Ausbildung am Patienten: Wer ist verantwortlich, wenn Medizinstudenten Fehler machen?

von RAin, FAin für MedR Rosemarie Sailer, LL.M., Wienke & Becker – Köln, www.kanzlei-wbk.de

Medizinstudenten sind aus dem Klinikalltag nicht wegzudenken, schließlich sollen sie im sogenannten praktischen Jahr (PJ) schwerpunktmäßig „am Patienten“ ausgebildet werden. Dabei ist es notwendig, das im Studium theoretisch Erlernte in der Praxis umzusetzen und so schrittweise ärztliche Verantwortung zu übernehmen. Doch welche Aufgaben dürfen Medizinstudenten überhaupt selbstständig erledigen und wer haftet, wenn tatsächlich einmal etwas schiefgeht? Welche Verantwortung tragen Klinikleitung und Ober- bzw. Chefarzt als verantwortlicher Arzt? OH gibt die Antworten. 

Was dürfen Medizinstudenten?

Die medizinische Ausbildung erfordert neben dem Erwerb theoretischer Kenntnisse auch die praktische Arbeit am Patienten. Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass die Studierenden nach und nach Aufgaben übernehmen, bei denen sie in direktem Patientenkontakt stehen. § 3 Abs. 4 der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) regelt die Einzelheiten zum Einsatz von PJlern.

  • § 3 Abs. 4 ÄAppO

„Während der Ausbildung (…) sollen die Studierenden die während des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vertiefen und erweitern. Sie sollen lernen, sie auf den einzelnen Krankheitsfall anzuwenden. Zu diesem Zweck sollen sie entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Vorrichtungen ausführen.“

Da die Regelung einen großen Interpretations- und Ermessensspielraum erlaubt, ist die individuelle Zuweisung der richtigen Aufgaben an den jeweiligen Medizinstudenten in der praktischen Anwendung im Klinikalltag oft höchst problematisch. Mit jeder Fehleinschätzung durch den ausbildenden Arzt über die Qualifikation und das Können des Medizinstudenten besteht ein Risiko für das Wohl der behandelten Patienten.

MERKE | Als Faustregel gilt: Grundsätzlich darf dem angehenden Arzt eine Aufgabe erst dann zugewiesen werden, wenn dieser aufgrund seines Ausbildungsstandes auch dazu befähigt ist.

Insoweit dürfen die Studierenden keine höchstpersönlichen, nicht delegierbaren Aufgaben des Arztes unbeaufsichtigt durchführen, wie etwa die Anamnese und Diagnosestellung. Auch die erstmalige Verabreichung eines Arzneimittels darf nicht durch einen Medizinstudenten erfolgen, da es unter Umständen zu einer allergischen Reaktion des Patienten kommen könnte. Andere Aufgaben, z. B. Blutentnahme oder Infusionswechsel, können an Studierende delegiert werden. Die Voraussetzung ist stets, dass sich der ausbildende Arzt vom Können des PJlers überzeugt hat und dieser entsprechend angeleitet worden ist.

Wie viel Aufsicht muss sein?

Eine Frage, die sich im Alltag häufig stellt, lautet: Muss wirklich jeder Handgriff der PJler überwacht oder dürfen diese auch selbstständig – d. h. unbeobachtet – tätig werden? Auch hier verbietet sich eine Pauschalantwort. Es gibt keine feste Zeitvorgabe, ab wann Studenten einfachere Behandlungsschritte eigenständig ausführen dürfen. Sofern ein Student eine bestimmte Maßnahme jedoch einige Male unter tatsächlicher Anleitung des verantwortlichen Arztes erfolgreich durchgeführt hat, spricht nichts dagegen, ihn dies beim nächsten Mal tun zu lassen, ohne dass ein anderer Arzt danebensteht bzw. ihn anweist. In diesem Fall ist es ausreichend, wenn ein verantwortlicher Arzt in Rufweite, d. h. auf Station ist und im Zweifel jederzeit eingreifen kann. Vom alleinigen Einsatz von Medizinstudenten im Bereitschaftsdienst ist aber unbedingt abzusehen.

