Die 6 Grundsätze erfolgreichen Führens
von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung – Coaching – Moderation, www.ihrcoach.com
Umgangssprachlich ist der Begriff „Prinzipien“ sowohl positiv als auch negativ besetzt – von dem Kollegen, der „seinen Prinzipien treu bleibt“ bis zum Chef, dem alten „Prinzipienreiter“. Dabei geht es in beiden Fällen lediglich um die Bewertung von Verhalten, nicht aber um Prinzipien an sich. Hierunter sind Grundsätze zu verstehen, die dauerhaft gelten und sich nicht am Zeitgeist oder gesellschaftlichen Strömungen orientieren. Aber was haben Prinzipien mit wirksamer Führung zu tun und warum ist es für Oberärzte mit Führungsaufgaben wichtig, mit Prinzipien zu führen?
In Stresssituationen auf Führungsprinzipien besinnen
Führungsprinzipien wirken wie Verträge, die man mit sich selbst schließt. Im oftmals hektischen Führungsalltag ist es hilfreich, sich auf sie zu besinnen – insbesondere in schwierigen Situationen. Aber auch der tägliche Umgang mit Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten und Patienten wird – ob bewusst oder unbewusst – von Führungsprinzipien bestimmt.
Je besser es ärztlichen Leitungskräften gelingt, ihre Führungsprinzipien in ihrem Verhalten auszudrücken, umso verlässlicher, berechenbarer und souveräner werden sie von ihrem gesamten beruflichen Umfeld wahrgenommen. Welche konkreten Führungsprinzipien gibt es und wie spiegeln sie sich im Verhalten ärztlicher Leitungskräfte wider?
1. Führungsprinzip „Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung“
Vorbild in Haltung und Pflichterfüllung – hinter diesem preußisch klingenden Führungsprinzip verbirgt sich der wichtigste Anspruch, den Leitungskräfte an sich stellen sollten. Das Führungsprinzip basiert auf der Theorie „Lernen am Modell“, die der Psychologe Albert Bandura in den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelte. Seine Lerntheorie besagt, dass Menschen von Vorbildern lernen und deren Verhalten unbewusst nachahmen, wenn es zu einem vom Lernenden gewünschten Effekt führt. Dabei ist es völlig unerheblich, ob sich das Vorbild positiv oder negativ verhält.
Leitende Oberärzte werden im Moment ihrer Beförderung zu Vorbildern für ihre Mitarbeiter. Sie stehen von nun an auf einem Podest und damit unter ständiger Beobachtung. Ihr berufliches Umfeld registriert sehr genau, wie sie ihre Führungsrolle ausgestalten. Dabei geht es in erster Linie nicht um fachliche Kompetenz. Im Fokus der Umwelt stehen vielmehr Werte und Standards sowie die gesteckten Ziele und wie sie erreicht werden sollen. Aber auch das alltägliche Verhalten der Leitungskraft steht unter Beobachtung: Werden Termine eingehalten? Setzt sie die Hygienevorschriften konsequent um? Erscheint sie pünktlich zu den Visitenzeiten? Das gesamte Verhalten des Leitenden Oberarztes wird nun aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Insbesondere Leitungskräfte, die aus den eigenen Reihen befördert wurden oder zum ersten Mal Führungsverantwortung übernehmen, werden kritisch beäugt. Das ist ganz normal, wird aber oft unterschätzt und nicht bedacht. Die ehemaligen Kollegen schauen sehr genau, wie sich der „Aufsteiger“ in seiner neuen Führungsrolle verhält und ob er ihr gerecht wird.
Mitarbeiter kopieren Verhalten des Vorgesetzten
Doch Mitarbeiter beobachten das Verhalten ihrer Vorgesetzten nicht nur, sie lernen auch davon und kopieren es. In der Praxis lassen sich dafür viele Beispiele finden: Kommt die Leitungskraft häufig unpünktlich in den OP oder zur Besprechung, erscheinen bald auch die ersten Mitarbeiter nicht mehr rechtzeitig. Hält sich der Oberarzt nicht immer strikt an die Hygienevorschriften, werden auch die Assistenzärzte nachlässiger.
Vorgesetzte sollten bei Konflikten eigenes Verhalten hinterfragen
Daher lautet die wichtigste Frage, die sich Leitungskräfte immer dann stellen sollten, wenn es Widerstände oder Konflikte gibt: Wie verhalte ich mich? Bin ich Teil der Lösung oder Teil des Problems? Das eigene Verhalten zu hinterfragen ist eine der wichtigsten Aufgaben wirksamer Führung. Sie führt oft zu sehr einfachen sowie verblüffenden Antworten und Lösungen.
