So führen Sie Kritikgespräche konstruktiv und motivationserhaltend

von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung – Coaching – Moderation, www.ihrcoach.com

Der Gedanke, mit einem Assistenzarzt ein Kritikgespräch führen zu müssen, ruft bei vielen Oberärzten Unbehagen oder Vermeidungsreaktionen hervor: „Wie wird er/sie im Gespräch oder danach reagieren? Finde ich die richtigen Worte? Keinesfalls will ich verletzend sein.“ Verständliche Gedanken, schließlich geht es darum, einen Mitarbeiter mit einem unangenehmen Thema zu konfrontieren. OH stellt die zehn Grundsätze vor, wie Sie sich auf ein Kritikgespräch vorbereiten können und was es im Gesprächsverlauf zu beachten gilt, um erfolgreich zu sein.

Kritikgespräche sind Bestandteil der Führungsaufgabe

Kritikgespräche sind ein unvermeidbarer Bestandteil der Führungsaufgabe einer ärztlichen Leitungskraft. Sie aufzuschieben oder zu unterlassen verschlimmert die Situation für alle Beteiligten. Anders als in alltäglichen Feedback-Gesprächen, mit denen Sie Ihren Teammitgliedern fachliche und soziale Orientierung hinsichtlich ihres Reifegrades geben und die fester Bestandteil wirksamer Führung sind, liegt einem Kritikgespräch gravierendes Fehlverhalten zugrunde. Umso größer ist der Handlungsdruck für Sie als Oberarzt. Die Notwendigkeit, ein Kritikgespräch führen zu müssen, entsteht selten plötzlich und unerwartet – meistens gibt es Anzeichen und Vorboten.

  • Beispiel

Ein Assistenzarzt, der im OP eine Pflegekraft anschreit, macht das selten ohne Vorsignale der Überlastung. Hier ist Ihre zügige Reaktion gefragt. Zum einen gilt es, den Assistenzarzt unmittelbar in seine Schranken zu weisen, die Pflegekraft zu schützen und eine Atmosphäre der Wertschätzung aufrechtzuerhalten. Zum anderen ist das unangemessene Verhalten als ein Alarmsignal aufgrund von Überlastung gemeinsam mit dem Assistenzarzt zu bearbeiten.

Ein positiver Grundton bestimmt das Gespräch

In erster Linie hat ein Kritikgespräch das Ziel, einen Mitarbeiter, der kurzzeitig ausgeschert ist, wieder zurückzuholen. Ein konstruktiver Grundton bestimmt daher das Gespräch. Schließlich geht es darum, den Mitarbeiter zu halten und zu entwickeln – nicht aber, ihn aus dem Team zu drängen.

Bei einigen Gesprächsanlässen ist es erforderlich, den Chefarzt hinzuzuziehen oder sich im Vorfeld Rat von Experten einzuholen. Lässt das Verhalten eines Mitarbeiters z. B. auf ein Suchtproblem schließen, können die Suchtberatungsstelle der Klinik oder die Personalabteilung genaue Hinweise zur Gesprächsführung und zur arbeitsrechtlich korrekten Vorgehensweise geben.

PRAXISHINWEIS | Obwohl Kritikgespräche in der Regel unter vier Augen geführt werden, ist es bei einigen Themen zu empfehlen, eine Kollegin oder einen Kollegen hinzu zu bitten. Müssen Sie z. B. als männlicher Oberarzt eine junge Assistenzärztin auf ihre oft zu freizügige Kleidung hinweisen, tun Sie gut daran, das Gespräch gemeinsam mit einer Kollegin oder der Assistentensprecherin zu führen. So wird dem Verdacht der sexuellen Belästigung oder Diskriminierung vorgebeugt.

Konkrete Sachverhalte ansprechen

Unabhängig vom Anlass des Kritikgesprächs ist es entscheidend, dass Sie konkrete Sachverhalte thematisieren, die Sie möglichst selbst wahrgenommen haben. Bei Äußerungen Dritter oder Aspekten, die durch Beschwerden oder Hörensagen an Sie herangetragen wurden, müssen Sie ihrem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, seine Sichtweise darzustellen. Niemals wird die gesamte Person kritisiert, sondern lediglich der beobachtete konkrete Sachverhalt. Sympathie oder Antipathie spielen dabei keine Rolle.

MERKE | Die Mitglieder Ihres Teams achten auf Gleichbehandlung. Sie registrieren sehr wohl, wenn Sie z. B. einer Assistentin, die Ihnen sympathisch ist, es immer wieder durchgehen lassen, dass sie zehn Minuten zu spät in die Frühbesprechung kommt. Hingegen muss sich ein anderer Assistenzarzt bereits bei nur geringen Verspätungen harsche Kritik von Ihnen gefallen lassen.

Zehn Grundsätze für ein erfolgreiches Kritikgespräch

Darüber hinaus gelten für ein Kritikgespräch die folgenden Grundsätze.

