Hätten Sie‘s gewusst? – Arzt muss Komplikationen bei Piercing-Patienten der Krankenkasse melden

von Rosemarie Sailer, LL.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Wienke & Becker – Köln, www.kanzlei-wbk.de

Wer einen gewissen Körperkult pflegt und seine Haut mit Metall verziert sehen will, kann diesem Bedürfnis beinahe an jeder Straßenecke nachgehen. Piercing-Studios bieten an, Zunge, Ohrläppchen oder andere Körperteile durchzustechen und zu „verschönern“. Daneben gibt es auch das Branding (Verbrennungen), das Spalten der Zunge oder das Einbringen von Implantaten unter die Haut. Was muss der Arzt eigentlich beachten, wenn sich aufgrund solcher „Behandlungen“ Komplikationen einstellen und sich ihm ein Piercing-Patient zur Behandlung vorstellt? 

Hygiene bleibt oft auf der Strecke

Da so gut wie keine hochsensible Körperregion verschont bleibt und so mancher Piercer es bei der Hygiene nicht so genau nimmt, sind Entzündungen und Infektionen oft die Folge. Doch muss der Piercer den Kunden vor dem Eingriff aufklären? Und wer trägt z. B. die Behandlungskosten, wenn ein Piercing-Patient wegen Komplikationen behandelt werden muss?

Aufklärung und Einwilligung

Das Durchstechen von Körperteilen stellt ohne Zweifel eine rechtswidrige Körperverletzung dar. Sie ist nur dann gerechtfertigt, wenn der Verletzte zuvor einwilligt. Allein die Zustimmung des Kunden stellt dabei aber noch keine wirksame Einwilligung dar, so das Oberlandesgericht Nürnberg mit Urteil vom 28.09.2006 (Az. 2 U 1145/06). Wirksam ist die Einwilligung nur, wenn der Betroffene in der Lage ist, die Risiken des Eingriffs zu erkennen und Nutzen und Schaden gegeneinander abzuwägen. Hierzu ist ein Laie von sich aus in der Regel nicht in der Lage.

Somit gelten beim Piercing die gleichen Maßstäbe wie bei der ärztlichen Behandlung, sodass gerade bei Eingriffen, die nur kosmetischen oder dekorativen Zwecken dienen, ganz besonders deutlich auf die Nebenfolgen hinzuweisen ist. Der Piercer ist daher verpflichtet, seine Kunden vor dem „Eingriff“ umfassend über die damit verbundenen Risiken und mögliche Komplikationen aufzuklären.

PRAXISHINWEIS | Minderjährige können selbst nicht einwilligen, aber auch die Einwilligung der Eltern begegnet rechtlichen Bedenken: Da es sich bei Piercings um Verletzungen ohne medizinische Indikation handelt, kollidiert eine Einwilligung der Eltern mit deren Pflicht nach § 1627 BGB, ausschließlich zum Wohl des Kindes zu handeln, was freiwillige Verletzungen ausschließt. Streng rechtlich gesehen dürfen daher Piercings nur an Volljährigen durchgeführt werden.

Behandlungskosten bei Auftreten von Komplikationen

Sofern sich der Behandlungsbedarf aus einer nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing ergibt, hat die Krankenkasse nach § 52 Abs. 2 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) den Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen. Hat sich also das Risiko einer Komplikation in Form einer Infektion oder Entzündung nach einem Piercing realisiert, muss der Arzt der gesetzlichen Krankenkasse dies melden – § 294a Abs. 2 SGB V sieht dies ausdrücklich vor.

Was genau ist Piercing?

Im Klinikalltag stellt sich daher die Frage, was genau ein Piercing eigentlich ist? Beim Piercing handelt es sich um das Herstellen künstlicher Körperöffnungen zum Anbringen von Ringen oder anderen Schmuckgegenständen. Auch das Durchstechen der Ohrläppchen ist demnach Piercing. Vom Wortlaut des § 52 Abs. 2 SGB V wird vergleichbarer Körperschmuck – Spalten der Zunge, Brandings, tiefe Hautschnitte etc., die möglicherweise sogar ein ungleich höheres Komplikationsrisiko mit sich bringen – jedoch nicht erfasst.

Krankenkassen entscheiden

In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter vom 28.03.2012 – Drucksache 17/9213 – führt diese dazu aus, dass die Krankenkassen letztlich die Begriffe „Piercing“ und „ästhetische Operation“ weit auslegen und hierunter allgemein jeden Eingriff fassen könnten, der ohne medizinische Indikation und auf Wunsch des Patienten dessen Erscheinungsbild verändere („wunscherfüllende Medizin“). Grundsätzlich können daher auch sonstige Körpermodifikationen vom Anwendungsbereich des § 52 Abs. 2 SGB V erfasst werden – die Krankenkassen entscheiden hier.

PRAXISHINWEIS | Für den Arzt bedeutet dies, dass er sich bei der Meldung an die Krankenkasse auf Komplikationen im Zusammenhang mit echten Piercings beschränken kann, da ihm nicht die Entscheidungskompetenz darüber zusteht, welche Eingriffe als vergleichbar anzusehen sind.

Inwieweit die Krankenkassen tatsächlich einen Teil der Kosten auf den Versicherten abwälzen, ist nicht bekannt. Jedoch sind den Außenauftritten der Kassen keine Hinweise auf solche Leistungsbeschränkungen zu entnehmen, sodass die praktische Relevanz des § 52 Abs. 2 SGB V eher gering sein dürfte.

Ausblick

Da es bislang keine einheitliche Regelung für das Betreiben eines Piercing-Studios gibt, verwundert es nicht, wenn die Betreiber bzw. das Personal nur selten über medizinische (Grund-) Kenntnisse verfügen. Auch kann ein Laie nur schwer beurteilen, ob der Piercer mit der Nadel möglicherweise einen Nerv oder Akupunkturpunkt trifft, was weitreichende Folgen haben kann.

Stellt sich ein gepiercter Patient zur Behandlung vor, sollten Sie eine Meldung veranlassen, wenn Komplikationen des Piercings behoben werden sollen. Was dann die Krankenkasse mit der Meldung macht, ist ihre Sache.