird.
FAZIT | Auch wenn der Patient im Prozess einwendet, er habe während der Aufklärung Schmerzen gehabt, führt dies in der Regel nicht dazu, dass er sich seinen Zahlungspflichten entziehen kann. Nur unter den dargelegten Voraussetzungen hat er vor Gericht eine Chance, seiner Zahlungspflicht zu entgehen. |