Aufgaben und Chancen von Ethikkomitees

von Bernd Hein, Fachjournalist Gesundheitswesen, Buch am Buchrain

Ärztliche Behandlungen im Krankenhaus berühren oft ethische Fragen. In manchen Situationen genügt es nicht, lediglich medizinisch und juristisch korrekt zu handeln. Zu einer menschengerechten Versorgung gehört auch die Abwägung von Werten wie Würde und persönliche Lebensauffassung. Ethikkomitees helfen, Entscheidungen auf eine breitere Basis zu stellen und damit besser an die Bedürfnisse der Patienten anzupassen. Inzwischen leisten solche Gremien in mehr als 150 deutschen Kliniken einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung. Auch Oberärzte können davon profitieren.

Großer Vorteil: ganzheitliche Betrachtungsweise

Der wesentliche Vorteil eines Ethikkomitees ergibt sich aus seiner multiprofessionellen Zusammensetzung. Jede Berufsgruppe, die in einem Krankenhaus tätig ist und für die Teilnahme an dem Komitee infrage kommt, bringt einen spezifischen Blickwinkel mit. Aus der Kombination dieser verschiedenen Standpunkte ergibt sich eine umfassende Problembetrachtung, die in existenziellen Situationen der Beurteilung aus singulär medizinischer Sicht überlegen ist bzw. diese erweitert und ergänzt. Dies ändert selbstverständlich nichts am ärztlichen Primat. Für die endgültige therapeutische Entscheidung bleiben auch in der Zusammenarbeit mit dem Ethikkomitee stets die behandelnden Ärzte verantwortlich. Sie profitieren von einer umfassenden Fallanalyse und dem Diskurs, der ihr vorangeht.

Aufgaben des Ethikkomitees

Im Laufe der Zeit verändert sich das Aufgabenspektrum des Ethikkomitees. Allgemeine ethische Leitlinien müssen nur einmal festgelegt werden. Danach bleiben sie (vorbehaltlich der Zustimmung der Geschäftsleitung) in Kraft und sind ggf. in individuellen Abständen zu evaluieren bzw. an veränderte Bedingungen anzupassen.

Ethische Leitlinien

Leitlinien, die von einem Ethikkomitee stammen, können

  • als situationsunabhängige Handlungsanweisung formuliert sein und damit eine Ergänzung des Leitbildes mit ethischem Schwerpunkt sein.
  • im Sinne einer standardisierten Entscheidungshilfe häufiger wiederkehrende Probleme klären.

Der Grad der Verbindlichkeit solcher Leitlinien hängt davon ab, in welchem Maß sie von der Geschäftsleitung legitimiert sind.

Ethikkonsile

Einzelfälle, die zu komplex sind, als dass sie sich mit grundsätzlichen Leitlinien profund beurteilen lassen, erfordern eine Fallbesprechung. Dazu sind (z. B. nach Anforderung durch einen Arzt) die Mitglieder zeitnah zu einer Sitzung einzuberufen und über alle relevanten Details zu informieren. Um eine zielorientierte und rasche Bearbeitung zu erreichen, erfolgt die Diskussion unter enger Moderation. Es ist sinnvoll, sich an validierte Standards zu halten, die speziell für Ethikkonsile erarbeitet worden sind. Das Votum des Komitees ist zu protokollieren, wobei die Einschätzungen der Mitglieder in kurzer Form und anonymisiert aufzuzeichnen sind. Wenn ein Konsens erreicht wurde, ist dieser Gegenstand der Dokumentation. Das Dokument wird anschließend ein Teil der Patientenakte. Sofern der behandelnde Arzt sich gegen die Empfehlung des Komitees entscheidet, hat er seine Beweggründe schriftlich darzustellen. Sie werden anschließend im Ethikkomitee diskutiert.