Hohes Haftungsrisiko für alle Beteiligten

Gerade bei der in vielen Kliniken zu beobachtenden Personalknappheit ist die Versuchung groß, Medizinstudenten Aufgaben zu übertragen, für die sie noch nicht befähigt sind. Ein Fall, der zeigt, was im schlimmsten Fall passieren kann, ging 2014 durch die Medien: Eine Medizinstudentin im zehnten Semester war als einzige postoperative Nachtwache in einer Mainzer Schönheitsklinik eingesetzt worden und hatte dort einer frisch operierten Patientin, bei der Komplikationen aufgetreten waren, anstelle einer Kochsalzlösung versehentlich ein Narkosemittel intravenös verabreicht. Die Patientin fiel ins Koma und trug irreparable schwerste Hirnschäden davon. Ihr Lebenspartner verklagte die Beteiligten auf Schadenersatz und Schmerzensgeld (Landgericht [LG] Mainz, Urteil vom 09.04.2014, Az. 2 O 266/11).

Das LG verurteilte den Klinikträger sowie den Geschäftsführer persönlich zur Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld von knapp 500.000 Euro. Diese hätten mit einer Medizinstudentin völlig ungeeignetes Personal beschäftigt und damit gegen die Verpflichtung verstoßen, wonach die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen habe. Auch die Medizinstudentin wurde persönlich haftbar gemacht, da ihr die Verwechslung nach ihrem Ausbildungsstand hätte auffallen müssen.

PRAXISHINWEIS | Viele Medizinstudenten gehen fälschlicherweise davon aus, dass bei Fehlern nur das Krankenhaus haftet. Wer jedoch sehenden Auges Aufgaben übernimmt, denen er nicht gewachsen ist, oder unüberschaubare Risiken eingeht, muss in der Regel zumindest einen Teil der Verantwortung tragen. Im Zweifel müssen Medizinstudenten daher Dienste ablehnen, wenn sie dabei keinen ärztlichen Betreuer zur Seite gestellt bekommen. Ansonsten droht das sogenannte Übernahmeverschulden, das auch Assistenzärzte immer im Hinterkopf haben müssen, um nicht in die Haftungsfalle zu geraten. Zudem sollte immer vorab geklärt werden, ob die PJler eine eigene Haftpflichtversicherung abschließen müssen oder über die Klinik versichert sind.

Riskant: selbstständige Aufklärung durch Studenten

Da die Anforderungen an die (Risiko-)Aufklärung immer strenger werden und das Thema im Medizinstudium häufig vernachlässigt wird, sollten Medizinstudenten während des PJ auch lernen, welche Grundsätze bei der Aufklärung und Dokumentation zu beachten sind. Bei der Aufklärung handelt es sich um eine ärztliche Aufgabe, die zwar grundsätzlich nicht auf nicht ärztliches Personal übertragen werden kann, jedoch im Rahmen der Ausbildung nach § 3 Abs. 4 ÄAppO durchaus von PJlern wahrgenommen werden kann und sollte. Von einer alleinigen Aufklärung durch die Studenten ist jedoch grundsätzlich abzuraten. Sie sollte stets im Beisein und unter Aufsicht eines erfahrenen Arztes erfolgen.

Zwar erachtete das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe die Risikoaufklärung zu einer Herzkatheteruntersuchung durch eine Medizinstudentin im PJ in einem – viel kritisierten – Urteil für wirksam. Die Studentin hatte bereits einige Male Aufklärungsgesprächen zu dieser Untersuchung beigewohnt, sodass das Gericht davon ausging, dass sie die Aufklärung wirksam vornehmen konnte, auch ohne dass ein anderer Arzt anwesend war. Darüber hinaus sahen die Richter die Aufklärungssituation als vergleichsweise harmlos an, da es hierbei zu keinem medizinischen Notfall kommen könne (OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.01.2014, Az. 7 U 163/12, Abruf-Nr. 140506). Die Aufklärung durch einen Medizinstudenten muss daher nicht per se unwirksam sein. Doch auch wenn diese in Einzelfällen zulässig sein sollte, ist aus Gründen der Vorsicht davon abzuraten, Medizinstudenten die eigenständige Risikoaufklärung zu übertragen.