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2. Das Führungsprinzip „Verteilungsgerechtigkeit“
Das Führungsprinzip „Verteilungsgerechtigkeit“ hat zwei Aspekte:
- 1. Die Qualität und Menge der zu erledigenden Arbeit wird auf alle Mitarbeiter im Verantwortungsbereich gleichmäßig verteilt. Das bedeutet: Auch unbeliebte Aufgaben werden von allen Mitgliedern im Team übernommen. Besonders qualifizierte Mitarbeiter erhalten keine Sonderbehandlung und werden nicht von der Erledigung unangenehmer Arbeiten befreit. Außerdem achten Leitungskräfte genau darauf, dass kein Ungleichgewicht hinsichtlich der Menge der zu bearbeitenden Tätigkeit entsteht. Sobald sie in Bezug auf die Arbeitsqualität oder -menge Veränderungen bemerken, die die Verteilungsgerechtigkeit gefährden, greifen sie ein.
- 2. Präsenz und die Aufmerksamkeit der Leitungskraft werden auf alle Mitarbeiter im Verantwortungsbereich gerecht verteilt. Leitungskräfte achten genau darauf, dass ihr Augenmerk und ihre Zeit für persönliche Gespräche, die sie den verschiedenen Mitarbeitern widmen, den gleichen Umfang haben. Dabei gilt es, vorhandenen persönlichen Sympathien bzw. Antipathien nicht nachzugeben, sondern alle Teammitglieder konsequent in gleicher Weise einzubeziehen sowie eventuell bestehende Ungleichheiten zu erläutern und sachlich zu begründen.
Wann gibt es Schwierigkeiten bei der Verteilungsgerechtigkeit?
Insbesondere für Leitungskräfte, deren Führungsspanne und Teams sehr groß sind, ist die Einhaltung der Verteilungsgerechtigkeit nicht immer einfach. Ohne es zu bemerken oder auch es zu wollen, wenden sie sich im hektischen Klinikalltag immer denselben, ihnen sympathischen Mitarbeitern oder den Mitgliedern derselben Clique zu und tauschen sich schwerpunktmäßig mit ihnen aus oder bevorzugen sie bei der Aufgabenverteilung.
Folgen einer ungerechten Verteilung
Solches Verhalten wird von den anderen Teammitgliedern sehr wohl bemerkt. Sie fühlen sich vernachlässigt und ziehen sich daraufhin bewusst von ihrem Vorgesetzten zurück. Das Führungsprinzip der Verteilungsgerechtigkeit hilft, dem entgegenzuwirken.
3. Führungsprinzip „Fürsorgepflicht“
Oberärzte haben gegenüber allen Mitarbeitern ihres Verantwortungs-bereichs eine Fürsorgepflicht. Diese Fürsorgepflicht bezieht sich auf alle klinikinternen Aspekte, für die sie zuständig sind. Konkret bedeutet das:
- Oberärzte mit Führungsfunktion achten darauf, ob ein Teammitglied z. B. nach einem Schockraumeinsatz „durchhängt“, und machen dann ein entsprechendes Gesprächsangebot.
- Sie bereiten Mitarbeiter sorgfältig auf bevorstehende Veränderungen vor. So können sie Abwehrhaltungen bei ihnen vermindern und dafür sorgen, dass die anstehenden Änderungen positiv aufgenommen werden.
- Sie sorgen dafür, dass ihre Mitarbeiter ihre Arbeit in der dafür vorgesehenen Zeit erledigen können – andernfalls schaffen sie Abhilfe.
- Sie kümmern sich um Leistungsträger, die klaglos zahlreiche Überstunden machen, und sorgen mit ihnen gemeinsam für eine Lösung.
- Sie befähigen ihre Mitarbeiter dazu, vorhandene Talente zu nutzen.
Leitungskräfte, die ihre Fürsorgepflicht beachten, achten aktiv auf ihre Mitarbeiter und sprechen sie direkt an, wenn sie bemerken, dass jemand Schwierigkeiten hat. Gleichzeitig haben sie ein offenes Ohr, wenn Mitarbeiter sie z. B. über zu hohe Arbeitsbelastung oder eine persönliche Krise informieren, und tun dies nicht als harmlose Befindlichkeitsstörung ab.
Beispiel: Sie haben den Eindruck, dass einer Ihrer Assistenzärzte überfordert ist. Möglicherweise fehlt es ihm an Erfahrung. Zunächst fragen Sie ihn, wie es ihm mit seiner Arbeit geht. Erklären Sie ihm dann genau, was Sie von ihm erwarten und welche konkreten Schritte nötig sind. Fragen Sie Ihren Mitarbeiter auch nach seinen Vorschlägen, die Sie übernehmen sollten, wenn sie gut sind. In der nächsten Zeit kontrollieren Sie häufiger, ob die Arbeit wie vereinbart vorangeht.