Für die Strukturierung der Fallbesprechungen wurden verschiedene Modelle entwickelt. Je enger sich die Beteiligten an die Vorgaben halten, desto zielorientierter diskutieren sie. Mögliche Schritte des Prozesses sind:

  • Ausgangslage klären: Alle Gesprächsteilnehmer sollen über sämtliche Informationen zu dem aktuellen Problem verfügen.
  • Ethisches Problem definieren: Die Teilnehmer tauschen Argumente aus.
  • Ermittlung des Patientenwillens: Entweder kann sich der Patient noch adäquat äußern oder es sind Einschätzungen von Bezugspersonen heranzuziehen.
  • Benennung der Handlungsoptionen: Die Teilnehmer verschaffen sich einen wertungsfreien Überblick über alle Strategien zur Problemlösung.
  • Bewertung der Handlungsoptionen: Die Teilnehmer begutachten alle Möglichkeiten unter ethischen Gesichtspunkten (z. B. angelehnt an Leitbilder, ethische Empfehlungen, juristische Bedingungen) und identifizieren die bestmögliche Variante, die am Willen des Patienten orientiert sein sollte.
  • Schriftliche Zusammenfassung der Empfehlung: Das Dokument enthält die Namen der Beteiligten, den Wortlaut der Entscheidung, die Gründe, die dazu geführt haben, und das Ergebnis der Abstimmung.

Ethik-Fortbildungen

Ethische Überlegungen prägen eine Einrichtung nur dann, wenn alle Akteure für diesen Anspruch an das individuelle Handeln sensibilisiert sind. Dies lässt sich über transparente Entscheidungen und kontinuierliche Information erreichen. Deshalb besteht die dritte große Aufgabe von Ethikkomitees in der Fortbildung der Mitarbeiter. Je nach Qualifikation der Mitglieder des Gremiums lassen sich entsprechende Vorträge oder Workshops im eigenen Haus realisieren. Alternativ bieten sich externe Referenten an.

Zusammensetzung des Komitees

Für ein Ethikkomitee kommen – je nach Verfügbarkeit im jeweiligen Haus – alle Berufsgruppen in Betracht, die mit der Versorgung der Patienten befasst sind, auch wenn ihre Aufgaben keinen unmittelbaren Kontakt erfordern.

Als persönliche Voraussetzung sollten die Mitglieder mehrjährige Berufserfahrung vorweisen. Entscheidend ist nicht ihre Stellung in der Hierarchie, sondern das Interesse, ethische Fragen zu reflektieren. Es kann durchaus ein Vorteil sein, wenn sich das Komitee nicht nur aus Protagonisten der Leitungsebenen zusammensetzt. Ideal ist eine Mischung, weil sie das Gremium stärker in der Mitarbeiterschaft verankert und auf eine breitere Basis stellt.

In Abhängigkeit von der Größe der Einrichtung besteht das Komitee aus 5 bis 20 Personen. Ist die Zahl zu groß gewählt, verkomplizieren sich die Diskussionen, ohne einen Erkenntnisgewinn zu bringen. Mögliche teilnehmende Berufsgruppen (mit beispielhaften Schwerpunkten) sind:

  • Ärzte: Sie sind als Therapieverantwortliche für die Relevanz der Aussagen des Gremiums unverzichtbar.
  • Pflegende: Sie bringen spezifisch pflegeethische Gesichtspunkte in den Abwägungsprozess.
  • Seelsorger bzw. Geistliche oder andere Repräsentanten religiöser Gemeinschaften: Sinnvoll ist die Beteiligung der zwei großen christlichen Konfessionen. Je nach regionaler Zusammensetzung der Bevölkerung kommen z. B. Vertreter muslimischer, jüdischer oder anderer Gemeinden hinzu.
  • Psychologen: Sie können z. B. intrapersönliche Motive und familiäre Beziehungen beurteilen.
  • Sozialarbeiter: Sie überblicken soziale Belange und außerklinische Versorgungsstrukturen.
  • Physiotherapeuten (oder andere Therapeuten): Sie tragen professionelle Gesichtspunkte ihrer jeweiligen Fachrichtung bei.
  • Juristen: Sie eröffnen die rechtlichen Dimensionen ethischer Probleme.
  • Mitarbeiter der Verwaltung: Sie vertreten Aspekte der Organisationsethik und haben administrative sowie ökonomische Zusammenhänge im Blick.
  • Externe Mitarbeiter: Dies können z. B. ehrenamtliche Patientenfürsprecher sein, die einen Kontrapunkt zur Struktur der Einrichtungen im Gesundheitswesen bilden und z. B. eine Laienperspektive beitragen.

