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Prof. Dr. Kai Wehkamp: „Eine gute Oberarzt-Visite ist ein wichtiger medizinischer Qualitätsfaktor“

Jeder Oberarzt muss sich früher oder später mit dem DRG-Abrechnungssystem beschäftigen. Aber nur wenige Krankenhäuser haben einen Arzt, der sich speziell mit dieser Frage befasst. Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) hat hierfür einen jungen Experten beschäftigt: Es ist Prof. Dr. Kai Wehkamp, MPH. Im Interview erklärt er unserem Redakteur Dr. Lars Blady, wie die DRGs die Klinikprozesse verbessert haben – und warum weiche Qualitätsfaktoren in der Medizin unterschätzt werden. |

  • Dr. Lars Blady (Redakteur): Sie sind Oberarzt am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und in dieser Funktion auch für „Ökonomie und DRG“ zuständig. Haben die DRGs denn zur Verbesserung der Prozesse im Krankenhaus beigetragen?

Prof. Wehkamp: Wir sind da sicher noch nicht beim Optimum angekommen, doch ich kenne viele Krankenhäuser, die bei der Verbesserung ihrer Prozesse schon sehr weit gekommen sind. Gerade Kliniken mit Neubauten und private Häuser schaffen es zum Teil sehr gut, ihre Prozesse zu analysieren und anschließend zu optimieren. Leider geht das aber auch manchmal zulasten der Patienten oder Mitarbeiter.

  • Redakteur: Welche Fragen sollten Ihres Erachtens gestellt werden, um die Prozesse eines Krankenhauses fundiert zu analysieren?

Prof. Wehkamp: Zur Analyse gehören zum Beispiel Fragen wie: Wann machen wir prästationäre Diagnostik oder Aufnahmen? Und was erbringen wir poststationär oder in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten? Wie können wir den Behandlungsprozess möglichst effizient strukturieren und gleichzeitig auf die Bedürfnisse des Patienten ausrichten? Welche Leistungen erbringen wir ambulant – und welche stationär? Wie kommt der Patient im Krankenhaus schnell von A nach B? – Natürlich haben noch nicht alle Kliniken diese Fragen umfassend gelöst; aber man hat doch zumeist erkannt, in welchen Bereichen Handlungsbedarf besteht.

  • Redakteur: Ich war Patient in einer großen universitären Augenklinik. Die Klinikorganisation habe ich als großes Chaos erlebt. Der Chefarzt erklärte mir, er habe es inzwischen aufgegeben, die Klinikstruktur ändern zu wollen …

Prof. Wehkamp: Es ist schade, dass er aufgegeben hat. Ich kann es aber teilweise nachvollziehen. Es gibt im Krankenhaus inzwischen viele verschiedene Hierarchielinien – Pflege, Ärzte, Kaufleute, Verwaltung, Transport, Labor usw. Durch diese Linien ist die enge Zusammenarbeit, die eigentlich notwendig wäre, eingeschränkt oder mit viel Aufwand verbunden. Zudem haben viele Kliniken mit einem erheblichen Personalengpass und einen Investitionsstau zu kämpfen, der teils kaum noch Luft zum Atmen lässt, geschweige denn dafür, die Strukturen und Prozesse zu verbessern. Ich finde es aber wichtig, dass gerade Ärzte als die medizinischen Experten in der Klinik in ihrem Bemühen nicht aufgeben, die Prozesse um die Medizin herum zu strukturieren. Ärzte dürfen dies nicht dem Klinik-Management überlassen!

 

  • Redakteur: Die genannten Prozesse haben auch einen unmittelbaren Einfluss auch auf die Medizin, werden vorwiegend aber durch die Geschäftsleitung dirigiert. Sollten Klinik-Geschäftsführer daher Mediziner sein?

Prof. Wehkamp: Das Wichtigste ist, dass die Geschäftsleitung versteht, was es bedeutet, Medizin zu machen, und was es bedeutet, einen Patienten zu versorgen. Im Krankenhaus besteht ja das Problem, dass wir auf der einen Seite den wirtschaftlichen Erfolgsdruck haben, der bei der Geschäftsführung ankommt. Und auf der anderen Seite haben wir den medizinischen „Druck“, der auf Patientenebene erzeugt wird und beim Arzt ankommt – dort gilt es, Fragen von Lebensqualität, Lebenszeit und Tod zu beantworten. Diese beiden verschiedenen Ansprüche kollidieren dann häufig. Eine Geschäftsführung darf auf keinen Fall sagen: „Mit dem Medizinischen haben wir nichts zu tun.“

  • Redakteur: … sollte also der Klinikleiter tatsächlich Mediziner sein?

Prof. Wehkamp: Ich könnte mir vorstellen, dass ein Klinikleiter, der auch Arzt ist, noch mehr im Hinterkopf hat, was es für medizinische Auswirkungen hat, wenn zum Beispiel eine Station chronisch unterbesetzt ist. Auf der anderen Seite gibt es gute Mitarbeiter des kaufmännischen Managements, die zum Beispiel auf einer Station hospitieren, um zu verstehen, wie die Medizin „tickt“.

  • Redakteur: Von welchen Faktoren hängt medizinische Qualität ab?

Prof. Wehkamp: Wir versuchen ja seit ein paar Jahren, die Qualität durch externe Qualitätssicherung zu objektivieren – wie zum Beispiel durch das AQUA-Institut. Diese basiert aber auf „harten“ Indikatoren, wie zum Beispiel der Frage, ob bei Aufnahme eines Pneumonie-Patienten eine Atemfrequenz dokumentiert wurde. Medizinische Qualität hängt aber auch von „weichen“ Faktoren ab, die ganz entscheidend zur Qualität einer Abteilung beitragen. Oft heißt es, die Medizin habe sich früher nicht um Qualität bemüht – aber das stimmt so nicht. Die „weiche“ Form der Qualitätssicherung hat eine viel längere Tradition als die neuen Qualitätssicherungsverfahren.

  • Redakteur: Woran denken Sie bei diesen „weichen“ Qualitätsfaktoren?

Prof. Wehkamp: Zum Beispiel an eine gute Oberarzt- und Chefarzt-Visite, interdisziplinäre Fallbesprechungen, einen Oberarzt, der die Arztbriefe seiner Assistenten sorgfältig durchliest und Rückmeldungen gibt, die regelmäßige Veranstaltung von Fallkonferenzen und auch Besprechungen kritischer Fälle – all das sind eher „weiche“ Faktoren. Es ist schwierig, deren Wichtigkeit für die medizinische Qualität jemandem beizubringen, der „rein ökonomisch“ denkt. Denn diese Faktoren sind eben nicht direkt messbar. Insofern ist das gegenseitige Verständnis auf allen Ebenen ganz wichtig.