Atteste – eine leidige Pflicht mit vielen Stolperfallen für den Arzt

Das Ausstellen ärztlicher Atteste gehört zum Tageswerk jedes niedergelassenen Arztes. Zur Zeit werden Ärzte vermehrt mit Anfragen nach Attesten konfrontiert, insbesondere in Folge der Corona-Pandemie. So fragen zur Zeit Patienten nach Attesten an, die den Patienten z.B. von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreien sollen – der rechtliche Umgang mit diesen Attesten sorgt für einigen Streit und erhebliche Verunsicherung.

von Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin/Heidelberg – www.christmann-law.de

Wenn der Arzt bei der Ausstellung von Attesten einige Regeln beachtet, kann er sich einige Schwierigkeiten mit Patienten, Gerichten und Behörden aber ersparen, wie sich anhand eines aktuellen Falles aus Hamburg zeigt (Hamburgischer Berufsgerichtshof für die Heilberufe, Urteil vom 4.11.2020 – 15 Bf 63/20.HBG). Da ärztliche Atteste besonderes Vertrauen genießen, gelten für sie besonders anspruchsvolle Regeln.

Es gibt eine Vielzahl von Attesten: z.B. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Gesundheitszeugnisse, Zeugnisse über krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit, zur Befreiung vom Sportunterricht in der Schule, Bescheinigung über das Bestehen einer Schwangerschaft für den Arbeitgeber, zur Begründung einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung (Duldung) iS v § 60a AufenthG, als Todesbescheinigungen oder Zeugnisse für Lebens­versicherungen oder als Bescheinigung über die Verhandlungsfähigkeit im Straf- oder Zivil­prozess.

Form und Inhalt des Attests sind dem Arzt zwar grundsätzlich freigestellt und es gibt keinen Formularzwang, wenn auch Ärzte oft Vordrucke einsetzen. Trotzdem gibt es eine Vielzahl von Regeln, die zu beachten sind.

Welche Regeln gelten für die Ausstellung ärztlicher Atteste?

Grundsatz: Der Arzt hat bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse (wozu auch Atteste zählen) mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und darin nach bestem Wissen seine ärztliche Überzeugung auszusprechen (vgl. § 25 Muster-Berufsordnung Ärzte).

[!] Das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse zur Vorlage bei Behörden ist sogar strafbar für den Arzt (§ 278 StGB) – dies ist also einer der wenigen Fälle, in denen eine bloße schriftliche Lüge strafbar ist.

Was müssen Sie beachten?

Was bedeuten diese Anforderungen aus der Berufsordnung und dem Strafrecht nun im Einzelnen?

  • Sie müssen den Patienten selbst untersucht haben (es ist strengstens verboten, Atteste ohne Untersuchung zu erstellen)
  • Vorerkrankungen sind zu benennen
  • Sie müssen in dem Attest eigene Erkenntnisse darstellen. Er muss sich von den im Attest behaupteten Tatsachen selbst ein Bild gemacht haben. Ein Arzt darf keinen Vorgang bescheinigen, den er nicht selbst wahrgenommen hat!
  • Sie müssen klar machen, ob Sie die medizinischen Erkenntnisse durch eigene Untersuchungen oder zB durch konsiliarische Untersuchungen gewonnen haben.

Und genau dies wurde einem Hamburger Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe hier als Berufsrechtsverstoß vorgeworden: Aus seinem Attest wurde nicht ersichtlich, ob der Arzt die gesundheitlichen Beschwerden der Patientin selbst diagnostiziert hatte und ob diese durch (angebliche) Nachbarschaftsstreitigkeiten verursacht oder verstärkt wurden.

  • das Attest muss eine klare Diagnose enthalten.
  • Sie müssen darlegen, wie er zu den attestierten Schlussfolgerungen oder Diagnosen gelangt ist.
  • Sie dürfen keine fachfremden Diagnosen stellen – so kann ein Zahnarzt keine allgemeinmedizinischen Atteste erstellen.
  • Atteste sollen nur medizinische Feststellungen enthalten. Sonstige Bestellungen (z.B. über Streitigkeiten mit Dritten oder persönliche Wohnverhältnisse) dürfen nur angegeben werden, wenn der Arzt diese persönlich wahrgenommen hat. Nicht erlaubt ist also die bloße Wiedergabe subjektiver Schilderungen des Patienten.
  • Keinesfalls sollen solche „Nebenschauplätze“ einen zu großen Raum einnehmen – im Zentrum des Attestes muss immer die medizinische Seite stehen.
  • Wenn Sie Kausalitäten darstellen, müssen Sie klar machen, was Ursache und was Wirkung ist
  • Sie dürfen sich mit Ihren Äußerungen in dem Attest nicht in eine Sache des Patienten „hineinziehen“ lassen oder sich mit dessen Anliegen gemein machen – Sie sollen objektiv medizinische Tatsachen und Befunde attestieren, mehr nicht

Im Zweifel sollte ein Arzt die Erstellung eines Attestes ablehnen.
Zweifelsfälle sind:

  • Sie haben Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Patienten über Beschwerden oder Vorerkrankungen
  • Sie haben Kenntnis von sachfremden Motiven (z.B. Urlaubswunsch des Patienten)
  • Sie dürfen z.B. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dann ausstellen, wenn Sie sich mit der notwendigen Sorgfalt und in nachvollziehbarer, vertretbarer Weise Ihre ärztliche Überzeugung von dem Vorliegen der Voraussetzung einer Arbeitsunfähigkeit verschafft haben.

[!] In jedem Fall sollten Sie sich streng an dem Mindestinhalt eines Attestes (Angaben über Gesundheitszustand, Diagnose, Dauer einer Krankschreibung) halten und im Zweifel alle Zusatzangaben (z.B. über persönliches Vorgeschichte, familiäre Schilderungen etc) weglassen. Sinnvoll (aber nicht zwingend) ist eine Zweckbestimmung des Attestes (z.B. „Zur Vorlage bei XY-Behörde“). Denn Sie haben keinen Einfluss mehr darauf, zu welchem Zweck der Empfänger es (evtl. zweckfremd) verwendet.