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Topsharing: Zwei Chefärztinnen führen gemeinsam

An der Frauenklinik des Zürcher Stadtspitals Triemli teilen zwei Chefärztinnen sich eine Führungsposition. KD* Dr. med. Stephanie von Orelli und Dr. med. Natalie Gabriel arbeiten beide zu je 90 Prozent. An vier Tagen in der Woche sind die Arbeitszeiten lang, die Tage sind vollgepackt. Jede der Co-Chefärztinnen hat einen freien Tag pro Woche. Die Erfahrungen mit diesem Modell sind positiv.

von Ursula Katthöfer M.A., Textwiese, Bonn

„Es ist eine große Entlastung, das Schiff nicht allein ziehen zu müssen“, sagt Gabriel. „Wenn eine von uns mal eine Woche weg ist, weiß sie, dass die andere die Arbeit mit dem gleichen Engagement übernimmt. Wir können loslassen, müssen nicht kontrollieren, was während unserer Abwesenheit geschieht. Unsere Freizeit hat dadurch eine viel höhere Qualität.“

Seit Anfang 2017 teilen sich die Chefärztinnen die Verantwortung. Von Orelli, zu deren Schwerpunkten Brusterkrankungen, gynäkologische Krebsoperationen sowie Geburtshilfe zählen, hatte bereits Erfahrung mit dem Top­sharing. Sie kam 2008 vom Universitätsspital Zürich ans Triemli und teilte sich die Position mit der langjährigen Chefärztin Dr. Brida von Castelberg. Von Oktober 2012 an führte sie die Frauenklinik allein.

Dr. med. Natalie Gabriel (links) und KD Dr. med. Stephanie von Orelli: Die Chefärztinnen führen die Frauenklinik des Zürcher Stadtspitals Triemli gemeinsam.

2017 fand v.Orelli mit der Gynäkologin Gabriel, Operateurin für Mamma-Karzinome und Gynäkologische Malignome, eine neue Co-Chefärztin. Auch Gabriel hatte bereits am Universitätsspital Zürich gearbeitet.

Die beiden Medizinerinnen teilen sich ein gemeinsames Büro und arbeiten Schreibtisch an Schreibtisch. Um eine so enge Zusammenarbeit erfolgreich zu gewährleisten, ist eine gemeinsame Wellenlänge notwendig: „Es braucht gemeinsame Werte zu Arbeitsmoral, Führung und Menschenbild“, sagt von Orelli. „Außerdem müssen sowohl die Klinik als auch das Team Topsharing akzeptieren. Nur so können wir verhindern, dass die Führung zum Machtpoker wird. Nach dem Motto: Wenn Mama nein sagt, frage ich Papa.“

Die Zusammenarbeit funktioniert. Beide bringen das Bedürfnis mit, zusammen zu führen. Beide können in die zweite Reihe zurücktreten und der anderen den Vortritt lassen, wenn im Rampenlicht nur Platz für eine ist.

Im Rampenlicht ist nur für eine Platz

Das setzt eine gute Kommunikation sowie die Fähigkeit, sowohl sich selbst als auch die andere zu reflektieren. Beide Chefärztinnen empfinden die Zusammenarbeit als Bereicherung. Gabriel: „Gerade bei strategischen Entscheidungen entsteht durch den Austausch ein besseres Endergebnis. So ist es bei Personalfragen immer gut zu hören, was die andere meint und auch deren Perspektive einzunehmen. Oft denke ich: So habe ich das noch gar nicht gesehen.“

Allerdings birgt das Topsharing auch seine Risiken. Wenn zwei gestaltungswillige Persönlichkeiten zusammenarbeiten, kann es passieren, dass Dinge doppelt getan werden. Keine Chef­ärztin wartet darauf, dass die andere etwas erledigt, beide sind engagiert. Um Dopplungen zu vermeiden, ist eine detaillierte Absprache wichtig. Um die zu visualisieren, hängt im Büro eine Pinnwand. Zweimal pro Wochen gleichen von Orelli und Gabriel ab, was bereits erledigt ist.

