Haftungsurteil zur Aufklärungspflicht bei unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten

von Dr. Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de

Gibt es verschiedene Operationstechniken, deren Chancen und Risiken aber nahezu identisch sind, muss der Patient hierüber nicht initiativ aufgeklärt werden. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit Urteil vom 22. Juli 2015 entschieden (Az. 5 U 758/14, Abruf-Nr. 186671 ). Doch müssen Patienten vom Klinikarzt ungefragt über sonstige Behandlungsalternativen aufgeklärt werden? 

Der Fall vor dem OLG Koblenz

Am OLG Koblenz ging es um eine neurochirurgische Behandlung. Der Patient hatte sich mit Gangstörungen und Kribbelparästhesien vorgestellt und ein CT der Halswirbelsäule überreicht. Daraus ergab sich der Befund einer zervikalen Spinalkanalstenose mit Zeichen einer Myelopathie. Dem Patienten wurde zu einer OP geraten, die dann auch durchgeführt wurde.

Der behandelnde Neurochirurg nahm eine ventrale Vertebrektomie bei C 5 unter Einbringung eines Wirbelkörperersatzes aus Kunststoff vor, um den Spinalkanal zu entlasten. Kurzzeitig verbesserten sich die Beschwerden, anschließend wurden sie jedoch chronisch. Letztlich war der Patient auf den Rollstuhl angewiesen, da eine anhaltende Hemiparese mit Kraft- und Koordinationsminderungen sowie sensorischen Ausfällen einherging. Störungen der Blasen- und Darmentleerung kamen hinzu.

Die Entscheidung des OLG Koblenz

Das Gericht folgte dem Ansinnen des Patienten nicht, wonach der Arzt bei der Durchführung der Operation einen Behandlungsfehler begangen habe. Ein solcher Fehler bei der OP sei – auch nach Ansicht des Sachverständigen – nicht erkennbar. Somit verwarfen die Richter die Klage des Patienten.

Vertebrektomie vs. Laminoplastie oder Laminektomie

Auch die vom Patienten erhobene Aufklärungsrüge wies das Gericht zurück. Zwar wäre es nach Ansicht des Sachverständigen auch möglich gewesen, anstelle der ventral vorgenommenen Vertebrektomie alternativ über einen dorsalen Ansatz eine Laminoplastie oder eine Laminektomie durchzuführen. Aus den verschiedenen Operationsmethoden hätten sich aber keine relevanten Unterschiede im Hinblick auf Risiken, Chancen und Beeinträchtigungen sowie Effizienz des operativen Vorgehens ergeben – so der Sachverständige.

Da es zwischen den genannten OP-Techniken somit keine wesentlichen Unterschiede gab, habe man den Patienten nicht initiativ über die möglichen verschiedenen OP-Techniken aufklären müssen – so das Gericht.

Aufklärungsfehler: ja – Haftung des Arztes: nein

Mit Blick auf einen anderen Aspekt beurteilte das Gericht die Aufklärung aber tatsächlich als fehlerhaft: Der Patient sei nicht hinreichend deutlich darüber aufgeklärt worden,

  • mit welchen Risiken der Eingriff verbunden und
  • dass ein umfassender Erfolg nicht garantiert sei.

Dieser Aufklärungsfehler wirke sich aber nicht aus, da der Patient in seiner Klage keinen sogenannten echten Entscheidungskonflikt dargelegt habe. Daher liege eine hypothetische Einwilligung des Patienten vor. Im Ergebnis sah das OLG somit zwar einen Aufklärungsfehler, der jedoch nicht zur Haftung des beklagten Arztes führte.

Muss der Arzt auf Behandlungsalternativen hinweisen?

Es ist generell Sache des Arztes, die richtige Behandlungsmethode auszuwählen. Er muss den Patienten nicht aufklären über einzelne Behandlungstechniken oder z. B. die Wahl des Zugangs zum Operationsgebiet. Es besteht auch keine Aufklärungspflicht, wenn Chancen und Risiken der unterschiedlichen Behandlungsmethoden etwa gleichwertig sind. Wenn aber die andere Methode geringere Risiken und/oder höhere Erfolgschancen bietet und somit eine „echte“ Alternative ist, muss der Arzt den Patienten hierauf hinweisen – auch ohne dessen explizite Nachfrage.

Der Arzt muss in den nachfolgenden Beispielsfällen den Patienten initiativ aufklären:

  • Eine OP-Indikation besteht zwar, die Operation ist jedoch nicht dringend und kann daher aufgeschoben werden.
  • Eine operative Intervention verspricht wesentlich höhere Erfolgschancen als eine konservative Behandlung.
  • Zu einem Erkrankungsbild existieren unterschiedliche diagnostische oder therapeutische Ansätze. Der Arzt muss dies erläutern und gemeinsam mit dem Patienten das Pro und Contra abwägen, sodass dieser eine echte Wahlmöglichkeit hat.

PRAXISHINWEIS | Gerade wenn es um echte Behandlungsalternativen geht, sollten Sie als Oberarzt den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zu Beweiszwecken zumindest im Groben schriftlich dokumentieren. Im Rahmen eines solchen präoperativen Gesprächs sind handschriftliche Ergänzungen im Aufklärungsbogen sinnvoll, da sie den individuellen Charakter des Aufklärungsgesprächs belegen. Obacht bei neuartigen Behandlungsmethoden! Hier gelten besondere Anforderungen. Vor- und Nachteile sowohl der althergebrachten als auch der neuen Methode müssen dem Patienten als Vergleich vor Augen geführt werden – und zwar „schonungslos“, wie es die Gerichte fordern. Die neuartige Behandlungsmethode darf also keinesfalls „schöngeredet“ werden.