Patient wusste nicht, dass Oberarzt anstelle des Wahlarztes behandelt: Schadenersatz möglich!
von Rechtsanwältin Henriette Nehse, armedis Rechtsanwälte, Hannover
Wenn eine Behandlung durch den Chefarzt vereinbart wurde, darf der Patient nicht einfach von einem anderen Arzt operiert werden – vorliegend wurde ein Oberarzt tätig. Ansonsten kann der Patient Schadenersatz und Schmerzensgeld verlangen, selbst wenn der Eingriff vollkommen kunstgerecht durchgeführt worden ist. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem gerade veröffentlichten Urteil vom 19.07.2016 (Az. VI ZR 75/15) entschieden. Dieses Urteil ist für Oberärzte deshalb relevant, da sie rasch ins haftungsrechtliche „Fadenkreuz“ geraten können.
Der Fall
Es ging um einen Patienten, der sich wegen eines Morbus Dupuytren zur chirurgischen Handoperation in einem Klinikum vorstellte. Gemäß der abgeschlossenen Wahlleistungsvereinbarung wurde eine Chefarztbehandlung vereinbart. Die Operation wurde dann auch durchgeführt. Es operierte jedoch nicht der Chefarzt, sondern der stellvertretende Oberarzt. Hierüber war der Patient präoperativ nicht informiert worden.
Die vorher mit dem Fall befassten Gerichte hatten die Schadenersatzklage des Patienten abgewiesen. Zwar sei der Eingriff mangels rechtsgültiger Einwilligung widerrechtlich gewesen. Eine Haftung wurde jedoch im Ergebnis verneint, da die Behandlerseite mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens durchdringen konnte. Die Klinik hatte bewiesen, dass der Eingriff nicht anders verlaufen wäre, wenn anstelle des Oberarztes der Chefarzt operiert hätte. Der medizinische Sachverständige hatte zudem bestätigt, dass der Oberarzt den Patienten fehlerfrei operiert hat.
Das Urteil
Die Entscheidungsfreiheit über die körperliche Unversehrtheit sei absolut schützenswert, worüber sich der Arzt nicht „selbstherrlich hinwegsetzen“ dürfe – so der BGH mit klaren Worten. Daraus folge: Wenn der Patient ausdrücklich erklärt habe, er wolle sich nur von einem bestimmten Arzt operieren lassen, dürfe nicht einfach ohne Weiteres ein anderer Arzt die Operation durchführen. Deshalb könne es die Behandlerseite auch nicht entlasten, dass die Operation im Falle der Vornahme durch den Chefarzt genauso verlaufen wäre. Ansonsten wäre das Vertrauen des Patienten in die ärztliche Zuverlässigkeit nicht wirksam geschützt.
In den Entscheidungsgründen stellte der BGH ausdrücklich auf die geschlossene Wahlleistungsvereinbarung ab, wonach der Patient nur in die OP eingewilligt hatte, wenn sie der Chefarzt vornimmt. Davon könne nicht abgewichen werden, ohne den Patienten hierüber rechtzeitig vor der Operation aufzuklären.
Zu welchen Konsequenzen führt diese BGH-Entscheidung?
Eine missglückte Formulierung der Wahlleistungsvereinbarung kann somit dazu führen, dass beim „falschen“ Behandler die Liquidation der Operation entfällt. Zudem drohen haftungsrechtliche Folgen, denn der Eingriff ist mangels wirksamer Einwilligung per se rechtswidrig. Es ist dann völlig unerheblich, ob der Patient einen Behandlungsfehler nachweisen kann oder nicht. In jedem Fall – selbst wenn alle Behandlungsleistungen lege artis durchgeführt werden – droht die Gefahr, dass der Patient wegen aller postoperativen Beeinträchtigungen Schadenersatz und/oder Schmerzensgeld verlangt.
Oberarzt ist zivilrechtlich und strafrechtlich verantwortlich
Wenn der Oberarzt also als Vertreter des Chefarztes operiert hat, kann der Patient den Oberarzt persönlich vor dem Zivilgericht verklagen. Zudem kann hieraus auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für den Oberarzt erwachsen: Denn wenn er den Patienten ohne wirksame Einwilligung operiert, ist der Straftatbestand der Körperverletzung erfüllt.
Gericht sprach Patienten 30.000 Euro wegen des „falschen“ Operateurs zu
Dass die Wahlleistungsvereinbarung über ihre gebührenrechtliche Bedeutung hinaus auch haftungsrechtliche Relevanz haben kann, hatte schon das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig vom 25.09.2013 gezeigt (Az. 1 U 24/12). In dem dort entschiedenen Fall ging es um eine Patientin, die durch eine Schilddrüsenentfernung eine dauerhafte einseitige Stimmbandlähmung erlitten hatte.
Das OLG sprach ihr ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro zu – und zwar unabhängig davon, ob die Operation lege artis verlaufen sei oder nicht. Das Gericht begründete den Haftungsanspruch der Patientin allein damit, dass diese entgegen der Klausel in der Wahlleistungsvereinbarung nicht vom Chefarzt, sondern von dessen Vertreter operiert wurde.
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