Klinische Entlassungsbriefe: Viele Hausärzte verstehen die Arztbriefe nicht

Klinische Entlassungsbriefe („Arztbriefe“) sind das wohl wichtigste Kommunikationsmittel zwischen Krankenhausärzten und den Kollegen in der hausärztlichen Praxis. Sie erfüllen zudem eine Dokumentationspflicht. Trotz dieser fundamentalen Bedeutung fehlt in den Texten nicht selten die Nachvollziehbarkeit diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen.

Schwer zu verstehende oder missverständliche Arztbriefe sind Ursache zahl- und folgenreicher Missverständnisse. Um der Informationssicherung zu dienen, müssen sie u.a. präzise und schlüssig formuliert sein. Ärzte müssen darauf vertrauen können, dass sie alle relevanten Informationen in nachvollziehbarer Weise in einem Arztbrief vorfinden.

Im Rahmen einer Analyse von klinischen Entlassungsbriefen („Arztbriefen“) wurden bundesweit Hausärzte zu ihren Erfahrungen mit der Qualität dieser Texte befragt. Insgesamt nahmen 197 Mediziner an der Befragung teil. Die Ärzte wurden zu ihren Erfahrungen, Meinungen und ihrem persönlichen Umgang mit klinischen Entlassungsbriefen befragt. Missverständliche Formulierungen in Arztbriefen bringen die Allgemeinmediziner regelmäßig zur Verzweiflung.

[!] Missverständliche und unvollständige Arztbriefe sind eher die Regel als die Ausnahme.

Therapierelevante Informationen gehen unter

Vom „Abkürzungsfimmel“, „Sachkenntnismangel“ und „nicht angepassten Textbausteinen“ ist die Rede, wenn Hausärzte zum Thema Arztbrief befragt werden. Vor allem fachinterne Ausdrücke und unbekannte oder doppeldeutige Abkürzungen bieten Spielraum für Interpretationen.

Viele Abkürzungen lassen sich zwar aus dem Kontext erschließen, indem beispielsweise die Therapiemaßnahmen mit den Diagnosen verglichen werden. Doch nicht selten kommt es vor, dass Hausärzte die klinischen Entlassungsbriefe ihrer Kollegen nur mit Mühe verstehen.

• 99 % der Befragten gaben an, dass die Qualität der Arztbriefe verbesserungswürdig sei.

• Nur 4 % der Befragten gaben an, in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn noch nicht mit missverständlichen Arztbriefen konfrontiert worden zu sein.

• 99 % der Hausärzte gaben an, Arztbriefe in manchen Fällen nicht auf Anhieb zu verstehen.

Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang logische Fehler, fehlende Informationen und vage Formulierungen, die Interpretationsspielräume eröffnen.

40 % der Befragten gaben an, dass logische Fehler häufig oder sehr häufig vorkommen. Ein ähnliches Bild zeichnet sich für vage Formulierungen ab: 45 % der Hausärzte gaben an, häufig oder sehr häufig damit konfrontiert zu sein. Noch deutlicher fallen fehlende Informationen ins Gewicht: 63 % der Allgemeinmediziner bemängelten, dass ihnen relevante Informationen in den Entlassungsbriefen häufig oder sehr häufig fehlen.

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Qualität der klinischen Entlassungsbriefe stark verbesserungswürdig ist. Entscheidend sind dabei strukturelle und inhaltliche Standards, die bislang fehlen. Weniger entscheidend für das Verständnis sind Textlänge und formale Kriterien. Insbesondere Unschärfe im Ausdruck sowie lange und komplizierte Sätze wurden als zentrale Quellen für Verstehensprobleme genannt.

Besonders schlecht: unbekannte Abkürzungen

Auch enthalten viele Arztbriefe Informationen, die so verschlüsselt sind, dass sie fachfremde Kollegen vor Probleme stellen. Besonders Abkürzungen sind in diesem Zusammenhang problematisch: 71 % der befragten Hausärzte waren der Meinung, dass sich unbekannte Abkürzungen in der Regel nicht aus dem Kontext erschließen lassen. 94 % der Ärzte mussten häufig oder gelegentlich Abkürzungen nachschlagen.

