Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas – ja oder nein?
von RA und FA MedR Dr. Rainer Hellweg, Hannover
| Ein Patient wird bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert. Dem Oberarzt ist bekannt, dass der Patient der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehört und Bluttransfusionen – auch bei letaler Bedrohung – aus eigener fester Überzeugung heraus generell ablehnt. Die medizinische Situation ist ernst. Um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, wäre eine Bluttransfusion erforderlich. Darf – oder muss – der Oberarzt die Bluttransfusion in die Wege leiten bzw. seine Mitarbeiter entsprechend anweisen? |
Die juristische Lösung
Nein, die Bluttransfusion darf nicht durchgeführt werden. Die ärztliche Maßnahme wäre gegen den Willen des Patienten und damit – trotz medizinischer Indikation – rechtswidrig. Wie das Bundesverfassungsgericht hervorhebt, ist das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper ein Recht von Verfassungsrang und allerhöchstem Wert. Hiergegen darf nicht verstoßen werden. Ärztliche Heilbehandlungen gegen den feststehenden und frei gebildeten Willen des Patienten sind als rechtswidrig einzustufen.
MERKE | Jeder ärztliche Heileingriff bedarf zu seiner Rechtmäßigkeit der wirksamen Einwilligung des Patienten. Liegt diese nicht vor, erfüllt der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten – beginnend mit dem Stechen mit der Infusionsnadel – den Straftatbestand der Köperverletzung.
Umsetzung in der Praxis
Die juristische Lösung klingt eindeutig. Aber Vorsicht! In der Praxis sind die Dinge manchmal komplizierter, als es zunächst scheint:
Ist wirklich sicher, dass der Patient im Zeitpunkt der bewusstlosen Einlieferung in die Klinik noch an die Lehre der Zeugen Jehovas glaubt und Bluttransfusionen in jedem Fall ablehnt?
Konnte der Patient seinen Willen frei bilden und war nicht in seiner Einsichtsfähigkeit eingeschränkt (z. B. durch Verständnisdefizite oder Druck von Dritten wie dem Ehepartner, der die freie Willensbildung ausschließt)?
Grundsätzlich sind Klinikärzte bei bewusstlosen Patienten verpflichtet, das Bestmögliche zwecks Ermittlung des Patientenwillens zu tun, wenn Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen bestehen. Aber ist in der konkreten Notfallsituation überhaupt Zeit, den Sachverhalt zu ermitteln?
FAZIT | Falls in irgendeiner Hinsicht Zweifel bleiben, sollte der Oberarzt nach dem Grundsatz „in dubio pro vita“ verfahren, also zumindest in lebensbedrohlichen Situationen das Notwendige veranlassen. Erhält der Patient aufgrund einer falschen Bewertung der Situation gegen seinen eigenen Willen eine Bluttransfusion, ist das strafrechtliche Risiko geringer als wenn man den Patienten irrigerweise versterben lässt. Im Grundsatz gilt aber: Ärztliche Maßnahmen gegen den Willen des Patienten sind rechtswidrig.
Quelle: Ausgabe 11 / 2017 | Seite 16 | ID 44960344