Behandlungsfehlerstatistiken: Die neuen Zahlen der Schlichtungsstellen liegen vor

 von RA und FA für MedR Dr. Rainer Hellweg, Hannover

Gegen Krankenhäuser und die dort tätigen Ärzte werden weit häufiger Behandlungsfehlervorwürfe von Patientenseite erhoben als gegen niedergelassene Kollegen. Und: Die chirurgischen Fächer sind deutlich haftungsträchtiger als die konservativen Disziplinen. Diese Trends setzen sich fort – wie die Zahlen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen belegen. 

12.000 Fälle wurden bewertet

Aktuell vorgelegt wurden die Statistiken aus dem Jahr 2016. Dabei wurden ca. 12.000 von Patienten vermutete Arzthaftungsfälle durch die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern bewertet. Aus diesen Verfahren werden mithilfe des Medical Error Reporting Systems (MERS) anonymisierte Daten einheitlich erfasst und in einer bundesweiten statistischen Erhebung zusammengeführt. Die Geschäftsstelle der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern in Hannover ist von der Bundesärztekammer mit der Durchführung beauftragt. Finanziert wird die Erfassung und Auswertung von den teilnehmenden Landesärztekammern.

Diese Auswertung ist deshalb so interessant, weil – anders als bei den Klageverfahren vor den Zivilgerichten – die Daten aus den Schlichtungsverfahren in einer bundesweiten statistischen Erhebung aggregiert werden. Hieraus können Rückschlüsse gezogen werden: Steigt die Zahl der Behandlungsfehler an? Welche Fachrichtungen sind am häufigsten betroffen?

Behandlungsfehlerquote fast gleichbleibend

Die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen haben im Jahr 2016 bundesweit insgesamt 7.639 Entscheidungen zu mutmaßlichen Behandlungsfehlern getroffen. Dabei wurde in 2.245 Fällen ein Behandlungsfehler bejaht. Das bedeutet eine Quote von rund 29,39 Prozent. Im Vorjahr wurde bei 7.215 Entscheidungen in 2.132 Fällen ein Behandlungsfehler attestiert – also in rund 29,55 Prozent der Fälle. In 2016 wurde in 1.845 Fällen ein Behandlungsfehler und/oder Risikoaufklärungsmangel als Ursache für einen Gesundheitsschaden ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädigung begründete. In 400 Fällen lag ein Behandlungsfehler oder Risikoaufklärungsmangel vor, der jedoch keinen kausalen Gesundheitsschaden zur Folge hatte.

Krankenhäuser mehr im Fokus als niedergelassener Bereich

Auch weiterhin gilt: Nach Krankenhausbehandlungen erheben Patienten wesentlich häufiger Behandlungsfehlervorwürfe als im Hinblick auf Behandlungen durch niedergelassene Ärzte im ambulanten Bereich. Die Gesamtzahl der Antragsgegner bei den Sachentscheidungen aus dem Jahr 2016 betrug 8.644. Dabei war in 6.453 Fällen (74,65 Prozent) ein Krankenhaus der Ort des Behandlungsgeschehens. 2.191 Fälle (25,35 Prozent) stammten aus dem niedergelassenen Bereich einschließlich Praxen und MVZ. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht selten ein Haftungsanspruch sowohl gegenüber den Krankenhausärzten als auch gegenüber z. B. dem nachbehandelnden Hausarzt geltend gemacht wird.

Die Quote der Behandlungsfehlervorwürfe, bei denen ein Behandlungsfehler und/oder ein Aufklärungsmangel bejaht wurde, unterscheidet sich nicht wesentlich zwischen Kliniken und dem niedergelassenen Bereich.

Unfallchirurgie/Orthopädie weiterhin im Blickpunkt

Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren in den Kliniken Knie- und Hüftgelenkarthrosen sowie Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen in den Krankenhäusern, im niedergelassenen Sektor das Mammakarzinom. Was die betroffenen Fachbereiche angeht, ist die Unfallchirurgie/Orthopädie sowohl im niedergelassenen als auch im Krankenhausbereich weiterhin Spitzenreiter.

  • Fehler nach Fachbereichen
Krankenhausbereich
6.453
Niedergelassener Bereich
2.191
Unfallchirurgie/ Orthopädie 2.073 (32,1 %) Unfallchirurgie/ Orthopädie 498 (22,7 %)
Allgemeinchirurgie 937 (14,5 %) Hausärztlich tätiger Arzt 288 (13,1 %)
Innere Medizin 553 (8,5 %) Allgemeinchirurgie 203 (9,3 %)
Frauenheilkunde 333 (5,2 %) Augenheilkunde 176 (8,0 %)
Neurochirurgie 286 (4,4 %) Frauenheilkunde 174 (7,9 %)
Anästhesiologische und Intensivmedizin 258 (4,0 %) Innere Medizin 173 (7,9 %)
Geburtshilfe 207 (3,2 %) Radiologie 92 (4,2 %)
Urologie 196 (3,0 %) Urologie 88 (4,0 %)
Neurologie 172 (2,7 %) HNO Heilkunde 87 (4,0 %)
Kardiologie 152 (2,4 %) Haut- und Geschlechts-Erkrankungen 82 (3,7 %)

 

Insgesamt ist festzustellen, dass sich die „schneidenden“ Fächer weit haftungsträchtiger darstellen als die nicht operativen Fachgebiete. Dies muss aber nicht daran liegen, dass Chirurgen tatsächlich mehr Kunstfehler begehen als Internisten. Vielmehr ist zu vermuten, dass Patienten aus dem Vergleich des postoperativen Zustands mit den präoperativ gehegten Erwartungen eher einen vermeintlichen Behandlungsfehler ableiten als bei konservativen Behandlungen.

Wo kommen am häufigsten Fehler vor?

Die „neuralgischen“ Punkte im Behandlungsmanagement sollte der Oberarzt kennen, um die nachgeordneten Ärzte seiner Abteilung entsprechend sensibilisieren zu können. Hier passierten 2016 die meisten Fehler:

  • Die häufigsten Fehler 2016
Krankenhausbereich
Anzahl Fehler
Therapie operativ, Durchführung 549
Diagnostik, bildgebende Verfahren 320
Therapie postoperative Maßnahmen 193
Indikation 144
Diagnostik, Anamnese/Untersuchung 135
Diagnostik, Labor/Zusatzuntersuchungen 132
Therapie, Pharmaka 112
Organisation, ärztliche Mitarbeiter 74
Therapie postoperativ, Infektion 65
Therapie operativ, Verfahrenswahl 63

 

FAZIT | Experten gehen davon aus, dass die Anzahl der Arzthaftungsverfahren in der Zukunft möglicherweise noch ansteigen, zumindest aber nicht sinken wird. Dass Patienten im heutigen Internetzeitalter aufgeklärter als früher sind, dürfte dazu beitragen – eine möglicherweise insgesamt ansteigende Klagebereitschaft der Bürger auch.

 

Auf der anderen Seite ist zu konstatieren, dass sich zwischen den Jahren 2004 und 2015 die Anzahl der Behandlungsfälle in den Krankenhäusern um 2,5 Mio. auf fast 19,8 Mio. pro Jahr und die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle um 160 Mio. auf mittlerweile 696 Mio. erhöht haben. Daran gemessen liegt die Quote der festgestellten Fehler im Promillebereich.