4. Führungsprinzip „Informationsfluss“
Ärztliche Leitungskräfte sind dafür verantwortlich, die für ihre Mitarbeiter relevanten Informationen zu kanalisieren. Das heißt, sie tragen dafür Sorge, dass ihre Mitarbeiter die erforderlichen Informationen
- auf dem richtigen Weg,
- in der richtigen Menge und
- zur richtigen Zeit erhalten.
Gleichzeitig müssen auch die Mitarbeiter das Funktionieren des Informationsflusses gewährleisten. Besonders wichtig für die Patientensicherheit und die Behandlungsqualität ist in diesem Zusammenhang die gewissenhafte Dokumentation der Visitenanordnungen.
Beispiel -In Ihrem Verantwortungsbereich stellen Sie sicher, dass alle relevanten Daten exakt in der Kurve bzw. in der elektronischen Patientenakte festgehalten werden, sodass alle an der Behandlung beteiligten Fachkräfte jederzeit auf die notwendigen Informationen zurückgreifen und aktuelle Anordnungen umsetzen können. Kommen neue Anordnungen hinzu oder werden bestehende verändert, wird auch dokumentiert, wer für die Veranlassung verantwortlich ist.
Im Klinikalltag müssen nicht alle Informationen per E-Mail oder in anderer Schriftform mitgeteilt werden, häufig ist die mündliche Weitergabe eines Sachverhalts vorzuziehen. Den Weg der schriftlichen Informationsübermittlung sollten Oberärzte jedoch immer dann wählen, wenn Sie bewusst einen „Vorgang“ schaffen möchten.
Beispiel Wegen häufigen Zuspätkommens haben Sie einen Assistenzarzt Ihres Teams mehrfach mündlich zu einem Gespräch gebeten. Dieses kam bislang nicht zustande, weil der Assistenzarzt aus unterschiedlichen Gründen immer wieder um eine Terminverschiebung bat. Noch immer erscheint er jedoch verspätet zum Dienst. Jetzt gilt es, Ihrer Forderung in schriftlicher Form Nachdruck zu verleihen, sodass daraus – falls erforderlich – ein dokumentierter Vorgang wird.
So ist es zum Beispiel nicht notwendig, alle Informationen per E-Mail zu versenden. Die Übermittlung von Informationen per E-Mail oder in anderer Schriftform sollte nur dann in Erwägung gezogen werden, wenn bewusst ein „Vorgang“ geschaffen werden soll. In allen anderen Fällen ist die mündliche Weitergabe des Sachverhalts vorzuziehen.
Vor allem bei anstehenden Veränderungen ist der strukturierte Informationsfluss von großer Bedeutung. Hier gilt es, die nötigen Informationen rechtzeitig bereitzustellen und für Transparenz zu sorgen. Gelingt das nicht, ruft das bei den Mitarbeitern Widerstand hervor, weil sie sich nur unzureichend informiert fühlen.
Zur Sicherstellung des Informationsflusses gehört auch, dass sich die Teilnehmer von Leitungsgremien am Ende jeder Sitzung fragen: Was geben wir an die Mitarbeiter weiter? In welcher Form? Mit welchem Wording? Was bleibt zunächst vertraulich im Führungskreis?
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5. Führungsprinzip „Fairness“
Fairness ist eine Werthaltung, die generell im Umgang mit Menschen gilt. Das Führungsprinzip „Fairness“ bedeutet, sich den Mitarbeitern gegenüber redlich zu verhalten. Das Prinzip kommt meist in schwierigen Situationen zum Tragen. Fair sein heißt z. B.,
- dem Mitarbeiter die Chance zu geben, direkt Stellung zu nehmen, und ihn nicht aufgrund von Informationen anderer vorzuverurteilen,
- die Erklärungen des Mitarbeiters für sein Verhalten zu beachten,
- sich bei Schwierigkeiten eines Mitarbeiters, seine Arbeit zu schaffen, zu fragen: Habe ich ihn ausreichend befähigt, die Aufgabe zu übernehmen?
- finanzielle Mittel (z. B. für Kongressteilnahmen) gerecht zu verteilen.
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6. Führungsprinzip „Respekt, Wertschätzung, Achtsamkeit“
Hinter den Begriffen Respekt, Wertschätzung und Achtsamkeit verbirgt sich eine innere Haltung – anders ausgedrückt: eine Haltung des Herzens. Alle drei Begriffe beziehen sich in erster Linie auf die eigene Person. In ihrem Ursprung sind sie ein säkularisierter Ausdruck des Bibelzitats „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Denn nur wer im Umgang mit sich selbst respektvoll, wertschätzend und achtsam ist, kann dies auch im Umgang mit seinen Mitarbeitern sein.
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