Medizin

Personalisierte Medizin: Lungenkrebs mit den eigenen Waffen schlagen

Der Weg von gesunden Körperzellen zu Krebszellen führt über Mutationen: Durch Veränderungen im Erbgut entkoppeln sich die Zellen vom geordneten Zellverband, vermehren sich ungehemmt und verdrängen gesundes Gewebe. Andere Mutationen wiederum sorgen dafür, dass die Krebszellen der Immunabwehr entgehen. Mittlerweile sind einige dieser genetischen und genregulatorischen Besonderheiten bekannt, die Tumorzellen einerseits besonders gefährlich machen – andererseits aber auch als Angriffspunkte für neuartige Wirkstoffe dienen können. Was eine auf die individuelle Tumorgenetik abgestimmte, personalisierte Medizin gerade für die Behandlung des Lungenkrebses bedeutet, diskutierten Expertinnen und Experten auf dem 61. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP).

Mit über 50.000 Neuerkrankungen jährlich ist der Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) die häufigste Krebsart in Deutschland. Zugleich ist er auch einer der gefährlichsten: Rund 35.000 Menschen sterben jedes Jahr an dem Krebs, der oft schon metastasiert hat, bevor er entdeckt wird. Doch Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs. „So wie die Patientinnen und Patienten sich unterscheiden, bringt auch jeder Tumor seine individuellen genetischen Eigenschaften mit sich“, sagt Professor Dr. med. Gernot Rohde, Leiter des Schwerpunktes Pneumologie/Allergologie am Universitätsklinikum Frankfurt/Main. Diese Eigenschaften seien in den letzten Jahren immer genauer entschlüsselt und so der Weg zu einer personalisierten Präzisionsmedizin geebnet worden.

Ansatzpunkt Treibermutationen: Signalwege hemmen, Tumorwachstum bremsen

Ein Feld intensiver Forschung sind dabei die so genannten Treibermutationen. Durch diese entkoppeln die Krebszellen ihr Wachstum von äußeren Einflussfaktoren. „Zellwachstum und -teilung werden normalerweise durch Wachstumsfaktoren angestoßen, die sich mit bestimmten Rezeptoren auf der Zelloberfläche verbinden“, erläutert Rohde. Dadurch wird im Zellinneren eine mehrstufige Signalkette in Gang gesetzt, an der eine ganze Reihe von Enzymen, unter anderem so genannte Tyrosinkinasen, beteiligt sind. Bei rund jedem vierten nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) finden sich Mutationen, die diesen Signalweg auch ohne Wachstumsfaktoren permanent aktiv halten.

„Mithilfe von Wirkstoffen, die die Tyrosinkinasen hemmen, kann das Tumorwachstum bei Patienten mit dieser Lungenkrebsform gebremst werden“, sagt Rohde. Damit sei es gelungen, ihre mittlere Überlebenszeit von 9,6 auf 31,5 Monate zu verlängern. Ein weiterer Wirkstoff, der mit dem Enzym K-RAS ein nachgeschaltetes Glied in der Signalkette anspricht, befindet sich zurzeit in der Entwicklung. „Für Patienten mit K-RAS-Mutationen gibt es bislang keine Therapieoption, weil Tyrosinkinasehemmer hier nicht wirken“, so Rohde. Der neue K-RAS-Hemmer habe sich in klinischen Phase II Studien bereits als wirksam erwiesen und könne den Krankheitsverlauf bei immerhin rund 37 Prozent der untersuchten Patienten verlangsamen.

Immuncheckpoints im Fokus: Immunabwehr wieder ermöglichen

Ein weiteres Ziel der individualisierten Krebstherapie sind so genannte Immuncheckpoints. „Viele Lungenkrebszellen bilden vermehrt spezielle Oberflächenmoleküle aus, die den Angriff von Immunzellen hemmen“, erläutert Rohde. Mithilfe neuartiger Antikörperbasierter Wirkstoffe gelinge es immer besser, diese Hemmung aufzuheben – die Krebszellen könnten dann vom Immunsystem wieder als gefährlich erkannt und abgetötet werden. Gerade in Kombination mit einer Chemotherapie ergebe sich daraus ein deutlicher Gewinn an Überlebenszeit für die Patienten. „Die Entdeckung der Immuncheckpoints und der Treibermutationen, sowie der gezielt darauf abgestimmten Wirkstoffe hat die Lungenkrebstherapie in den vergangenen Jahren revolutioniert“, resümiert Rohde.

61. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP),  2. bis 5. Juni 2021, Online