Recht

Wann muss der Arzt den Patienten über Behandlungsalternativen aufklären?

von Rechtsanwältin Henriette Nehse, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de

Sowohl in den operativen als auch in den nichtoperativen Fachgebieten gibt es häufig mehrere Behandlungswege, die medizinisch vertretbar sind. Doch in welchen Fällen muss der Patient über Behandlungsalternativen aufgeklärt werden? Ist die Aufklärung nötig, wenn die alternative Behandlungsform in der Klinik gar nicht angeboten wird? Muss der Patient auf die bessere apparative Ausstattung einer anderen Klinik hingewiesen werden? Dieser Beitrag gibt Antworten und erläutert aktuelle Urteile zum Thema.

Arzt muss nur auf „echte“ Alternativen hinweisen

Die Wahl der richtigen Behandlungsmethode ist generell Sache des Arztes. Solange er eine Therapie entsprechend dem medizinischen Standard anwendet, muss er dem Patienten nicht ungefragt erläutern, welche Behandlungsmethoden oder Operationstechniken theoretisch in Betracht kommen und was für und gegen die eine oder die andere Methode spricht. Über einzelne Behandlungstechniken oder etwa die Wahl des Zugangs zum Operationsgebiet muss der Arzt den Patienten grundsätzlich nicht aufklären.

Eine Aufklärung über verschiedene Behandlungsmethoden ist auch dann entbehrlich, wenn Chancen und Risiken etwa gleichwertig sind. Wenn die andere Methode aber geringere Risiken und/oder höhere Erfolgschancen bietet und somit eine „echte“ Alternative ist, muss der Patient hierauf hingewiesen werden. Die Gerichte begründen dies so: Der Patient soll – nach sachverständiger Beratung durch den Arzt – selbst prüfen können, was er an Gefahren und Belastungen im Hinblick auf möglicherweise unterschiedliche Erfolgschancen auf sich nehmen will.

Wenn eine OP – trotz bestehender Indikation – nicht dringlich und Zuwarten eine Alternative ist, muss der Patient hierauf hingewiesen werden. Spiegelbildlich gilt: Der Patient muss aufgeklärt werden, wenn eine operative Intervention wesentlich höhere Erfolgschancen gegenüber einer konservativen Behandlung bietet. Gibt es zu einem Erkrankungsbild unterschiedliche diagnostische oder therapeutische Verfahren, muss der Arzt im Gespräch mit dem Patienten das Für und Wider abwägen, wenn jeweils unterschiedliche Risiken entstehen können und der Patient eine echte Wahlmöglichkeit hat.

PRAXISHINWEIS | Besondere Anforderungen an die Aufklärung bestehen bei neuartigen Behandlungsmethoden. Hier muss der Arzt Vor- und Nachteile sowohl der vorgeschlagenen neuartigen als auch der althergebrachten, dem Standard entsprechenden Behandlungsmethode „schonungslos“ – so die Rechtsprechung – im Vergleich erläutern.

Fall 1: Bandscheiben-OP war nicht „alternativlos“

Im ersten Fall wurden einem Patienten 20.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, da er nicht ausreichend über Alternativen zu der bei ihm eingesetzten Bandscheibenprothese aufgeklärt wurde.

Der Sachverhalt

In dem vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschiedenen Fall ging es um einen Patienten, der nach einer Bandscheiben-OP sowohl Behandlungs- als auch Aufklärungsfehler rügte. (Urteil vom 29. September 2014, Az. 3 U 54/14). Der 40-jährige Patient war wegen Bandscheibenvorfällen mehrfach voroperiert worden. Wegen anhaltender Beschwerden stellte er sich bei einer Reihe unterschiedlicher Behandler vor. Diese gelangten jeweils zu dem Ergebnis, dass kein Anlass für eine operative Intervention bestehe, sondern die Fortsetzung der konservativen Therapie empfehlenswert sei.

Der Patient ließ sich dann stationär aufnehmen in der Klinik, die er später verklagte. Auf der Grundlage der im Zuge dieses Aufenthalts erhobenen Befunde und durchgeführten Therapien – analgetisch-antiphlogistische Medikation sowie Reischauer-Blockade links – wurde eine OP-Indikation gestellt. Anschließend wurde der Patient in der Klinik operiert, wobei die Implantation einer Bandscheibenersatzprothese im Bereich LW4/5 links vorgenommen wurde. Es folgten zahlreiche weitere stationäre Aufenthalte mit konservativen und auch erneut operativen Maßnahmen.