Das alte Chefarztmodell hat ausgedient

Ein Führungsmodell wie das Topsharing will gut vorbereitet sein. Die Chefärztinnen am Triemli starteten nicht einfach mit einem Pilotversuch. Sie bereiteten sich ein halbes Jahr lang sehr gut mit einem Führungscoaching vor. „Wir haben die Aufgabenteilung gut festgelegt, um Doppelspurigkeiten zu verringern“, sagt von Orelli. „Eine von uns ist in der Spitalleitung im obersten Gremium des Gesamtspitals, die andere übernimmt die Administration des Personals.“ Von Orelli ist für den Neubau zuständig, Gabriel kümmert sich um die Operationssaalplanung.

Das Modell könnte dazu beitragen, den Anteil von Frauen in Chefarztpositionen zu erhöhen. Obwohl die Zahl der Medizinstudentinnen höher ist als die ihrer männlichen Kommilitonen, ist der Anteil der Chefärztinnen in Deutschland noch ausgesprochen gering. Topsharing findet sich so gut wie nicht.

Die Gründe liegen sowohl bei den Geschäftsleitungen von Kliniken als auch bei den jungen Ärztinnen selbst. Denn während in Führungsriegen häufig von Männern besetzt sind, die gern unter ihresgleichen bleiben, möchten viele qualifizierte Frauen keine Führungsposition. „Das Wichtigste ist, den Frauen zuzutrauen, dass sie das können“, meint von Orelli. „Klinikleitungen könnten Coachings ermöglichen und jungen Frauen, deren Kinder noch klein sind, Perspektiven geben. Wenn eine Frau ihre Karriere plant, kann man ihr eine Stelle für die Zeit nach der Schwangerschaft anbieten.“

Beide Chefärztinnen sind der Meinung, dass das alte Chefarztmodell ausgedient hat. Gabriel: „Früher musste der Chefarzt führen und forschen, fachlich perfekt und am Patienten hervorragend sein, am liebsten noch einen MBA-Titel haben. Heute ist es besser, ein Team aufstellen, in dem jeder seinen Platz findet.“ Nicht nur die administrativen Anforderungen hätten sich extrem gewandelt. „Früher ging es militärisch und hierarchisch zu. Heute beinhaltet Führung Menschlichkeit und Aufklärung. Wir haben flachere Hierarchien. Mit der Matrix-Struktur im Spital sind die Schnittstellen allerdings viel komplexer geworden.“

Frauenquoten für Frauenförderung?

Von Orelli und Gabriel schätzen unterschiedlich ein, ob Frauenquoten eine Lösung sein könnten, um den Frauenanteil unter den Chefärztinnen zu erhöhen.

Gabriel zufolge können Frauenquoten kontraproduktiv sein: „Allein mit einer Quote ist das Problem nicht gelöst. Doppelspitzen müssen vorleben, dass Topsharing Spaß macht und dass es nicht um das Erlangen von Macht und Geld geht.“

Von Orelli hingegen ist der Ansicht, dass Quoten nützlich seien, um die Betriebe bei der Frauenförderung unter Druck zu setzen: „Ich habe in Auswahlgremien schon erlebt, dass die Qualitäten von Frauen unterschätzt wurden und Männer sich einfach besser präsentierten. Das ließe sich mit neuen Strukturen vermeiden.“

Bleibt die Frage, ob Topsharing sich auch für Männer eignet. Gabriel erzählt von einer spontanen Reaktion, die sie häufig von Kollegen hört: „Das fände ich auch toll, wie macht ihr das?“ Ob Chefärzte sich allerdings auf dieses Modell einlassen würden, bezweifelt sie: „Ich bin mir nicht sicher, ob Männer den Mut hätten, das durchzuziehen. Oder ob sie Angst hätten, das Gesicht zu verlieren.“

Fotohinweis: Stadtspital Triemli Zürich