Recht

Wie lange ist man berufsunwürdig? 77-jähriger muss nach 33 Jahren nun seine Approbation bekommen

Ein vorsätzliches Tötungsdelikt im privaten Rahmen kann im Approbationsverfahren nach dessen Tilgung aus dem Bundeszentralregister nicht mehr entgegengehalten werden. Ein inzwischen 77-jähriger muss nun seine Approbation erhalten.

Am 13. Dezember 1985 erschoss der Kläger mit einer Schrotflinte den Freund seiner ehemaligen Freundin und fügte dieser mit dem Gewehr eine Trümmerfraktur des Nasenbeins sowie Wunden an Nase und Wangen zu. Sein anschließender Versuch, sich selbst das Leben zu nehmen, ging fehl. Die Sachverständigen berichteten von einer narzisstischen Persönlichkeit mit schizoiden Zügen und grandiosen Überhöhungstendenzen des Klägers.

1989 bestand der Kläger die ärztliche Prüfung und beantragte 1990 erstmalig die Approbation als Arzt. Der Antrag wurde abgelehnt, Eilanträge und Klage des Klägers blieben ohne Erfolg. 1997 beantragte der Kläger erneut die Erteilung der Approbation als Arzt, welche ihm wiederum versagt wurde. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (VG Hannover, Urteil vom 2.3.1999 – 5 A 1471/98 -). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht bestätigte (3. Juni 1999 – 8 L 1794/99), dass aus den vom Kläger im Dezember 1985 begangenen Straftaten die Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes folge. Wer wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bestraft wurde, sei grundsätzlich auf Lebenszeit unwürdig, den Arztberuf auszuüben.

Im Jahr 2000 wurde gegen den Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen festgesetzt. 2005 wurde gegen den Kläger wegen Körperverletzung eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen festgesetzt.

Immer wieder beantragte der Kläger erneut die Erteilung der Approbation als Arzt. Das Verwaltungsgericht Hannover urteilte im Jahr 2009, dass die Approbationserteilung wegen fortbestehender Unwürdigkeit zu Recht versagt wurde (Urteil vom 19.8.2009 – 5 A 3940/08). Unter Berücksichtigung der weiteren Verurteilung wegen Körperverletzung, wofür die Tilgungsfrist zehn Jahre beträgt, trete die Tilgung sämtlicher Eintragungen nicht vor Ablauf des Jahres 2015 ein. Den dagegen erhobenen Berufungszulassungsantrag lehnte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ab. Ein erneuter Antrag des Klägers auf Erteilung der Approbation wurde mit Bescheid 2019 abgelehnt. Das dagegen gerichtete Klageverfahren wurde eingestellt, nachdem der Kläger das Verfahren nicht weiter betrieb (5 A 798/19).

2021 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Erteilung der Approbation als Arzt. Dies wurde nach Rücksprache mit dem Ministerium für Soziales Niedersachsen erneut abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein angehender Arzt, der wegen eines solchen Tötungsdelikts bestraft werden musste, grundsätzlich auf Lebenszeit unwürdig sei, den Arztberuf auszuüben. Erschwerend kämen die beiden Verurteilungen aus dem Jahr 2000 und 2005 hinzu, die erkennen ließen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, die auferlegten Verbote abstrakt gefährlichen Verhaltens einzuhalten, und die körperliche Integrität einer anderen Person missachtet und dieser willentlich Schaden zugefügt habe. Die Verurteilungen seien auch weiterhin verwertbar, da das Landgericht Hannover bereits festgestellt habe, dass die bewusste Zerstörung fremden Lebens mit dem Arztberuf prinzipiell unvereinbar sei und ein wegen vorsätzlichen Totschlags verurteilter Arzt daher grundsätzlich auf Lebenszeit unwürdig sei. Selbst bei Vorliegen eines grundsätzlichen Verwertungsverbots dürften die Verurteilungen berücksichtigt werden, da sich aus der bewussten Zerstörung fremden Lebens und der beiden anderen Verurteilungen zeige, dass der Kläger nicht in der Lage sei, die auferlegten Verbote abstrakt gefährlichen Verhaltens einzuhalten. Diese Umstände wögen in ihrer Gesamtschau so schwer, dass eine Ausnahme von der wegen der begangenen Straftaten indizierten dauernden Unwürdigkeit nicht möglich sei.

