Mutterschutz: Kündigungsverbot gilt ab Abschluss des Arbeitsvertrags
Mit einem Grundsatzurteil schloss das Bundesarbeitsgericht eine Definitionslücke, die aus dem unklaren Wortlaut des Mutterschutzgesetzes folgte: Das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG gilt auch für eine Kündigung vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme. Das heißt: Der Kündigungsschutz gilt bereits ab Abschluss des Arbeitsvertrags.
Eine Frau schloss am 9./14. Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag. Nach diesem sollte „das Arbeitsverhältnis“ am 1. Februar 2018 beginnen. Mit Schreiben vom 18. Januar 2018 informierte sie den Arbeitgeber darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt und aufgrund einer chronischen Vorerkrankung „mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot“ attestiert worden sei. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. Januar 2018 zum 14. Februar 2018: Das Kündigungsverbot gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG finde seiner Meinung nach auf arbeitgeberseitige Kündigungen vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme keine Anwendung. Das Arbeitsgericht hatte der Klage der Arbeitnehmerin stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hatte die Berufung des Arbeitegebers zurückgewiesen. Mit seiner Revision vor dem Bundesarbeitsgericht verfolgte er seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Das Bundesarbeitsgericht wies die Revision ab: Das Landesarbeitsgericht habe zu Recht entschieden, dass die Kündigung gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG iVm. § 134 BGB nichtig ist.
Aus der Begründung des Urteils
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt oder sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt worden ist. § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG bestimmt, dass die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landesbehörde oder die von ihr bestellte Stelle in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand der Frau in der Schwangerschaft im Zusammenhang stehen, ausnahmsweise die Kündigung für zulässig erklären kann. § 17 Abs. 1 MuSchG enthält ein gesetzliches Verbot iSd. § 134 BGB. Eine Kündigung unter Verstoß gegen dieses Verbot ist gem. § 134 BGB nichtig.
Der Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig
Der Gesetzeswortlaut ist nicht eindeutig. § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG normiert ein Kündigungsverbot u.a. gegenüber (werdenden) Müttern ohne nähere Bestimmung, welche Rechtsverhältnisse oder diesen zugrunde liegenden Verträge davon erfasst sind. Dafür ist auf den persönlichen Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes abzustellen. Dieser ist in § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 neu gefasst worden. Danach gilt das Gesetz für Frauen „in einer Beschäftigung iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV“ sowie ferner gem. § 1 Abs. 2 Satz 2 MuSchG, „unabhängig davon, ob ein solches Beschäftigungsverhältnis vorliegt“, für Frauen in weiteren, im Streitfall nicht einschlägigen Tätigkeitsformen.
Schon die Gesetzessystematik legt dagegen ein Verständnis nahe, wonach es nur auf das Bestehen eines auf eine Beschäftigung iSv. § 7 Abs. 1 SGB IV gerichteten Rechtsverhältnisses ankommt. Dies zeigt die synonyme Verwendung der Begriffe „Beschäftigung“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG und „ein solches Beschäftigungsverhältnis“ in Satz 2 der Bestimmung. Erfasst ist damit insbesondere ein Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Ein solches entsteht bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags (Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 29 Rn. 8). Dies gilt selbst dann, wenn die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden soll. Auch in diesem Fall werden bereits mit dem Vertragsabschluss wechselseitige Verpflichtungen begründet.
Die Entstehungsgeschichte des § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG stützt das Verständnis, das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG greife grundsätzlich bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrags.
„Keine übermäßigen Belastungen für den Arbeitgeber“
Der Umstand, dass das Kündigungsverbot bereits ab dem Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses gilt, stellt ebenfalls keine übermäßige Belastung der Arbeitgeber dar. Die Folgen sind nicht weiterreichend als wenn der Arbeitgeber am ersten Tag der Tätigkeitsaufnahme von der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin erfährt.
Die Kosten für Zeiten von Beschäftigungsverboten gem. §§ 18, 20 MuSchG müssen die Arbeitgeber nicht allein tragen. Es gilt vielmehr das Umlageverfahren gem. § 1 Abs. 2, § 7 AAG (Umlage U2). Danach werden Leistungen gem. §§ 18, 20 MuSchG vollständig von den Krankenkassen erstattet. Die Arbeitgeber müssen nach § 7 AAG lediglich ihren Anteil zur Umlage erbringen.
Bundesarbeitsgericht, 27. 02. 2020 – 2 AZR 498/19