Oberärzte im Zwiespalt: Wie gelingt der Spagat zwischen Karriere und Familie?

von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung – Coaching – Moderation, www.ihrcoach.com

Ärzte der „Generation Y“ drängen derzeit auch in Oberarzt-Positionen. Sie legen im Gegensatz zu Generationen vor ihnen größeren Wert darauf, neben ihrem Beruf auch Zeit für ein ausgefülltes Privatleben zu haben. Daher sind Kliniken jetzt und zukünftig nur dann erfolgreich bei der Suche nach qualifizierten Ärzten, wenn sie diese Erwartungen erfüllen. Doch bislang lassen überlange und starre Arbeitszeiten den Oberärzten nur wenig Spielraum, die eigenen Kinder oder pflegebedürftige Familienangehörige zu betreuen. Wie sehen also erfolgreiche Zukunftsmodelle aus?

Viele Ärzte wünschen sich mehr Flexibilität …

Vielen talentierten Nachwuchsmedizinern fällt es schwer, sich eine berufliche Perspektive in deutschen Kliniken vorzustellen, wenn diese keine Fortschritte bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf machen. Inzwischen stehen junge Ärzte in den Startlöchern, für die diese Aspekte einen sehr hohen Stellenwert haben. Unter ihnen sind viele gut ausgebildete Frauen, die sich wünschen, Karriere und Familie „unter einen Hut bringen“ zu können. Aber auch Männer möchten heute mehr Zeit für ihr Privatleben haben und nicht als Väter wahrgenommen werden, denen die Arbeit in der Klinik wichtiger ist als die Eziehung ihrer Kinder.

PRAXISHINWEIS | Eine Umfrage des Hartmannbundes unter 1.400 Assistenzärztinnen und -ärzten bestätigt diesen Wunsch. Auf die Frage „Was müsste sich verändern, damit der Beruf des Arztes noch attraktiver wird?“ wünschten sich 75,5 Prozent der Befragten „Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Teilzeit, Elternzeit etc.)“. Dazu passt auch, dass sich 71,9 Prozent der Befragten vorstellen können, für einen bestimmten Zeitraum eine Teilzeitanstellung anzunehmen, um Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können.

… doch die Realität im Klinikalltag sieht anders aus

Im heutigen Klinikalltag jedoch haben Teilzeitkräfte noch immer erhebliche Nachteile. Sie arbeiten oft in Ambulanzen, übernehmen Wochenenddienste und haben kaum Aufstiegschancen. Ihre Ausbildung im OP wird meist völlig vernachlässigt. Während die Teilzeittätigkeit bei Frauen noch eher akzeptiert wird, weil sie ihrem Rollenbild als Mutter oder Pflegende von Angehörigen entspricht, befinden sich Männer häufig in einem Zwiespalt zwischen ihrer traditionellen Rolle als Ernährer und ihrer neuen Rolle als aktiver Vater. In ihrem Fall stoßen Teilzeitarbeit oder Elternzeit kaum auf das Verständnis des Vorgesetzten. Doch auch die Angst vor einem Karriereknick hält viele davon ab, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder eine familiäre Auszeit zu nehmen.

Überstunden verhindern Familienleben

Zudem stehen viele – oft undokumentierte – Überstunden der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Weg. Gerade das berechenbare und verlässliche Arbeitszeitende ist ein wichtiger Aspekt, um Beruf und Privatleben managen zu können. Andererseits vereinbaren viele Kliniken mit ihren Mitarbeitern eine „Opt-out-Regelung“, die eine Arbeitszeitverlängerung über 48 Wochenstunden hinaus erlaubt, ohne diese in Freizeit ausgleichen zu müssen.

Für einige Mitarbeiter ist dieses „Opt-out“ ein Modell, das es ihnen in der Phase der Familiengründung ermöglicht, ein höheres Gehalt zu erzielen. Für andere wiederum ist es eine Regelung, die nicht ganz freiwillig zustande kommt, sondern auf „sanften“ Druck der Klinik vereinbart wird. In diesem Fall wird das harmonische Zusammenspiel von Familie und Beruf erschwert.

PRAXISHINWEIS | Die Bedürfnisse der Ärzte sind zwar unterschiedlich. Doch Kliniken, die junge Ärzte binden wollen, kommen um flexible und intelligente Arbeitszeitmodelle nicht umhin, wollen sie für Bewerber attraktiv erscheinen.