PRAXISHINWEIS | Es kann nützlich sein, das Ethikkomitee in regelmäßigen Abständen von externer Supervision begleiten zu lassen. Die Bearbeitung belastender Situationen sowie die Klärung individueller Standpunkte lassen sich mithilfe der Moderation durch einen geschulten und problemorientierten Gesprächsleiter, der selbst nicht in die Entscheidungsprozesse eingebunden ist, leichter erreichen.

Qualifizierung der Mitglieder des Komitees

Sensibilität für ethische Probleme ist nicht objektivierbar. Voraussetzungen für die Qualität der Arbeitsergebnisse eines Ethikkomitees lassen sich deshalb nur mittelbar mithilfe von Fort- und Weiterbildungen seiner Mitglieder schaffen. An Universitätskliniken dürften hauptberufliche Ethiker gut verfügbar sein, die einen großen Beitrag leisten können.

PRAXISHINWEIS | An Krankenhäusern, die keinen unmittelbaren Zugang zu hauptberuflichen Ethikern haben, sollten die Ethikberater Schulungen absolvieren, wie sie u. a. die EthikAkademie oder die Fernuniversität Hagen anbieten.

Organisation und Geschäftsordnung

Die Arbeitsweise eines Ethikkomitees sollte an die Erfordernisse der jeweiligen Einrichtung angepasst sein. Deshalb lassen sich lediglich ungefähre Rahmenbedingungen nennen, die der Effektivität dienen.

Platzierung im System

In der Literatur finden sich Stimmen, die den Gremien eine ungünstige Kosten-Nutzen-Relation und eine systembedingte Unflexibilität attestieren. Im Einzelfall trifft diese Kritik sicherlich zu. Sie sollte jedoch nicht dazu führen, das Instrument gänzlich zu verwerfen, sondern vielmehr dazu dienen, die Struktur so anzulegen, dass diese Probleme nicht auftauchen. Die Gefahr, dass ein Ethikkomitee seine eigentlichen Ziele verfehlt, ist immer besonders groß, wenn es in erster Linie aufgrund einer Forderung aus Zertifizierungsprozessen gegründet wird. Dann findet es häufig keinen angemessenen Platz im System, weil sich alle ethisch relevanten Entscheidungen an ihm vorbei vollziehen.

Sinnvoll implementiert ist ein Ethikkomitee die Antwort auf kritische Situationen, die sich ohne eine zielorientierte Auseinandersetzung in einem Kreis entsprechend qualifizierter Personen nicht befriedigend lösen lassen. Das heißt: Zunächst ist zu eruieren, ob der Bedarf an einer ethischen Beratung besteht, die nicht durch bereits existierende Leitlinien oder überregional formulierte Prinzipien substituierbar ist. Eine Aussage darüber lässt sich z. B. mithilfe einer Befragung der Mitarbeiter herbeiführen.

Erforderliche Kompetenzen, personelle Ausstattung und Budget

Um das Ethikkomitee formal mit Kompetenzen auszustatten, sollte es (wie seine Mitglieder) von der Krankenhausleitung eingesetzt sein und über eine Geschäftsordnung bzw. Satzung verfügen, in der u. a. festgelegt ist, dass es ohne Weisungsbindung entscheiden kann. Auf der anderen Seite entfalten die Ergebnisse seiner Arbeit nicht aus sich heraus eine Bindungskraft für die Mitarbeiter des Hauses. Dies wäre erst der Fall, wenn sie durch die Krankenhausleitung in den Rang einer Dienstanweisung gehoben würden.

Zur Sicherung der Kontinuität sowie der Qualität der Entscheidungen sollte die Amtszeit der Mitglieder mindestens drei Jahre betragen und die Möglichkeit der Verlängerung gegeben sein. Die Ämter der Vorsitzenden, Schriftführer sowie weitere erforderliche Funktionen können aus dem Gremium mittels Wahl oder per Berufung durch die Geschäftsleitung vergeben werden.

Die Sitzungen sowie die erforderlichen Fortbildungen sind idealerweise als Arbeitszeit zu entgelten. Außerdem benötigt das Ethikkomitee ein finanzielles Budget, um seine Tätigkeit sinnvoll ausführen zu können.

Weiterführende Hinweise