Recht

Eltern sind uneinig, ob der 15-jährige Sohn geimpft werden darf – was jetzt?

Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen Kind im Sinne des § 630d BGB bedarf es eines Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern. Können diese sich in dieser Frage nicht einigen, muss das Familiengericht eine Entscheidung nach § 1628 BGB herbeizuführen – nach dem Kindeswohl. Also für eine Impfung.

Die voneinander geschiedenen Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren 16-jährigen Sohn ausüben, streiten darüber, ob dieser gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. Das Kind lebt überwiegend im Haushalt der Mutter. Der Vater befürwortet dagegen die Impfung des gemeinsamen Sohnes.

Der Vater befürwortet die Impfung

Eine zunächst für den 10.06.2021 bei der Hausärztin des Kindes geplante Impfung musste abgesagt werden, nachdem die Mutter der Ärztin mitgeteilt hatte, mit der Impfung nicht einverstanden zu sein. Darauf beanztragte der Vater beim Amtsgericht, ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes zu übertragen. Es bestehe eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff, um den schwerwiegenden Verlauf einer COVID-Erkrankung aufgrund der bestehenden Adipositas und rezidivierender depressiver Episoden zu vermeiden. Des Weiteren sei sein Sohn selbst voll entscheidungsfähig, könne die Tragweite einer solchen Erkrankung überblicken und wünsche darüber hinaus ausdrücklich die Impfung.

Die Mutter ist gegen die Impfung

Die Mutter trat der Impfung ihres Sohnes entgegen. Nach ihrer Einschätzung sei die Impfung eine „Gentherapie“. Es sei nicht hinreichend geklärt, ob ihr Sohn bereits durch eine vorgegangene Infektion immunisiert sei. Eine Impfung sei nicht erforderlich, weil in der Gesellschaft Ende Juli 2021 bereits annähernd eine Herdenimmunität eingetreten sei. Außerdem sei eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech Pfizer nicht mehr nützlich, weil diese nicht gegen alle Varianten wirksam sei, vor allem gegen die sog. Delta-Variante. Die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff führe zu mehr Todesfällen als eine Erkrankung an SARS-CoV-2. Des Weiteren sei ihr Sohn weder vom Vater noch von seiner Hausärztin umfassend über die Risiken der „Gentherapie“ aufgeklärt worden. Bei der Impfung handele es sich um einen Medikamentenversuch, da keine abgeschlossenen Studien über etwaige Risiken vorliegen. Schließlich verstoße die Anwendung der „Gentherapie“ gegen den sog. Nürnberger Kodex 1947, aus dem folge, dass die freiwillige Zustimmung der „Versuchsperson“ unbedingt erforderlich sei. All diese (und noch weitere, hier nicht aufgeführte) Fragen sind nach Einschätzung der Kindesmutter durch Einholung von Sachverständigengutachten aufzuklären.

Oberlandesgericht: Der Vater darf alleine entscheiden

Das Amtsgericht hatte dem Vater die Befugnis zur alleinigen Entscheidung über die Impfung des Kindes übertragent – nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. zu Recht: Nach § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht die Entscheidung einem Elternteil übertragen, wenn sich die Eltern bei Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können.

Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist generell eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB. Die Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl besser Konzept verfolgt.

Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen auf einen Elternteil kann nach gesicherter Rechtsprechung darauf abgestellt werden, dass die Entscheidungsbefugnis grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Die Impfempfehlungen der STIKO sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofsals medizinischer Standard anerkannt.

[!] Die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff ist bei einer vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und bei einem die Impfung befürwortenden Kindeswillen auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet.

OLG Frankfurt am Main, 17.08.2021 – 6 UF 120/21