Der Patient machte im Rahmen der Klage geltend, dass die Operation zur Implantation einer Bandscheibenersatzprothese in mehrfacher Hinsicht kontraindiziert gewesen sei. Die diagnostischen Möglichkeiten vor dem Eingriff seien keineswegs ausgeschöpft gewesen. Zudem rügte er, dass er nicht hinreichend über die Risiken und die Indikationsstellung des Eingriffs aufgeklärt worden sei. Er verlangte Schmerzensgeld wegen starker Beschwerden im Nacken, heftigen Schmerzen sowie allergischer Reaktionen.

Die Entscheidung

Das Gericht gab der Klage statt und sprach dem Patienten ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro zu. Der Anspruch des Patienten sei allein wegen der mangelhaften Aufklärung gegeben; ob ein sonstiger Behandlungsfehler vorgelegen habe, sei unerheblich, so die Richter des OLG Hamm.

Der Sachverständige hatte erläutert, dass zum Behandlungszeitpunkt Anfang 2007 die gewählte Methode des Bandscheibenersatzes noch relativ neu gewesen sei. Es hätten jedoch Behandlungsalternativen wie die seinerzeit als Goldstandard bewertete Fusion (Versteifung) oder auch die Fortsetzung der konservativen Therapie bestanden.

Hieraus folgerte das OLG: Die Ärzte hätten den Patienten explizit darauf hinweisen müssen, dass der Einsatz einer Bandscheibenprothese im Behandlungszeitpunkt geringere Erfolgschancen für eine Beschwerdelinderung geboten hat als eine Versteifungsoperation – vor allem aufgrund des medizinischen Zustands des Patienten nach den zahlreichen Voroperationen.

Fall 2: Der fehlende Hinweis auf die Biopsie

Im zweiten Fall hatte eine Patientin vor dem OLG Hamm Haftungsklage gegen eine Gynäkologin erhoben (Urteil vom 29. Oktober 2014, Az. 3 U 55/14). Ihr Vorwurf: Die Ärztin habe nicht über die Alternative einer bioptischen Abklärung aufgeklärt.

Der Sachverhalt

Nachdem die Patientin einen Knoten in der Brust ertastet hatte, konsultierte sie die Gynäkologin erstmals. Diese diagnostizierte ein Adenom mit perimenstruellen Beschwerden. Ein Jahr später stellte sich die Patientin erneut vor und berichtete über eine Größenzunahme des Knotens und Beschwerden. Die Gynäkologin stufte den Befund in der Ultraschall-Klassifikation analog BI-RADS als BI-RADS III ein und diagnostizierte den Verdacht auf ein Fibroadenom. Sie verschrieb der Patientin Progestogel gegen die Schmerzen. Auf die Möglichkeit einer sofortigen weiteren Abklärung des Befunds mittels einer Biopsie wies sie jedoch nicht hin.

Erst knapp ein weiteres Jahr später kam es zu einer stanzbioptischen Abklärung. Die durchgeführte Jet-Biopsie ergab den Befund eines „high grade Carcinoma in situ mit Verdacht auf einen Übergang in ein invasives Carcinom“. Erforderlich wurden nachfolgend eine offene Mamma-Probeexzision, dann eine Chemotherapie und schließlich eine Mastektomie. Die Patientin warf der Gynäkologin vor, zu spät eine ausreichende Befunderhebung zur differentialdiagnostischen Abklärung des Knotens veranlasst zu haben. Dass die Gynäkologin sie seinerzeit nicht auf die Möglichkeit einer Abklärung durch Biopsie hingewiesen habe, sei als fehlerhaft einzustufen.

Die Entscheidung

Zwar wies das Gericht im Ergebnis die Haftungsklage der Patientin ab, da die Kausalität für den geltend gemachten Schaden nicht nachgewiesen worden sei. Allerdings hoben die Richter in den Entscheidungsgründen des Urteils ausdrücklich hervor, dass der unterlassene Hinweis gegenüber der Patientin auf die in Betracht kommende Biopsie einen Behandlungsfehler darstelle. Die Gynäkologin hätte die Patientin initiativ über die Möglichkeit der Überprüfung des Befunds durch eine Biopsie aufklären müssen – trotz der Tatsache, dass die Stanzbiopsie als invasive Diagnostik eine höhere unmittelbare Belastung für die Patientin bedeutet habe -, da auf diesem Wege zuverlässiger ein Malignitätsrisiko hätte ausgeschlossen werden können.