Die Umfrage zeigt, dass nicht alle Textteile in Entlassungsbriefen von gleicher Bedeutung für die hausärztliche Praxis sind. Vor allem werden Informationen als wichtig eingestuft, die konkrete Handlungsempfehlungen enthalten – also Therapieempfehlungen und Entlassungsmedikation. 74 % der Befragten gaben an, dass es bei den Therapieempfehlungen häufig zu Unklarheiten oder Fehlern kommt. Bei der Entlassungsmedikation waren es sogar 77 %. Auch die Epikrise (65 %), und der Verlauf der klinischen Behandlung (57 %) wurden oft als problematisch beschrieben.

Kursorisches Lesen erfordert präzise Informationen, …

In der hausärztlichen Praxis werden nur einzelne Textteile gelesen, um therapierelevante Informationen herauszufiltern. Nur 33% der Befragten gaben an, Arztbriefe vollständig zu lesen. 67 % der Allgemeinmediziner verschaffen sich durch kursorisches Lesen der Arztbriefe einen allgemeinen Überblick über die Patienteninformationen.

Doch nicht immer sind die notwendigen Informationen für die weiterbehandelnden Ärzte leicht zu finden. Dies könnte auch mit der durch die Einführung der DRG-Fallpauschalen notwendigen Dokumentationspflicht für ressourcenverbrauchende Nebendiagnosen zusammenhängen, die einen Arztbrief unnötig aufblähen.

… doch die sind oft gut versteckt

44% der Befragten gaben an, dass eine ausschweifende Darstellung nicht relevanter Informationen in Arztbriefen häufig oder sehr häufig zu finden ist.In manchen Fällen verstecken sich therapierelevante Informationen zwischen Befundsammlungen und durchgeführten Untersuchungen oder als beiläufige Sätze in der Epikrise. Eine Befragung von Hausärzten aus dem Jahr 2013 zeigte außerdem auf, dass Informationen zu Änderungen des Medikationsplans und dazugehörige Begründungen regelmäßig fehlten.

Viele Klinikärzte greifen beim Formulieren zu Floskeln und neigen zu Redundanzen. Dies führt dazu, dass die Briefe unnötig aufgebläht werden, was die Identifikation neuer und relevanter Informationen deutlich erschwert. Telegrammstil und Behördendeutsch dagegen bereiten beim Lesen kaum Probleme.

Hoher Zeitaufwand auf beiden Seiten

Arztbriefe schreiben kostet Zeit. Dasselbe gilt für das Lesen dieser Dokumente. Die Befragung zeigt, dass Hausärzte im Mittel 3 bis 10 Briefe täglich lesen müssen. Das entspricht einer täglichen Lesedauer von bis zu 60 Minuten. 59 % der Hausärzte gaben an, die meisten Arztbriefe seien eher zu lang.

Gesucht: ein einheitlicher Standard

Ein einheitlicher Standard würde nicht nur dem Hausarzt helfen, indem er die Patientendaten in einer übersichtlichen Form zur Verfügung gestellt bekäme, sondern auch die Verfasser würden profitieren, da eine effiziente und strukturierte Vorgabe mit einer ökonomischen und zeitsparenden Arbeitsweise verbunden wäre.

Auch ungeübte Assistenzärzte und Berufseinsteiger würden von einem Leitfaden zur einheitlichen Gestaltung von Arztbriefen profitieren. Zudem ergibt sich ein Problem, das auch bei den befragten Hausärzten zur Sprache kam: Die steigende Zahl der nicht-muttersprachlichen Ärzte in den Kliniken erfordert eine strukturierte Anleitung im Verfassen verständlicher und zugleich rechtssicherer Dokumente. Bemühungen, die kommunikative Kompetenz ausländischer Ärzte zu stärken, müssen sich auch auf den schriftsprachlichen Bereich ausweiten.

Bechmann S. Arztbriefe: Epikrise in der Krise? Hausärzte bemängeln Sprache und Inhalt klinischer Entlassungsbriefe. Düsseldorf, 2019.