Recht

Kann eine minimal beschäftigte Honorarärztin Wahlleistungen liquidieren?

Will man externe Ärzte fürs Krankenhaus gewinnen, muss man ihnen Geld anbieten. Nachdem der Bundesgerichtshof Honorarärzten die Abrechnung von Wahlleistungen im Jahr 2014 verboten hat, begannen die Kliniken, externe Ärzte in Teilzeit anzustellen und ihnen die Liquidationsrechte eines Wahlarztes (vulgo: „Chefarztbehandlung“) einzuräumen. Ob der betreffende Arzt in Vollzeit angestellt sein muss, oder ob eine Teilzeitbeschäftigung ausreicht, dazu schweigt das Gesetz. Das Amtsgericht Bielefeld meint nun: Vier Stunden pro Woche sind genug.

von Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin
www.christmann-law.de.

Die Erbringung von Wahlleistungen ist in § 17 KHEntgG recht detailliert geregelt. Zu Leistungen dieser Art gehören die wahlärztlichen Leistungen, die gerne auch als „Chefarztbehandlung“ bezeichnet werden. Für Honorarärzte bestimmt § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG:„Eine Vereinbarung über wahlärztliche Leistungen erstreckt sich auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten angestellten oder beamteten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen im Rahmen der vollstationären und teilstationären sowie einer vor- und nachstationären Behandlung (§ 115a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) berechtigt sind, einschließlich der von diesen Ärzten veranlassten Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses; darauf ist in der Vereinbarung hinzuweisen“.

Der Fall

Eine Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie ist im Klinikum mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von durchschnittlich vier Stunden angestellt und erbringt dort auch Wahlleistungen mit eigenem Liquidationsrecht. Die Klinik räumte der Ärztin ein Recht zur privaten Liquidation ein. Leistungsfunktionen hat die Ärztin nicht inne. Die Fachärztin ist zudem in eigener Praxis ambulant tätig.

Eine Patientin, die auch bereits ambulant durch die Klägerin betreut wurde, ließ sich im Klinikum behandeln und unterzeichnete vor Beginn der Behandlung eine Wahlleistungsvereinbarung, wonach sie für die Operation ein Entgelt nach GOÄ zu zahlen habe.. Alle Behandlungsleistungen wurden persönlich durch die Fachärztin lege artis erbracht. Die Kosten für die Behandlung in Höhe von 2.135,62 € wollte die Patientin nicht zahlen. Sie ist der Meinung, nur leitende Ärzte könnten Wahlleistungen abrechnen. Die Fachärztin sei auch nicht in den stationären Ablauf der Klinik A eingebunden. Die ganze Konstruktion diene nur der Umgehung gesetzlicher Vorschriften: Ein Angestelltenverhältnis sei mit den jeweiligen Fachärzten nur zu dem Zweck begründet worden, dass diese eine Eigenzuweisung ihrer Patienten in die Klinik vornähmen, in der sie dann selbst die jeweilige Operation durchführten. Ein solches Vorgehen sei unzulässig und stelle einen Verstoß gegen das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt (§ 31 (Muster-)Berufsordnung Ärztinnen und Ärzte) dar, so dass die Wahlleistungsvereinbarung nichtig sei.

Die Entscheidung

Das Amtsgericht Bielefeld entschied, dass die getroffene Wahlleistungsvereinbarung wirksam und die Klägerin berechtigt sei, Wahlleistungen abzurechnen. Dabei stützte sich das Gericht auf den Wortlaut von § 17 Abs. 3 Satz 1 KHEntG: Die Anforderungen des § 17 Absatz 3 KHEntG seien erfüllt: Die Ärztin sei in der Klinik angestellt und habe von der Klinik ein Liquidationsrecht eingeräumt erhalten. Dieses Liquidationsrecht werde üblicherweise nur entsprechend qualifizierten Ärzten erteilt. Das Vertrauen der Patienten auf die besondere Erfahrung und Kompetenz des (Wahl-)Arztes werde dadurch geschützt, dass eben nur angestellte und beamtete Ärzte mit eingeräumten Liquidationsrecht als Wahlarzt tätig werden können. Weitergehende Anforderungen, wie etwa eine Mindeststundenzahl oder eine Leitungsfunktion, bestünden nicht. Auch einen Verstoß gegen das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt sieht das Amtsgericht nicht.

Praxisanmerkung von Christiane Beume, Rechtsanwältin bei BDO – www.bdolegal.de

Kooperationsmodelle der vorliegenden Art sind in der Praxis längst keine Besonderheit mehr, auch nicht die ablehnende Haltung der zuständigen Kostenträger, die eine „Leitungsfunktion“ verlangen und eine solche bei in Teilzeit angestellten Ärzten verneinen. Insofern ist das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld für die Seite der Behandler zumindest hilfreich, wenngleich nicht unerwähnt bleiben soll, dass angesichts der wenig vertieften Argumentation des Gerichts, die allein auf den Wortlaut des Gesetzes abstellt, die rechtliche Diskussion kaum beendet ist.