Aus diesem Urteil lässt sich schlussfolgern: Wenn bei einem bestimmten Befund alternativ zu einer kurzfristigen Verlaufskontrolle eine invasive Diagnostik zwecks Abklärung in Betracht kommt, muss der Patient hierüber – auch ohne Nachfrage – aufgeklärt werden. Dies gilt auch dann, wenn das Risiko der Malignität des erhobenen Befunds gering erscheint.

PRAXISHINWEIS | Das Aufklärungsgespräch muss vom Arzt für den medizinischen Laien verständlich geführt werden. Die Verwendung von Fachbegriffen gegenüber dem Patienten ist weder weiterführend noch geboten.

Fall 3: Die Verwendung von Fachbegriffen in der Aufklärung

Das OLG Koblenz hat mit Beschluss vom 21. November 2014 ebenfalls verdeutlicht, dass Fachsprache bei der Aufklärung fehl am Platze ist (Az. 5 U 1087/14).

Aus dem Urteil

Im entschiedenen Fall wurde die Gefahr einer Arthrofibrose nach einer Kniegelenksoperation als hinreichend umschrieben angesehen durch den Hinweis, dass Funktions- und Bewegungseinschränkungen auftreten können und die Gefahr von Verkalkungen in benachbarten Muskeln bestehe. Dies wiederum könne unter Umständen lang dauernde krankengymnastische oder auch operative Nachbehandlungen erfordern.

Medizinische Fachbegriffe nicht erforderlich

Das Gericht wies den Einwand der Patientin zurück, der Begriff „Arthrofibrose“ sei in den voroperativen Gesprächen nicht gefallen. Dieser Fachbegriff hätte der Patientin ohnehin nichts gesagt und habe daher nicht genannt werden müssen. Schließlich nahm die Patientin ihre gegen den Operateur gerichtete Klage wegen eines Aufklärungsfehlers zurück.

Verweis an Klinik mit besserer Ausstattung?

Der Patient muss grundsätzlich nicht darüber aufgeklärt werden, dass dieselbe Behandlung anderenorts mit vielleicht besseren personellen und operativen Mitteln möglich ist. Dies gilt solange, wie der Ausstattungszustand in der eigenen Klinik noch dem medizinischen Standard entspricht. Sobald sich jedoch neue Verfahren weitgehend durchgesetzt haben, muss der Patient initiativ auf alternative Kliniken verwiesen werden, wenn diese

  • eine deutlich bessere technisch-operative Ausstattung vorhalten oder
  • über deutlich besseres bzw. spezialisierteres Personal verfügen
  • und sich diese Umstände in wesentlich geringeren Risiken oder wesentlich höheren Erfolgschancen für den Patienten niederschlagen.

Auch Missstände in der eigenen Klinik können eine Aufklärung des Patienten erforderlich machen – etwa bei einer deutlichen personellen oder operativen „Unterausstattung“, einer von der Norm abweichende Infektionsstatistik oder wenn gegen die in der Klinik angewandte Methode gewichtige Bedenken in der medizinischen Literatur erhoben worden sind.

FAZIT | Keine Klinikleitung sieht es gern, wenn Ärzte von sich aus Patienten darauf hinweisen, dass eine bestimmte Maßnahme in einer anderen Klinik in besserer Qualität angeboten wird. Im Spannungsfeld zwischen ärztlicher Therapiefreiheit, Patientenwohl und Wirtschaftlichkeit sollte der Arzt genau abwägen, was er den Patienten im Aufklärungsgespräch mitteilt. Je umfassender die Aufklärung – auch über Behandlungsalternativen – erfolgt, desto geringer ist das haftungsrechtliche Risiko. Der Hinweis gegenüber dem Patienten auf Behandlungsalternativen sollte in jedem Fall dokumentiert werden – etwa mit einem handschriftlichen Eintrag im Aufklärungsbogen. Der Oberarzt mit Leitungsfunktion sollte seine ärztlichen Mitarbeiter entsprechend anweisen.