Recht

Benachteiligung bei Stellenausschreibungen oder Rechtsmissbrauch?

Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) stellt Benachteiligungen wegen Geschlecht, Herkunft etc. unter Strafe. Doch wer ein Geschäftsmodell daraus macht, dass er Benachteiligung provoziert, geht leer aus. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist Rechtsmissbrauch anzunehmen, wenn sich ein Bewerber nicht um der Stelle wegen beworben hat, sondern um den formalen Status als Bewerber zu erlangen mit dem Ziel, ein Entschädigungsverlangen geltend machen zu können.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

§1 Ziel des Gesetzes

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder

wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder

Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen

Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Erster Fall: „Geschäftsmodell 2.0“

Das Landesarbeitsgericht Hamm wies das Entschädigungsverlangen eines Mannes wegen Rechtsmissbrauchs zurück, der sich systematisch auf eine Vielzahl von AGG-widrig ausgeschriebenen Stellen als „Sekretärin“ beworben hatte. Nach Ansicht des Gerichts hatte er sich im Sinne eines durch ihn weiterentwickelten „Geschäftsmodells 2.0“ beworben – mit dem alleinigen Ziel, Entschädigungsansprüche nach dem AGG durchzusetzen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Bei diesem Geschäftsmodell bewarb sich der Kläger laufend und deutschlandweit auf offensichtlich nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen als „Sekretärin“. Nach einer durch die Art und Weise seiner Bewerbung provozierten Absage, versuchte er Entschädigungsansprüche durchzusetzen, um von Bürgergeld und dem „Verdienst“ aus seinen Bewerbungsprozessen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dabei passte er gezielt seine Bewerbungen und sein Verhalten auf in Prozessen gewonnenen Erkenntnissen an: Er minimierte „empirisch“ ermittelte Rechtsmissbrauchsmerkmale, behielt aber gleichzeitig eine Bewerbung nach Form und Inhalt bei, die nicht zum Erfolg führen soll und kann.

Ergebnis war ein „Geschäftsmodell“, dass sich mittlerweile in der zweiten Generation befindet. So hatte der Mann in 15 Monaten alleine 11 Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin geführt, bei denen er sich stets zuvor auf nicht geschlechtsneutral ausgeschriebene Stellen für eine „Sekretärin“ nach dem stets gleichen Schema (Standardbewerbungsschreiben für Stellenanzeigen bei eBay Kleinanzeigen) auf niedrigen Niveau beworben hat, um bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt zu werden.

Zweiter Fall: „Benzin im Blut“ und die Altersdiskriminierung

In der Stellenanzeige eines „Junior-Key-Account-Managers“ war u.a. die Rede von „einem jungen Team mit flachen Hierarchien, das dir echten Gestaltungsspielraum lässt“. Der 48-jährige Kläger erhielt auf seine Bewerbung eine Absage und klagte später auf Zahlung einer Entschädigung, da er den Text der Stellenanzeige als Indiz für eine Altersdiskriminierung bewertete.

Die Richter des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg sahen in der Formulierung kein Indiz für eine unzulässige Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Entscheidend seien die konkrete textliche Gestaltung sowie die Formulierungen in ihrer Gesamtheit. Dabei sei der Gesamtkontext maßgeblich.

Zu berücksichtigen sind die Gesamtformulierung, Stellung der Formulierung im Anzeigentext, ggf. enthaltene Zusätze, der Aufbau. Es verbietet sich, einzelne Worte für sich stehend herauszunehmen. Die Gesamtformulierung „Wir sind ein junges, dynamisches Team mit Benzin im Blut und suchen Verstärkung“ beschreibt keine ernsthafte, realistische Erwartung an eine Bewerbung, sondern stellt eine werbende Aussage darüber da, was ein Bewerber in seinem Arbeitsumfeld erwarten kann. Es wird nach Ansicht des Gerichts aus Sicht eines objektiven Betrachters erkennbar, dass die Gesamtformulierung eine Werbung für den Betrieb bildet, jedoch nicht potentielle Bewerber von einer Bewerbung abhalten soll, weil sie nicht jung sind oder weil sie kein Benzin im Blut haben.

[!] Auch wenn Gerichte bei solchen Entschädigungsklagen genau hinsehen, sollten Sie es bei Ihren Stellenausschreibungen erst gar nicht auf Probleme ankommen lassen: Formulieren Sie Stellenanzeigen neutral und geben Sie bei einer Ablehnung weder mündlich noch schriftlich einen Anhaltspunkt für eine mögliche Diskriminierung. Denn besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt der potentielle Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises: Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG 27.08.2020 –8 AZR 45/19, BAGE 172, 78; 23.01.2020 – 8 AZR 484/18, BAGE169, 302).

Bundesarbeitsgericht, 14.06.2023 – 8 AZR 136/22

Landesarbeitsgericht Hamm, 05.12.2023 – 6 Sa 896/23

LAG Berlin-Brandenburg, 01.07.2021 – 5 Sa 1573/20, Bundesarbeitsgericht 11.01.2022 – 8 AZN 581/21