Praxisanmerkung von Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin/Heidelberg – www.christmann-law.de

Die Kliniken leiden unter dem Ärztemangel und der Kostenlast. Sie können oft nicht genügend Ärzte anstellen, um die gewünschten medizinischen Fachbereiche abzudecken und die entsprechenden medizinischen Leistungen anzubieten bzw. vorzuhalten. Daher greifen sie auf externe Ärzte zurück. Für externe Ärzte lohnt sich die Zusammenarbeit nur, wenn sie dafür entsprechend entlohnt werden. Den Kliniken fehlt aber das Geld, diese externen Ärzte angemessen zu bezahlen. Zuerst haben die Kliniken daher mit den externen Ärzten Honorararztverträge geschlossen, die es den externen Ärzten gestattete, die Klinikpatienten in der Klinik zu behandeln und dann privat mit den Klinikpatienten als Wahlarztleistungen (vulgo: Chefarztbehandlung) abzurechnen. Der Bundesgerichtshof hat dem im Jahr 2014 einen Riegel vorgeschoben (BGH, Urteil vom 16.10.2014 – III ZR 85/14). In Reaktion auf dieses Urteil stellen die Kliniken nun die Ärzte geringfügig an und räumen ihnen Liquidationsrechte ein, so dass diese dann mit den Patienten Wahlleistungsvereinbarungen schließen und nach GOÄ privat abrechnen können.

Der Bundesgerichtshof hat 2014 klar gestellt: Der Patient schließt eine Wahlarztvereinbarung im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes (Chefarztbehandlung“), die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Bezahlung einer gesonderten Vergütung sichern will. Dem Patienten geht es also darum, sich über den Facharztstandard hinaus, der bei der Erbringung allgemeiner Krankenhausleistungen ohnehin geschuldet ist, die Leistungen hochqualifizierter Spezialisten „hinzuzukaufen“. Diese, ein zusätzliches Entgelt erst rechtfertigende herausgehobene ärztliche Qualifikation („Chefarztstandard“) kann nicht bei allen Honorarärzten von vornherein gleichsam „automatisch“ angenommen werden. In diesem Zusammenhang wird in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass die Berechnung eines gesonderten Entgelts für wahlärztliche Leistungen grundsätzlich in Frage gestellt würde, wenn die Leistungen gewissermaßen „jeder“ Honorararzt berechnen könnte, und zwar auch dann, wenn er nur den bei allgemeinen Krankenhausleistungen geforderten Facharztstandard leistet (BGH, Urteil vom 16.10.2014 – III ZR 85/14 m.w.N.).

Ob die Fachärztin die vom BGH geforderte „herausgehobene ärztliche Qualifikation („Chefarztstandard“)“ besitzt, prüfte das Amtsgericht nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass eine niedergelassene Orthopädin diese besondere Kompetenz aber gerade nicht besitzt. Denn es ist nichts dafür dargetan, dass die Klägerin etwa besondere Operationskenntnisse besitzt, Lehrtätigkeiten innehat, Fachbeiträge veröffentlicht, hohe jährliche Operationszahlen erbringt oder etwa medizinische Fachgremien leitet. Es ist also nicht erkennbar, inwiefern sie eine Leistung erbringt, die „über dem Facharztstandard liegt“ (BGH a.a.O.). Das Amtsgericht lässt sich hier von der Einräumung des Liquidationsrechtes für die Klägerin blenden und versäumt zu prüfen, ob sich die Klägerin ein Liquidationsrecht durch besondere fachliche Leistungen und Kompetenzen verdient hat. Insofern ist die Entscheidung des AG Bielefeld bereits deshalb inhaltlich falsch. Die Klage hätte schon aus diesem Grund als unbegründet abgewiesen werden müssen.

Das Amtsgericht beschäftigt sich auch nicht mit der Frage, ob eine externe Ärztin, die sich lediglich verpflichtet, vier Stunden in der Woche in einer Klinik tätig zu sein, „angestellt“ ist im Sinne des § 17 Absatz 3 KHEntG. Eine Anstellung ist dem Wortsinn nach eine feste und auskömmliche Beschäftigung. Regelmäßig ist die Anstellung die Haupttätigkeit eines Arbeitnehmers. Eine Anstellung erfordert dem Wortsinn nach auch ein Arbeitsverhältnis, das heißt eine weisungsgebundene Tätigkeit, bei der der Arbeitnehmer in den Ablauf des Betriebs des Arbeitgebers eingebunden ist. Die klagende Ärztin hat dagegen eine eigene Praxis. Sie hält sich laut ihrem Dienstvertrag lediglich vier Stunden pro Woche in der Klinik A auf. Wer nur vier Stunden die Woche anwesend ist, ist selbstverständlich in keinen Dienstplan und in keine stationären Arbeitsabläufe eingebunden. Man kann hier nicht von einer Arbeitnehmerin reden, vielmehr ist die Klägerin nach eigenem Gutdünken als eine Art freie Ärztin in der Klinik tätig, um dort den Operationssaal nach Absprache zu nutzen. Bei einer vierstündigen Tätigkeit kann man auch nicht von einer auskömmlichen Tätigkeit oder gar von einer Haupttätigkeit sprechen, zumal die Klägerin ja eine eigene Praxis besitzt, die ihre Hauptarbeitsleistung bindet.

Die von der Ärztin und der mit ihr kooperierenden Klinik gewählte Konstruktion ist lediglich für die Behandlungsseite von Vorteil. Der gesetzlich versicherte Patient dagegen erhält lediglich eine Standardbehandlung, für die er aber aus eigener Tasche bezahlen muss. Dies ist mit dem von § 17 Abs.3 Krankenhausentgeltgesetz gewollten Schutz des Patienten nicht vereinbar.

Amtsgericht Bielefeld 21.05 .2021 – 406 C 131/20; rechtskräftig.

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https://www.bdolegal.de/de-de/insights/newsletter/legal-news_gs_april_2022/kann-ein-in-teilzeit-beschaftigter-arzt-wahlarzt-sein