ArbeitGesundheitspolitik

Befristete Verträge: Mehr als nur ein Stressfaktor

Neben überlangen Arbeitstagen, ausfallenden Pausen und Co. kann auch die Laufzeit von Anstellungsverträgen zum Stressfaktor werden – insbesondere dann, wenn sich Ärztinnen und Ärzte von einem befristeten Vertrag zum nächsten hangeln müssen. 55 % der befragten Mitglieder des Marburger-Bund-Landesverbandes Baden-Württemberg haben befristete Arbeitsverträge. An den Unikliniken sind es sogar noch mehr – dort sind mehr als 80 % der befragten Ärztinnen und Ärzte befristet angestellt.

Eine Befristung kann massive Unsicherheit erzeugen. Eine zukunftsorientierte Planung im Berufs- und Privatleben wird dadurch schwierig bis unmöglich. Der Marburger-Bund-Landesverband Baden-Württemberg erfragte in einer Mitgliederumfrage den Status quo und die wahrgenommenen Auswirkungen der Befristung ärztlicher Arbeitsverträge.*)

Uniklinik-Ärzte besonders stark betroffen

Die Befristung ärztlicher Arbeitsverträge an den Kliniken ist bei Weitem keine Ausnahme, sondern vielmehr gängige Arbeitgeberpraxis. Jeder zweite Befragte gibt an, dass sein derzeitiger Anstellungsvertrag befristet ist (54,8 %). Im Vergleich zu den stationären Bereichen der größten Klinikträger im Land zeigt sich:

  • Verträge mit begrenzter Laufzeit kommen an Hochschulen besonders häufig vor, und zwar bei derzeit 80,9 % der im stationären Bereich einer Uniklinik tätigen Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer.
  • In konfessionellen (51,6 %) und kommunalen (51,2 %) Krankenhäusern ist es nur jeder zweite Befragte.
  • Bei den privatwirtschaftlich geführten Häusern fällt hier die aktuelle Befristungsquote mit 39,9 % lediglich halb so hoch aus wie im universitären Bereich.
Befristung auch nach Weiterbildung

Der Arbeitsmarkt für ÄrztInnen hat sich in den letzten Jahren zwar grundlegend gewandelt. Ihre Weiterbildung absolvieren die MedizinerInnen aber nach wie vor in der Regel im Rahmen einer befristeten Anstellung. Neun von zehn aller befragten Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung haben derzeit einen befristeten Arbeitsvertrag (89,0 %).

Beim Vergleich der Tätigkeitsbereiche, in denen die Umfrageteilnehmer arbeiten, zeigt sich erneut: An Universitätskliniken ist die Befristungsproblematik besonders stark ausgeprägt – und zwar auch dann, wenn die Befragten die Weiterbildungsphase bereits abgeschlossen haben und die Funktionen Fachärzte, Funktionsoberärzte oder Oberärzte bekleiden.

Ein Blick auf die Dauer der ärztlichen Tätigkeit bestätigt dieses Muster: Bei außerhalb von Hochschulen angestellten Befragten sinken die Anteile mit aktuell befristetem Arbeitsvertrag nach den ersten sechs Jahren Berufstätigkeit deutlich ab. Im universitären Bereich zeigt sich im Zeitverlauf zwar ebenfalls ein Rückgang: Die Befristungsquoten bewegen sich aber weiterhin auf einem deutlich höheren Niveau.

Besonders nachdenklich stimmt der Befund, dass sich nach über 20 Jahren ärztlicher Tätigkeit noch jeder siebte Befragte an einer Hochschule mit einem befristeten Arbeitsvertrag begnügen muss.

Kurze Vertragslaufzeiten

Die meisten Umfrageteilnehmer, die derzeit befristet angestellt sind, geben eine Vertragslaufzeit zwischen ein und drei Jahren an (Uniklinik: 64,4 %; andere Tätigkeitsbereiche: 43,9 %). Eine Vertragslaufzeit zwischen drei und fünf Jahren kommt außerhalb der Hochschulen deutlich häufiger vor (35,3 % vs. 22,7 %).

Besonders groß fällt die Differenz schließlich bei Verträgen mit mehr als fünf Jahren Laufzeit aus. Diese liegen bei mehr als doppelt so vielen Umfrageteilnehmern aus einem anderen Tätigkeitsbereich vor, als das bei den befragten UniklinikÄrztInnen Fall ist (7,5 % vs. 3,2 %).

Jede Neunte wollte den Beruf aufgeben

Mehr als die Hälfte der ÄrztInnen an den Universitätskliniken in Baden-Württemberg, die aktuell oder in den vergangenen zehn Jahren befristet angestellt sind bzw. waren, haben bereits in Erwägung gezogen, sich aufgrund dieser Befristung eine andere Arbeitsstelle zu suchen.

11 % dieser ÄrztInnen haben sogar bereits darüber nachgedacht, wegen der Befristung ihrer Arbeitsverträge die ärztliche Tätigkeit ganz aufzugeben.

90 % der aktuell oder in den vergangenen 10 Jahren befristet angestellten Befragten sagen, dass es ihnen wichtig wäre, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu bekommen.

Probleme werden nicht angesprochen

58,5 % der ÄrztInnen an Universitätskliniken, die aktuell oder in den letzten 10 Jahren einen befristetem Arbeitsvertrag hatten, fühlen sich daran gehindert, Probleme am Arbeitsplatz offen anzusprechen.

In erster Linie wirken Befristungen als Hemmschwelle, wenn es darum geht arbeitsrechtliche Fragen, wie z. B. Arbeitszeiten, Überstunden oder fehlende Pausen zu thematisieren und persönliche Probleme, wie z. B. die Work-Life-Balance oder die Kinderbetreuung anzusprechen.

Aber auch bei organisatorischen Fragen, wie z. B. zu Abläufen im OP, bei fachlichen Fragen, wie z. B. der Wahl der Diagnostik, und ethischen Fragen, wie z. B. bei der Entlassung von PatientInnen, wirken Befristungen als Hindernis offen zu kommunizieren.

„Wenn KollegInnen sich daran gehindert fühlen, Probleme am Arbeitsplatz offen anzusprechen, dann bedeutet dies, dass befristete Arbeitsverträge eine effektive Fehlerkultur verhindern. Deshalb müssen – auch zum Wohle der PatientInnen – diese Abhängigkeitsverhältnisse endlich aufgebrochen werden!“
Dr. Jörg Woll, Oberarzt an der Frauenklinik der Universität Freiburg und 2. Vorsitzender des Marburger Bundes Baden-Württemberg.

 

Stufenplan gegen die Befristung

Der Marburger Bund fordert deshalb einen Stufenplan zur Entfristung angestellter ÄrztInnen – im ersten Schritt eine Verdoppelung des Anteils unbefristeter Verträge an Universitätskliniken von bisher 20 % auf 40 %. Im zweiten Schritt fordert der Ärzteverband für alle Krankenhäuser im Land, ÄrztInnen die ihre Facharztweiterbildung abgeschlossen haben, unbefristet zu beschäftigen. In einem dritten Schritt fordert der Verband, langfristig alle ärztlichen Arbeitsverträge zu entfristen.

 

*) Mit einer Rücklaufquote von 20,7 % haben 2.653 berufstätige Mitglieder aus Baden-Württemberg im Januar/Februar des Jahres 2021 an der Umfrage teilgenommen. Die Ergebnisse der Umfrage wurden Ende September 2021 veröffentlicht.