Grundsatz 1: Gespräch vorbereiten

Damit ein roter Faden erkennbar ist und nichts Wichtiges vergessen wird, sollte das Gespräch gut vorbereitet werden: „Was ist die Kernbotschaft, die ich dem Mitarbeiter vermitteln muss? Wie starte ich nach dem Prinzip: konstruktiv, insistierend, sicher, schnell? Wie reagiere ich bei Uneinsichtigkeit?“

Zur Vorbereitung gehören ggf. auch Gespräche mit dem Chefarzt und Experten über mögliche Hilfsangebote und das weitere Vorgehen.

Grundsatz 2: Konstruktive Gesprächsatmosphäre herstellen

Der Ernst der Situation wird vom Setting des Gesprächs bestimmt. Es findet in einer störungsfreien Atmosphäre statt und wird nicht von Anrufen oder eintretenden Personen unterbrochen. Respekt und Achtsamkeit kennzeichnen Ihre Grundhaltung, sie federn Ihre offensichtliche Verärgerung ab.

Grundsatz 3: Gesprächsanlass darlegen

Zum Auftakt des Gesprächs legen Sie ruhig und sachlich den Anlass dar. Erst wenn er deutlich ist, wird ein konstruktiver Dialog möglich. Unverfänglicher Small Talk zu Beginn wirkt selten entspannend, sondern eher verunsichernd.

Grundsatz 4: Konkrete Botschaften formulieren

Damit Ihr Mitarbeiter den Gesprächsanlass erfassen und die Bedeutung des Themas erkennen kann, sind klare und eindeutige Schilderungen notwendig, die ihn mit seinem Verhalten konfrontieren und kein Ausweichen erlauben.

  • Beispiel

„Als wir gestern zusammen im OP standen, fiel mir auf, dass Ihr Ton gegenüber Schwester A unfreundlich und unangemessen war.“ statt: „Oberarzt B meint, dass Sie in letzter Zeit ziemlich emotional reagieren.“

Anschließend sprechen Sie darüber, was dieses Verhalten bei Ihnen auslöst: „Ich bin besorgt, dass Ihre Reputation Schaden nimmt.“ Formulieren Sie dann eine klare Erwartung: „Ich erwarte, dass Sie an Ihrem Verhalten arbeiten.“ Oder: „Ich möchte Ihre Meinung dazu hören.“

Grundsatz 5: Raum für Antworten lassen

Geben Sie Ihrem Mitarbeiter die Möglichkeit, sein Verhalten zu erklären. Allerdings gilt es, Ausreden und Ausflüchte von konstruktiven Antworten zu trennen und unproduktive Diskussionen zu vermeiden.

Grundsatz 6: Lösung entwickeln

Optimal ist ein gemeinsam mit dem Mitarbeiter erarbeiteter Lösungsweg. Von Ihnen präsentierte vermeintliche Patentlösungen stoßen nur selten auf dauerhafte Akzeptanz.

Grundsatz 7: Gesprächsdauer beschränken

In den meisten Fällen reicht ein Gespräch von 15 bis 20 Minuten aus, damit es eine nachhaltige Wirkung entfaltet.

Grundsatz 8: Ziel und Folgetermin vereinbaren

Um das Gespräch nicht der Beliebigkeit zu überlassen, ist es hilfreich, ein konkretes Ziel zu vereinbaren und dessen Erreichung während eines Folgetermins zu überprüfen. Dieser Termin bietet die Möglichkeit für ein qualifiziertes Lob oder weitere konkrete Kritik. Kontinuierliches Feedback hinsichtlich des angesprochenen Verhaltens sichert die Nachhaltigkeit.

Grundsatz 9: Schriftliche Vereinbarung treffen

Die Fixierung der Gesprächsergebnisse mit Datum und Unterschrift dient beiden Gesprächspartnern als Gedankenstütze und sorgt – auch rechtlich – für eine Basis, wenn weitere eskalierende Schritte erforderlich werden. Der Mitarbeiter erhält eine Kopie, das Original bleibt bei Ihnen.

Grundsatz 10: Gespräch abschließen

Vermeiden Sie unbedingt einen „kalten“ Gesprächsabschluss mit dem Tenor „Das wollte ich Ihnen schon immer mal sagen“. Viel aufbauender ist ein Gesprächsende nach dem Motto: „Das war die Zeit der Kritik, jetzt geht es wieder konstruktiv in den Alltag.“ Abschlusssätze wie z. B. „Sind Sie nachher bei der Fallbesprechung dabei?“ schlagen eine Brücke in den Klinikalltag.

FAZIT | So unbehaglich Kritikgespräche auch sein mögen, als Führungsinstrument sind sie alternativlos. Bei Beachtung dieser Grundsätze kann aus der Kritik auch ein konstruktiver Dialog resultieren, der unter Umständen für beide Seiten überraschende Ergebnisse liefert. So wird das Kritikgespräch Teil der Mitarbeiterentwicklung und der Führungskultur.