Gesundheitspolitik

Überstunden vs. Kurzarbeit: Das Stimmungsbild einer gespaltenen Kliniklandschaft

Seit Beginn der Corona-Krise im März dieses Jahres hat sich die Arbeit angestellter Ärztinnen und Ärzte stark verändert. Manche Ärztinnen und Ärzte mussten noch mehr arbeiten als ohnehin schon, Ruhezeiten wurden verkürzt, die Arbeitszeiten verlängert. Andere dagegen wurden in Kurzarbeit geschickt. Eine Umfrage des Marburger Bundes (n=8.707) zeigt das Stimmungsbild einer gespaltenen Kliniklandschaft.

In den Krankenhäusern wurden planbare Operationen verschoben und zusätzliche Intensivkapazitäten geschaffen. Manche Ärztinnen und Ärzte mussten noch mehr arbeiten als ohnehin schon, Ruhezeiten wurden verkürzt, die Arbeitszeiten verlängert. Andere dagegen hatten weitaus weniger als üblich zu tun, weil weniger Patienten in die Krankenhäuser kamen und die befürchtete große Welle an COVID-19-Patienten – abgesehen von regionalen Ausnahmen – bislang ausgeblieben ist.

Arbeitsaufkommen ist vielfach geringer geworden

Die Spannbreite der Erfahrungen mit der Corona-Krise in den vergangenen Wochen ist in dem Ergebnis der Frage nach dem Arbeitsaufkommen abgebildet: Die weitaus meisten angestellten Ärztinnen und Ärzte (57,2 %) geben an, dass ihr Arbeitsaufkommen seit Beginn der Corona-Krise im März 2020 abgenommen hat. Bei etwa einem Viertel (25,1 %) ist es gleichgeblieben und bei 17,7 % der befragten MB-Mitglieder gestiegen.

Das Ergebnis kommt nicht überraschend: Seit Mitte März gibt es erheblich weniger planbare Operationen in den Krankenhäusern, auch das Notfallgeschehen ist zurückgegangen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Patienten, die an COVID-19 erkrankt sind, in den Kliniken niedriger geblieben als zunächst befürchtet. Vor allem Ärztinnen und Ärzte, die normalerweise an operativen Eingriffen beteiligt sind, hatten in den zurückliegenden Wochen weniger Arbeit als üblich. In anderen Bereichen, vor allem in der Intensivmedizin, gab es vielerorts aber ein ganz anderes Bild.

Kurzarbeit vor allem in Rehakliniken und in der ambulanten Versorgung

Welchen Ausnahmecharakter die aktuelle Lage hat, wird vor allem daran deutlich, dass auch Ärztinnen und Ärzte von Kurzarbeit betroffen sind. Rund 10 % der Befragten geben an, dass in ihrem Betrieb Kurzarbeit eingeführt worden sei. Betroffen sind vor allem Ärtztinnen und Ärzte in Rehakliniken – dort liegt der Kurzarbeit-Anteil bei 54 % – , im ambulanten Sektor (32 %) und in privaten Kliniken (12 %). Die Arbeitszeit der Betroffenen wurde meist bis zu 50 % reduziert. In wenigen Fällen (4,1 %) wurde Druck auf die Ärzte ausgeübt, eine Vereinbarung zur Kurzarbeit zu unterzeichnen. Für drei Viertel der Befragten gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, Kurzarbeit in ihrem Betrieb einzuführen, rund 16 % können einen Grund erkennen und weisen auf das deutlich gesunkene Arbeitsaufkommen und wirtschaftliche Probleme des Betriebes hin.

Einmal pünktlich nach Hause kommen…

Aufgrund des geringeren Arbeitsaufkommens hat etwa die Hälfte der Befragten freiwillig Überstunden abgebaut. Angesichts von 65 Mio. Überstunden, die angestellte Ärztinnen und Ärzte pro Jahr leisten (MB-Monitor 2019) leisten, war für viele der Befragten die zurückliegende Zeit auch Gelegenheit, einmal pünktlich nach Hause zu kommen. Auch die Urlaubsplanung blieb von der Corona-Krise nicht verschont. Knapp 30 % der Befragten geben an, dass ihr Arbeitgeber sie aufgefordert habe, ihren Urlaub zu nehmen; 70 % verneinen dies. Ein kleinerer Teil der Mitglieder (14,5 %) musste sogar bereits gewährten Urlaub verschieben.

[!] „Ich bin seit 12 Jahren berufstätig. Zum ersten Mal in meinem beruflichen Leben gehe ich regelmäßig pünktlich nach Hause und kann das tägliche Arbeitspensum sogar mit Mittagspause überwiegend vollständig bewältigen.“

Eine Ärztin im Kommentar zur Umfrage

[?] Wie beurteilen Sie aus Ihrer beruflichen Perspektive die aktuelle Lage? Sind Sie zuversichtlich oder weniger zuversichtlich, wenn Sie auf die nächsten Monate blicken?

(Die häufigsten Antworten)

Maßnahmen sind übertrieben“

Ich befürchte eine zweite Welle“

Zu knappe Kinderbetreuung“

Schutzausrüstung geht zur Neige“

Zuversichtlich, solange sich die Leute an die Auflagen halten“

Behandlung von COVID-19 ist sehr zeitaufwändig“

Die finanzielle Situation meines Krankenhauses macht mir Sorgen“

Lockerungen sind riskant“

Die Pandemie wird uns noch lange beschäftigen“

Regelversorgung aufnehmen – „mit Augenmaß“

Entsprechend eindeutig fällt die Antwort auf die Frage aus, ob jetzt wieder mit der Regelversorgung (z.B. elektive Eingriffe, Rehabilitation) begonnen werden sollte. Mehr als zwei Drittel der angestellten Ärztinnen und Ärzte (69,5 %) möchten, dass die Regelversorgung wieder aufgenommen wird; 16,3 % sind dagegen und 14,2 % haben sich dazu noch keine Meinung gebildet.

Ich denke, man sollte langsam den Klinikbetrieb hochfahren, aber nicht auf volle Leistung, damit bei einer möglichen 2. Infektionswelle das System nicht überlastet wird“, heißt es in einem Kommentar zur Umfrage. Andere MB-Mitglieder weisen darauf hin, dass viele Patienten in den vergangenen Wochen nicht operiert werden konnten und jetzt auf ihren Termin warteten. Mehrheitlich sind die Ärztinnen und Ärzte aber der Auffassung, dass nicht zu viel auf einmal passieren sollte.

[!] „Wir sollten mit Augenmaß die reguläre Patientenversorgung wieder aufnehmen.“

Ein Klinikarzt.

Geteilte Meinungen zur möglichen Überforderung des Gesundheitswesens

Eine Mehrzahl (44,2 %) befürchtet, dass es im weiteren Verlauf der Coronavirus-Pandemie zu einer Überforderung des Gesundheitswesens kommen könnte; 41,5 % sehen diese Befürchtung nicht. Hier scheinen die Erfahrungen aus den vergangenen Wochen eine wichtige Rolle zu spielen. Je nach eigenem Erleben wird die Gefahr einer größeren Ausbreitung und höherer Erkrankungszahlen durch das neue Coronavirus anders beurteilt.

MB-Barometer zur Corona-Krise, 29. April bis 10. Mai 2020, insgesamt 8.707 Teilnehmer (Mitglieder des Marburger Bundes).