Der Mediziner erhob dagegen Klage. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Verurteilung im Bundeszentralregister getilgt sei. Es dürften keine gelöschten Eintragungen herangezogen werden. Mittlerweile sei die Aufnahme des Arztberufes aus Altersgründen faktisch ausgeschlossen – seit 2012 bekommt er eine Altersrente.

Exkurs: Wie lange ist man unwürdig?

Die Würdigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen richterlichen Nachprüfung unterliegt. Dabei ist eine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO anzunehmen, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen nicht besitzt oder dieses nicht erreichen kann. Es kommt dabei darauf an, ob ein bestimmtes Fehlverhalten, das nicht im Zusammenhang mit der (angestrebten) Ausübung des Berufs stehen muss, mit der Vorstellung in Übereinstimmung gebracht werden kann, die die Allgemeinheit mit der Einschätzung einer Arztpersönlichkeit und dem ärztlichen Berufsbild verbindet. Die Achtung und der umfassende Schutz der menschlichen Gesundheit sowie des menschlichen Lebens gehören zum Kernbereich des ärztlichen Berufsbildes und sind maßgebliche Bestandteile für das ärztliche Ethos. Mit diesem Berufsbild lässt sich die vorsätzliche, gewaltsame Tötung eines Menschen in keiner Weise vereinbaren.

In der Rechtsprechung ist weiter geklärt, dass eine Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes die Approbationserteilung nicht auf ewig verhindern oder ihre Wiedererteilung ausschließen kann. Dieser Gedanke erscheint für den Bereich der Wiedererteilung der Approbation auch in § 8 Abs. 1 BÄO und entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Inhalt und Grenzen des Geltungsbereiches des Art. 12 GG. Die Frage, nach welchem (bestimmten) Zeitablauf ein angehender Arzt, dem § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO entgegengehalten wird, wieder als würdig oder als hinreichend zuverlässig zur Ausübung des ärztlichen Berufs anzusehen ist, wird von der Bundesärzteordnung nicht beantwortet und ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung zur Unzuverlässigkeit eines Arztes (Beschluss vom 16. Juli 1996 – BVerwG 3 B 44.96 -).

Verwaltungsgericht: Verurteilungen können dem Mediziner nicht mehr vorgehalten werden

Die Straftat bzw. die Verurteilung aus dem Jahre 1986 können dem Kläger nicht mehr vorgehalten werden, da diese getilgt ist und gem. § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr verwertet werden darf, urteilte nun das Verwaltungsgericht. Danach dürfen eine Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung im Bundeszentralregister über eine strafgerichtliche Verurteilung getilgt worden oder zu tilgen ist. Die Straftaten des Klägers sind Ende 2015 getilgt worden.

Nach § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG darf die frühere Tat abweichend von § 51 Abs. 1 BZRG zwar weiter berücksichtigt werden, wenn die betroffene Person (u. a.) die Zulassung zu einem Beruf beantragt, falls die Zulassung, Einstellung oder Erteilung der Erlaubnis sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Eine solche Gefahrergebe sich aber nicht schon aus dem hohen Alter und der fehlenden praktischen Erfahrung des Klägers, der das Medizinstudium erst nach der Verurteilung abgeschlossen und den Arztberuf nie ausgeübt hat.

Das Verwaltungsgericht kann bei Erteilung der Approbation bei realistischer Betrachtung der Umstände faktisch keine schweren Gefahren für einen größeren Personenkreis erkennen: Der Kläger hat im Klageverfahren selbst ausgeführt, dass die Aufnahme einer ärztlichen Tätigkeit in seinem Alter faktisch ausgeschlossen ist. Der Nutzen der Approbation wird sich daher darauf beschränken, dass er sich als approbierter Arzt bezeichnen darf und für sich selber Medikamente und Rezepte verschreiben bzw. ausstellen darf. Ein tatsächlicher Kontakt mit Patienten ist – außer in einem privaten Rahmen – kaum zu erwarten. Dazu trägt auch bei, dass neben den inhaltlichen Anforderungen an eine kassenärztliche Zulassung auch als Arzt für Privatpatienten u. a. eine Berufshaftpflichtversicherung, Kammerbeiträge und Versorgungsbeiträge zu entrichten wären. Das Gericht kann nicht erkennen, dass der Kläger schon diese finanziellen Anforderungen wird erfüllen können und wollen. Den Erwerb einer bestehenden Praxis erachtet das Gericht als fernliegend.

Verwaltungsgericht Hannover, 21.06.2023 – 5 A 5999/21
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