PRAXISHINWEIS | Im Arzthaftungsverfahren liegt die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung beim Arzt bzw. dem Krankenhaus. Der konkrete Nachweis, dass der Student wie ein erfahrener Facharzt aufgeklärt hat, wird in aller Regel schwierig zu erbringen sein. Auch wenn es durch die Aufklärung selbst nicht zu medizinischen Notfällen kommen kann, entscheidet doch die Aufklärung darüber, ob der folgende Eingriff insgesamt zulässig ist oder nicht. Sie ist daher überaus haftungsrelevant. Darüber hinaus tendiert die Rechtsprechung aktuell dazu, immer strengere Anforderungen an die Aufklärung zu stellen, sodass die Risiken einer fehlerhaften Aufklärung nicht noch durch den Einsatz von Medizinstudenten erhöht werden sollten.

LG Bielefeld: PJler wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

In einem äußerst tragischen Fall wurde einem Medizinstudenten eine folgenschwere Verwechslung zum Verhängnis. Er hatte einem leukämiekranken Kind ein orales Antibiotikum intravenös verabreicht, da er davon ausgegangen war, es handelte sich um das intravenös zu verabreichende Medikament Refobacin. Die Verwechslung hätte ihm aufgrund seines Kenntnisstandes auffallen müssen. Die Spritze war unbeschriftet gewesen, hatte keine Nadel mit Schutzhülle aufgesteckt und einfach auf dem Nachttisch und nicht auf einem Spritzentablett gelegen. Außerdem hatte er von der verantwortlichen Ärztin lediglich den Auftrag zur Blutentnahme erhalten. Aus diesen Gründen wurde er wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt (LG Bielefeld, Urteil vom 14.08.2013, Az. 11 Ns 16 Js 279/11). Festgestellt wurde außerdem, dass die Klinik bzw. die verantwortlichen Ärzte ihre Sorgfaltspflicht verletzt hatten, indem sie dem Studenten allzu freie Hand gelassen und ihn nicht ausreichend überwacht hatten. Dies wirkte sich jedoch nur mindernd auf die Strafe des PJlers aus. Die verantwortliche Ärztin wurde freigesprochen, weil ihr Beitrag zum Geschehen gegenüber dem des Studenten als untergeordnet bewertet wurde.

Wann haftet der Oberarzt?

Überträgt der verantwortliche Arzt einem Medizinstudenten Aufgaben, denen dieser nicht gewachsen ist, oder vernachlässigt er seine Aufsichtspflicht und dem Studenten passiert ein Fehler, kommt eine persönliche Haftung des (Ober-)Arztes wegen Organisationsverschulden in Betracht – ggf. neben der Haftung des Studenten wegen Übernahmeverschulden. Neben der Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld – was in der Regel die Haftpflichtversicherung übernimmt und den Arzt daher jedenfalls finanziell nicht belastet – kann dies unter Umständen sogar strafrechtliche Folgen für den Arzt haben.

Wann haftet der Chefarzt?

In letzter Zeit wurde bei Fehlern von nachgeordneten Ärzten oder Studenten vermehrt eine persönliche Verantwortlichkeit des Chefarztes wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung angenommen, selbst wenn (oder gerade weil) dieser zum Zeitpunkt des Geschehens gar nicht in der Klinik anwesend und in das Geschehen unmittelbar involviert war. Grund ist die allgemeine Organisationsverantwortung des Chefarztes für seine Abteilung und seine Verpflichtung, durch Anweisungen sowie Handlungsempfehlungen jederzeit einen geregelten und standardgemäßen Ablauf in seiner Abteilung sicherzustellen. Die persönliche Verantwortung für die Abläufe in der eigenen Abteilung sollte jedem angehenden Chefarzt bekannt und bewusst sein.

PRAXISHINWEIS | Um einen hohen Standard zu gewährleisten und sich als verantwortlicher Arzt im Zweifelsfall entlasten zu können, empfiehlt es sich, klinikinterne Vorgaben über den Einsatz von Studenten festzulegen und den Studenten zur Verfügung zu stellen bzw. diese mit ihnen zu besprechen.

Fazit: Zutrauen und Kontrolle

Die praktische Ausbildung von Medizinstudenten ist unerlässlich, um guten ärztlichen Nachwuchs zu erhalten und zu fördern. Wichtig ist dabei, den Studenten etwas zuzutrauen, damit diese Selbstsicherheit im Umgang mit den Patienten gewinnen und lernen, eigene ärztliche Entscheidungen zu verantworten. Die aufgezeigten Risikofelder sollen dabei keine Angst machen, sondern lediglich als Richtschnur dienen und im Hinterkopf behalten werden, um Zwischenfälle zu vermeiden.