Recht

Muslimischer Oberarzt: Kein Händeschütteln, keine Einbürgerung

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat entschieden, dass ein Einbürgerungsantrag abgelehnt werden kann, wenn der Einbürgerungsbewerber infolge einer fundamentalistischen Kultur- und Wertevorstellung das Händeschütteln mit Frauen deshalb ablehnt, weil sie ein anderes Geschlecht haben und damit per se als eine dem Mann drohende Gefahr sexueller Versuchung gelten.

Der knapp vierzigjährige Kläger reiste 2002 mit einem Visum zum Zwecke eines Deutschkurses und anschließenden Studiums in das Bundesgebiet ein. Er schloss sein Medizinstudium in Deutschland erfolgreich ab, ist mittlerweile Facharzt und an einer Klinik als Oberarzt tätig. Vor etwa zehn Jahren heiratete er standesamtlich eine in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige muslimischen Glaubens, deren Eltern aus Syrien stammen. Der Kläger hält sich seit seiner Einreise bis heute ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Im Jahr 2012 beantragte der Kläger seine Einbürgerung, unterschrieb dabei die Bekenntnis- und Loyalitätserklärung sowie das Merkblatt zur Verfassungstreue und Absage an alle Formen des Extremismus und bestand den Einbürgerungstest mit der maximal möglichen Punktzahl. Bei der geplanten Aushändigung der Einbürgerungsurkunde weigerte der Arzt sich, der zuständigen Sachbearbeiterin des Landratsamts zur Begrüßung die Hand zu geben; denn er habe seiner Ehefrau versprochen, keiner anderen Frau die Hand zu geben. Zur Aushändigung der Einbürgerungsurkunde kam es nicht.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs gewährleistet ein Einbürgerungsbewerber, der infolge einer fundamentalistischen Kultur- und Wertevorstellung das Händeschütteln mit jeglicher Frau deshalb ablehnt, weil sie ein anderes Geschlecht hat und damit per se als eine dem Mann drohende Gefahr sexueller Versuchung bzw. unmoralischen Handelns gilt, nicht seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse. Die Tatsache, dass der Einbürgerungsbewerber – unter Aufrechterhaltung dieser Einstellung – auch Männern nicht die Hand gebe, führe zu keiner anderen Betrachtung.

Der Handschlag und seine Bedeutung aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofs

Eine Einbürgerung setze nach § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz u.a. voraus, dass der Bewerber seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleiste. Die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse setze – jenseits der stets vorauszusetzenden Bereitschaft zur Beachtung von Gesetz und Recht – auch eine tätige Einordnung in die elementaren Grundsätze des gesellschaftlichkulturellen Gemeinschaftslebens voraus. In Deutschland – wie auch in anderen westlichen Staaten – seien Handschlag und Händeschütteln gängige nonverbale Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, die unabhängig von sozialem Status, Geschlecht oder anderen personellen Merkmalen der beteiligten Personen erfolgten und auf eine jahrhundertelange Praxis zurückgingen. Aufgrund der langen geschichtlichen Tradition des Handschlags erachte der Verwaltungsgerichtshof es für ausgeschlossen, dass die derzeitige Corona-Pandemie, die mit einer Vermeidung des Handschlags einhergehe, auf Dauer zu einem Ende des Händeschüttelns führe. Auch in der Vergangenheit habe der Handschlag die Zeiten überdauert, die von weltweiten Infektionen geprägt gewesen seien.

Zwar gibt es als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft in Deutschland daneben andere Praktiken zur Begrüßung oder Verabschiedung, etwa Küsse oder eine Art Abklatschen („High Five“). Bei besonderen privaten, öffentlichen oder gar hoheitlichen Anlässen, die durch Förmlichkeiten geprägt würden, sei es aber gerade der Handschlag, der in diesem Kontext regelmäßig praktiziert werde. Der Handschlag habe ferner eine rechtliche Bedeutung: Er symbolisiere einen Vertragsabschluss. Zudem gebe es gesetzliche Regelungen, die vorsehen, dass Personen durch Handschlag auf eine ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet würden, beispielsweise bei der Übertragung eines öffentlichen Amts oder der Bestellung eines Vormunds durch das Familiengericht. Der Handschlag habe daher im gesellschaftlich-kulturellen und rechtlichen Leben eine das Miteinander prägende, tiefgehende Verwurzelung. Für diese sei typisch, dass der Handschlag unabhängig davon erfolge, welche Geschlechter sich gegenüberstünden.

Salafistische Grundeinstellung mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht in Einklang zu bringen

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

Verweigert der Einbürgerungsbewerber das Händeschütteln aus geschlechtsspezifischen – und damit mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nicht in Einklang zu bringenden – Gründen, sei keine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gegeben. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Verweigerung des zwischen-geschlechtlichen Handschlags dazu diene, dem Geltungsanspruch einer salafistischen Überzeugung zum Verhältnis von Mann und Frau zu einer gesellschaftlichen Wirkung zu verhelfen. Die jedenfalls seit Anfang des Jahres 2018 bestehende Praxis des Klägers, niemandem mehr die Hand zu geben, erachte der Verwaltungsgerichtshof als ein unter dem Eindruck der Ablehnung der Einbürgerung entwickeltes taktisches Vorgehen.

Mitteilung des VGH Mannheim Nr. 44/2020 v. 16.10.2020
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 20.08.2020 -12 S 629/19