Dienstpläne mitarbeiterorientiert gestalten

Was kann konkret verbessert werden, um dem Wunsch der „Generation Y“ nachzukommen? Wesentlich sind flexible und bedarfsgerechte Arbeitszeiten. Doch diese sind in der Praxis nicht immer einfach umzusetzen und unterliegen Versorgungszwängen ebenso wie ökonomischen Notwendigkeiten. Dennoch ist die Gestaltung mitarbeiterorientierter Dienstpläne möglich. Vor einer Dienstplangestaltung, die sich an den Bedürfnissen der Mitarbeiter orientiert, muss der Besetzungsbedarf genau analysiert werden. Dieser setzt sich zusammen aus

  • der Besetzungszeit: Sie beschreibt die Zeitspanne, in der der jeweilige Arbeitsbereich besetzt sein muss (z. B. Rund-um-die-Uhr, Schichtdienst mit Rufdienst). Hierbei ist eine planbare sowie eine flexible Komponente zu berücksichtigen, z. B. OP-Laufzeiten für planbare Operationen und längere OP-Laufzeiten bei höherem Bedarf.
  • der Besetzungsstärke: Sie stellt die Anzahl der qualifikationsbezogen zu besetzenden Stellen für den jeweiligen Arbeitsbereich dar. Die Besetzungsstärke hat ebenfalls eine planbare und eine flexible Komponente: zum einen die feststehende Soll-Personalbesetzung je Zeitspanne, zum anderen die schwankenden Arbeitsanforderungen – bei geringerer Patientenzahl kann z. B. die Dienstbesetzung gesenkt werden.
  • den Ausfallkonzepten, um die Abteilung immer funktionsfähig zu erhalten.

Der Besetzungsbedarf wird zum Rahmen für die mitarbeiterorientierte Dienstplangestaltung. Damit die Mitarbeiter diesen Rahmen verstehen und akzeptieren können, müssen Sie als Oberarzt ihnen den Besetzungsbedarf erklären und auf mögliche Schwankungen und deren Gründe eingehen.

Zusätzlich sollten Sie bei der Ermittlung des Besetzungsbedarfs auf folgende Aspekte achten:

  • Dimensionieren Sie den Besetzungsbedarf realistisch und orientieren Sie ihn nicht ausschließlich an Mindeststandards.
  • Machen Sie den Besetzungsbedarf so planbar wie möglich und beziehen Sie Flexibilitätsanforderungen im Vorfeld ein. Beispiel: Anhand von OP-Daten lassen sich die Standardlaufzeiten der OP-Säle und die Durchschnittszeiten für zusätzliche OPs ermitteln, sodass der Besetzungsbedarf von vornherein hierauf ausgerichtet werden kann.
  • Lösen Sie den Besetzungsbedarf von konkreten Personen und stärken Sie stattdessen die Kompetenzen des gesamten Teams.
  • Überprüfen Sie überzogene und tradierte Präsenzerwartungen und stellen Sie stattdessen die gemeinsame Aufgabenerfüllung in den Vordergrund.

Weiterbildung besser strukturieren

Die Weiterbildung zum Facharzt orientiert sich in vielen Kliniken noch immer nicht an strukturierten Weiterbildungskonzepten (Facharzt-Curriculum). Sie wird zudem häufig außerhalb der Kernarbeitszeit durchgeführt, wie die genannte Untersuchung des Hartmannbunds zeigt. Daher erscheint es extrem schwierig, die Weiterbildung in Teilzeit absolvieren zu können.

Bei der Entwicklung von zukunftsorientierten Lösungen, die die Anerkennung von geringeren Teilstücken der Weiterbildung ermöglichen, sind die Ärztekammern gefordert. Kliniken hingegen kommen nicht umhin, die Weiterbildung besser zu strukturieren und z. B. mit Mentoren-Konzepten dafür zu sorgen, dass Assistenten verlässlich einem Oberarzt zugeordnet werden. Gleichzeitig sollte auf die Bedürfnisse junger Eltern Rücksicht genommen werden, wenn Rotationspläne erstellt und die Weiterbildung organisiert wird.

PRAXISHINWEIS | Jährliche Zielvereinbarungen im Rahmen der Logbuch-Gespräche, die Sie als Oberarzt gemeinsam mit dem Chefarzt führen, schaffen eine Perspektive für planbare Weiterbildungsinhalte in einem überschaubaren Zeitraum – angepasst an die Möglichkeiten der Klinik und des Mitarbeiters.

Ressourcen nutzen

Eine verbesserte Arbeitsorganisation führt zur effizienteren Nutzung der zeitlichen Ressourcen der Ärzte. So kann eine qualifizierte Stationssekretärin ebenso Freiräume schaffen wie eine optimierte elektronische Patientenakte. Zudem muss die professionelle Unterstützung durch andere Klinikbereiche (z. B. EDV-Abteilung oder Kodierkräfte) gewährleistet werden.

Schwangerschaft, Elternschaft und die Pflege von Angehörigen sind keine Faktoren, die bloß die Klinikabläufe stören. Kliniken mit familienfreundlichem Leitbild, das diese Ereignisse als natürliche Bestandteile eines (Berufs-)Lebens betrachtet, haben Vorteile im Wettbewerb um den medizinischen Nachwuchs – vorausgesetzt, ihre Chefärzte unterstützen das Leitbild.