Prof. Dr. med. Alexander Schachtrupp: „Jeder Oberarzt ist eine Führungsfigur“

Die fachliche Qualität der Oberärzte ist meist sehr gut. Doch bei den „Soft Skills“ sieht es manchmal anders aus. Wie also gelingt es Oberärzten, Gespräche souverän zu führen, neue Prozesse zu implementieren und die Assistenzärzte in ihrer Abteilung überzeugend anzuleiten? OH Oberarzt heute sprach mit Prof. Dr. Alexander Schachtrupp. Er ist Geschäftsführer der B.Braun-Stiftung, die ein spezielles Programm für Ärzte eingerichtet hat, um diese „Skills“ zu trainieren. Das Interview führte Dr. Lars Blady.

Dr. Lars Blady (Redakteur): Herr Prof. Schachtrupp, mit Ihrem Programm „Expertise in Leadership“ sprechen Sie Klinikärzte an, damit diese ihre „Soft Skills“ verbessern. Welche Oberärzte sollten sich hierauf bewerben?

Prof. Dr. Alexander Schachtrupp: Der Oberarzt sollte sich dann bewerben, wenn er bereit ist, Führungsaufgaben in der Klinik zu übernehmen. Eine Führungsfigur ist er ohnehin schon wegen seines Status. Im Studium werden jedoch kaum die wichtigen „Soft Skills“ vermittelt, die für Führungsaufgaben nötig sind. Und in der Praxis gelingt nicht immer der Blick über den Tellerrand. Diese Lücke wollen wir mit dem Programm schließen.

Redakteur: Welche nicht-medizinischen Fähigkeiten sind die wichtigsten, damit der Oberarzt den Führungsaufgaben gewachsen ist?

Prof. Schachtrupp: Wichtig ist zunächst das strategische Denken: Warum benötigt der Oberarzt eine Strategie, warum die Abteilung, warum das gesamte Krankenhaus? Zudem muss eine Führungskraft gut kommunizieren können. Das betrifft nicht nur die rollenspezifische Kommunikation, die man vielleicht im Studium lernt; entscheidend sind auch die non-verbalen Signale und die Gruppendynamik, die bei der Kommunikation entsteht.

Redakteur: Warum muss der Oberarzt gruppendynamische Prozesse kennen? Erfährt er diese nicht täglich – manchmal leidvoll – auf seiner Station?

Prof. Schachtrupp: Die Tätigkeit des Oberarztes läuft heute vielfach über Teams, er muss also interagieren. In unserem Programm lassen wir Ärzte konkrete Probleme in der Gruppe lösen. Dabei wird ihnen auch gespiegelt, wie sie innerhalb der Gruppe wirken. Da man bei diesen Fällen außerhalb des üblichen Kontextes der Klinik mit Chefarzt, Kollegen und Assistenten agiert, können sich die Teilnehmer auch öffnen und z. B. Fehler zugeben.

Redakteur: Sind an Ihrem Stipendium „Expertise in Leadership“ nur Ärzte beteiligt, oder können z. B. auch Pflegekräfte teilnehmen?

Prof. Schachtrupp: Bisher hatten wir getrennte Programme für Ärzte und Pflegekräfte. Im letzten Jahr hatten wir beide Gruppen erstmals gemeinsam eingeladen, was vor allem bei der Gruppenarbeit hervorragend harmonierte. Somit überlegen wir von der B.Braun-Stiftung, ein gemeinsames Programm für Ärzte und Pflegekräfte zu entwickeln.

Redakteur: … und was ist mit dem Klinik-Management?

Prof. Schachtrupp: Klinik-Manager bilden die Sparringspartner für die Gruppenarbeiten. Die Ärzte müssen die Lösungen ihrer Gruppenarbeiten vor den Managern „verteidigen“ und lernen dabei, nicht nur die Fragen zu kennen, die aus dieser Richtung kommen, sondern auch zu argumentieren.

Redakteur: Sie sorgen also dafür, dass Oberärzte kluge Köpfe werden. Müssen solchermaßen ausgebildete Oberärzte denn in der „Knochenmühle“ Krankenhaus bleiben – oder sind andere Jobs nicht attraktiver?

Prof. Schachtrupp: Meine Empfehlung: Sie sollten in der Klinik bleiben! Denn es gilt, dort die Prozesse zu verbessern. Wird im Krankenhaus mit Ressourcen effizienter umgegangen, bleibt wieder mehr Zeit für den Patienten. Und genau das ist es, was viele Ärzte wollen.

Redakteur: Besteht die Gefahr, dass die eingesparte Zeit nicht Ärzten und Patienten zugutekommt, sondern in Form von Stellenanpassungen versickert?

Prof. Schachtrupp: Die freiwerdende Zeit darf Ärzten und Patienten nicht einfach genommen werden. Das wäre auch kein vernünftiges Management. Stattdessen sollte die Zeit wertschöpfend eingesetzt werden, also z. B. beim Patienten oder für die Entwicklung der Mitarbeiter und Abläufe. Denn die Führungskräfte – also auch Oberärzte – müssen genügend Zeit haben z. B. für Führungszirkel und Strategiegespräche. Der Oberarzt ist nicht ein Arzt, der nur Stückzahlen liefert. Er sollte anstreben, auch selbst etwas zu erschaffen, quasi als Unternehmer. Er muss das Krankenhaus als großes und seine Abteilung als kleines Teil-Unternehmen hiervon begreifen. Hierfür braucht er zeitliche Freiräume, die ihm kluge Klinik-Manager einräumen.

Redakteur: Wenn das Krankenhaus als Unternehmen gesehen wird, legen Sie den Fokus vor allem auf die Ökonomie. Ist es nicht gerade das Problem im Klinikbereich, dass alle über Ökonomie reden, aber kaum jemand über Medizin?

Prof. Schachtrupp: Die Ökonomie ist nicht der Feind der Medizin. „Ökonomisierung“ wird oft als Kampfbegriff benutzt, aber das sollte man vermeiden. Was heißt denn ökonomisch handeln? Es heißt, Ressourcen sparsam und effizient einzusetzen. Gelingt dies nicht, müssen sich Ärzte umso mehr mit Organisationsfragen und Papierkram herumärgern. Erst wenn solche Dinge wirklich effizient organisiert sind, bleibt dem Arzt wieder mehr Zeit für den Patienten und die Medizin. In diesem Sinne könnte man tatsächlich sagen: „Unökonomisch ist unethisch!“

Weiterführender Hinweis

  • Auf der Website der B.Braun-Stiftung können Sie sich unter dem Reiter „Programme“ über „Expertise in Leadership – Klinikärzte“ informieren: www.bbraun-stiftung.de