Leben

Wann geht der wechselwillige Oberarzt leer aus, weil die KV den Arztsitz aufkauft?

Im Beitrag „Raus aus der Klinik – rein in die Niederlassung, Teil 2: Wie wird die Zulassung erteilt?“ (OH 04/2015) wurde erwähnt, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KV) einen Arztsitz aufkaufen kann, wenn er zum Beispiel in einem überversorgten Gebiet liegt. Dann gehen Oberärzte leer aus, die einen Arztsitz kaufen und sich als Vertragsarzt niederlassen möchten. Hierzu erreichten uns zwei Anfragen von Lesern. Sie fragen, wann genau die KV einen Arztsitz aufkaufen kann bzw. muss. Die Rechtsanwälte Dr. Lars Lindenau und Isabel Wildfeuer beantworten die Frage in diesem Beitrag. |

Neuregelung im SGB V und Gesetzesbegründung

Die Regelung des § 103 Abs. 3a Sozialgesetzbuch (SGB) V sieht die Einziehung des Vertragsarztsitzes und damit sozusagen die kalte Enteignung der Vertragsärzte bei der Praxisnachfolge im überversorgten Gebiet wie folgt vor:

  • § 103 Abs. 3a SGB V (geplante Fassung)

„Der Zulassungsausschuss soll [bisher: kann] den Antrag (auf Durchführung der Nachbesetzung) ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist.“

Die Gesetzesbegründung erläutert hierzu:

„Um zu erreichen, dass Vertragsarztsitze, die für eine bedarfsgerechte Versorgung nicht benötigt werden, konsequent abgebaut werden und damit auch mehr Ärztinnen und Ärzte für die Versorgung der Patientinnen und Patienten in weniger gut versorgten Regionen zur Verfügung stehen, wird aus der bisherigen Kann-Regelung eine Soll-Regelung. Aufgrund der Soll-Regelung haben die Zulassungsausschüsse nach wie vor die Möglichkeit, einem Antrag auf Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes auch in bedarfsplanungsrechtlich überversorgten Planungsbereichen zu entsprechen, wenn sie dies aus Versorgungsgründen für erforderlich halten. Versorgungsgründe für eine Nachbesetzung können beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn ein besonderer lokaler oder qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf besteht oder ein Arztsitz einer speziellen Fachrichtung weiterhin benötigt wird. Weitere Versorgungsgründe sind denkbar.“

Betroffene und nicht betroffene Sachverhalte

Das Risiko einer möglichen „kalten Enteignung“ betrifft die folgenden Ausschreibungsfälle:

  • (Einzel-)Praxisabgabe an einen Nachfolger
  • Gesellschafterwechsel innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft
  • Rückumwandlung der Anstellung in die Zulassung eines anderen Arztes
  • Teilung der Zulassung

Das Risiko besteht hingegen in diesen Fällen eher nicht:

  • Weitergabe der Praxis an Kinder, Ehegatten oder Lebenspartner
  • Praxisverlegung in ein unterversorgtes Gebiet des Planungsbereichs
  • mindestens dreijährige gemeinsame Berufsausübung bzw. Anstellung
  • Nachfolge eines Arztes, der in unterversorgtem Gebiet tätig war

„Kann“-Regelung der Vorschrift …

Die Ablehnung droht grundsätzlich nur im überversorgten Gebiet. Ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent ist weiterhin von Überversorgung auszugehen. Es bleibt bei der Regelung, dass der Landesausschuss Zulassungsbeschränkungen anzuordnen hat und der Zulassungsausschuss einen Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens in einem entsprechenden Planungsbereich ablehnen kann, wenn eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist und keine gesetzlich geregelten Privilegierungstatbestände erfüllt sind.

… wird jetzt ergänzt durch eine „Soll“-Regelung

Neben dieser Kann-Regelung wird nunmehr ab einem Versorgungsgrad von 140 Prozent eine Soll-Bestimmung vorgesehen. Das bedeutet, dass ab einem solchen Versorgungsgrad das Ermessen des Zulassungsausschusses bei der Entscheidung darüber, ob ein Nachbesetzungsverfahren nach Absatz 4 durchgeführt werden soll, eingeschränkt ist.

PRAXISHINWEIS | Es liegt auf der Hand, dass für dieses neue „Vorverfahren“ neben der „üblichen Praxisübergabezeitn“ von bislang etwa mindestens einem Jahr mindestens ein weiteres halbes Jahr Vorlaufzeit einzuplanen ist. Die Vorlaufzeit verlängert sich entsprechend bei der o.g. Fallgruppe „bei mindestens dreijähriger gemeinsamer Berufsausübung bzw. Anstellungn“.

Ablehnung der Nachbesetzung aus Versorgungsgründen

Wann also lehnt der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung „aus Versorgungsgründen“ ab? Das Ermessen bei seiner Entscheidung ist zwar in Richtung einer Ablehnung gesteuert („soll ablehnen“). Aber es sind auch positive Versorgungsgründe zu berücksichtigen wie zum Beispiel:

  • besonderer lokaler Versorgungsbedarf
  • besonderer qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf
  • Mitversorgungsaspekte
  • Versorgungsbedürfnisse von Menschen mit Behinderung
  • Erhalt der Versorgung durch ein MVZ oder eine Berufsausübungsgemeinschaft

Dagegen liegen „negative Versorgungsgründe“ vor, wenn die Praxis keine relevante Rolle bei der Versorgung mehr spielt und damit nicht mehr versorgungsrelevant ist. Die Praxis ist dann nicht mehr versorgungsrelevant, wenn keine nennenswerte Fallzahl („Scheine“/Patienten) mehr vorhanden ist; die Praxis somit erheblich unter dem Fachgruppendurchschnitt liegt.