Arzthaftung: Internist erkennt Darmkrebs nicht
Leidet eine Patientin an wiederholten Blutungen aus dem Anus, ist der behandelnde Internist verpflichtet, eine Darmspiegelung (Kolososkopie) zu veranlassen. Unterlässt er dies und diagnostiziert stattdessen lediglich Hämorrhoiden, so begeht er einen groben Behandlungsfehler.
von Rechtsanwalt Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin/Heidelberg – www.christmann-law.de
Das Oberlandesgericht Braunschweig verurteilte den Arzt, da die Patientin im Anschluss an den Folgen des sich weiter entwickelnden Darmkrebses verstarb, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 70.000 Euro. Die Einwendungen des Arztes, die Patientin habe diese Entwicklung mitverschuldet, wies das Gericht als unbegründet zurück, denn bei der Bejahung eines Mitverschuldens des Patienten sei wegen des erheblichen Wissensvorsprunges des Arztes gegenüber dem Patienten Zurückhaltung geboten: Hat die Patientin von dem Arzt eine klare Diagnose erhalten (hier: Blutungen seien auf Hämorrhoiden etc. zurückzuführen), so dürfe sie bei erneutem Auftreten der Blutungen zumindest eine Zeit lang darauf vertrauen, dass keine ernsthafte Erkrankung vorliegt.
Praxisanmerkung
Diagnostik ist die Grundlage erfolgreicher medizinischer Behandlung. Zwar ist die Rechtsprechung erfahrungsgemäß zurückhaltend mit der Bejahung von Behandlungsfehlern (z.B. falscher Schnitt bei Operation, Medikament überdosiert). Dagegen bestrafen die Gerichte die Unterlassung gebotener Diagnostik regelmäßig unerbittlich.
[!] Folglich kann Ärzten aus juristischer Sicht nur geraten werden, die diagnostischen Mittel auszuschöpfen und so den „sichersten Weg“ zu gehen, um die Behandlung zu einem Erfolg zu führen.
Die gesetzlichen Krankenkassen begrüßen ausdrücklich die Einholung einer ärztlichen Zweitmeinung. Denn zwei Ärzte sehen mehr als einer und die Kassen haben gute Erfahrungen mit Zweitmeinungen gemacht.
OLG Braunschweig, 28.2.2019 – 9 U 129/15