Vom Facharzt zum Oberarzt: Wann sind die Kriterien nach dem TV-Ärzte erfüllt?
von Marc Rumpenhorst, Fachanwalt für Arbeits- und für Medizinrecht,Klostermann pp., Bochum, www.klostermann-rae.de
Während der vorige Beitrag beleuchtet hat, wann ein Oberarzt tarifrechtlich zum leitenden Oberarzt wird, geht es jetzt um eine Entgeltstufe tiefer: Wann hat der Facharzt (Entgeltgruppe II) einen Anspruch, zum Oberarzt (Gruppe III) aufzusteigen? Der Oberarzt leistet in der Klinik häufig die ärztliche Kärrnerarbeit. Allerdings ist der Schritt vom Facharzt zum Oberarzt ein beträchtlicher Sprung, legt man die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgelegten Tarifmerkmale zugrunde.
Wann ist man ein Oberarzt?
In der Praxis gibt es zahlreiche Fälle, in denen zweifelhaft ist, ob der Arzt als Facharzt oder als Oberarzt einzustufen ist. Nachfolgend einige Fälle, mit denen Sie Ihr Wissen testen können (Auflösung am Ende des Beitrags).
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Definition nach dem Marburger-Bund-Tarif
Sowohl nach den vom Marburger Bund verhandelten Tarifverträgen als auch nach den von den kirchlichen Trägern übernommenen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) ist der Oberarzt derjenige Arzt, „dem die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.“
Bei den für Universitätskliniken geltenden TV-Ärzte/TdL ist Oberarzt ferner „der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert.“
Wann aber ist ein Arzt „Facharzt mit entsprechender Tätigkeit“ (Entgeltgruppe II) oder eben Oberarzt mit medizinischer Verantwortung für selbstständige Teil- und Funktionsbereiche der Klinik? Hierbei kommt es darauf an, welche Tätigkeitsmerkmale der Arzt tatsächlich erfüllt, die er nach dem Anstellungsvertrag schuldet. Diese muss er in mindestens der Hälfte seiner Arbeitszeit erfüllen. Es genügt nicht, dass der Arzt in seinem Arbeitsvertrag als „Oberarzt“ bezeichnet wird.
Was sind Teil- oder Funktionsbereiche einer Klinik?
Wenn der Oberarzt nach der Definition des Marburger Bundes selbstständige Funktions- oder Teilbereiche der Klinik medizinisch verantwortet, so fragt sich, was dies genau ist: Funktionsbereiche sind nach der Weiterbildungsordnung definierte und anerkannte Spezialgebiete innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets, wie sie auch schon der Bundesangestelltentarif (BAT) kannte.
Schwieriger ist es, den „Teilbereich“ zu fassen. Ein selbstständiger Teilbereich einer Klinik im Sinne des Tarifvertrags ist nach Auffassung des BAG (Urteil vom 17.11.2010, Az. 4 AZR 188/09,) regelmäßig eine
- organisatorisch abgrenzbare Einheit innerhalb der übergeordneten Klinik bzw. Abteilung
- mit bestimmten Aufgaben, die eine eigene Zielsetzung verfolgen,
- mit eigener medizinischer Verantwortungsstruktur sowie
- mit eigener personeller, räumlicher und technischer Ausstattung.
Organisatorisch selbstständige Klinikbereiche
Ein Bereich ist organisatorisch selbstständig, wenn ihm auf unbestimmte Dauer sowohl „eigenes“ nicht-ärztliches und ärztliches Personal als auch eigene Räumlichkeiten und eine bestimmte sachliche Ausstattung zugewiesen sind, die nicht zugleich von anderen Einheiten genutzt werden. Ferner erfordert die „medizinische Verantwortung“ für den Teilbereich, dass dieser Organisationseinheit eine eigenständige Verantwortungsstruktur zukommt.
Schwierige Bestimmung in der Anästhesie
Problematisch ist die personelle, räumliche und sachliche Abgrenzung und Selbstständigkeit im Bereich der Anästhesiologie. Hier genügt es, wenn die Funktionen der den anderen Fachgebieten zugeordneten Teilbereiche der Anästhesiologie in den übrigen OP-Bereichen der Fachgebiete (z. B. HNO oder MKG-Chirurgie) einen festen Platz haben. Der spezifische Zweck dieser Teilbereiche erschließt sich dann aus den dort organisierten und der Klinik für Anästhesiologie zuzurechnenden medizinischen Dienstleistungen.
Medizinische Verantwortung und Verantwortungsstruktur
Die für den Teilbereich erforderliche Verantwortungsstruktur setzt voraus, dass der Bereich personell selbstständig ist. Mit anderen Worten: Ihm ist dauerhaft eigenes Personal zugeordnet, dem der Oberarzt als medizinisch Verantwortlicher vorsteht. Die medizinische Verantwortung für den Teilbereich beinhaltet damit nach Auffassung des BAG ein ungeteiltes Aufsichts- und ein – teilweise eingeschränktes – Weisungsrecht gegenüber dem medizinischen Personal. Diesem muss auch ein nach Entgeltgruppe II eingruppierter Facharzt angehören. Es bedarf eines „Mehr“ an Verantwortung im Vergleich zum Facharzt mit entsprechender Tätigkeit.
Verantwortung für fremdes ärztliches Handeln
Diese gesteigerte Aufsichts- und Weisungsbefugnis eines Oberarztes geht über die Verantwortung allein für eigenes ärztliches Handeln hinaus; sie muss sich auch auf fremdes ärztliches Tun im Rahmen der Patientenversorgung erstrecken. Medizinische Verantwortung heißt dabei, dass der Arzt gegenüber nachgeordneten, also weisungsgebundenen Ärzten, Aufsicht führt – also gegenüber mindestens einem Facharzt. Nicht nötig ist hingegen, dass der Oberarzt Personal- oder disziplinarische Weisungsbefugnisse hat.
Verantwortung muss vom Arbeitgeber übertragen sein
Die medizinische Verantwortung für einen Teilbereich muss durch den Arbeitgeber übertragen werden. Es gibt jedoch Einzelfälle, bei denen es sich der Klinikträger zurechnen lassen muss, wenn der klinikleitende Chefarzt die medizinische Verantwortung für einen Teilbereich übertragen hat – wenn nämlich der Klinikträger es dem Chefarzt überlässt, die Organisation seiner Klinik näher auszugestalten und auch Aufgaben personell zuzuweisen.
Verleihung des Titels „Oberarzt“
Die bloße Verleihung des Titels „Oberarzt“ oder die Teilnahme am oberärztlichen Hintergrunddienst begründet noch keinen Anspruch auf die Entgeltgruppe III. Eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag, nach der die eigenverantwortliche Leitung eines Funktionsbereichs übertragen wird, ist zwar für die Erfüllung des Tarifmerkmals „vom Arbeitgeber übertragen“ von Bedeutung, es kommt jedoch dann noch darauf an, dass die auszuübende Tätigkeit die Anforderungen der Definition „Oberarzt“ erfüllt. Insofern korrespondieren arbeitsvertraglich geschuldete und tatsächlich ausgeübte Tätigkeit.
Auflösung der Fallbeispiele
Nachfolgend sind die Lösungen der Fallbeispiele von Seite 4 dargestellt:
- Für Fall 1 hat das Arbeitsgericht Solingen entschieden, dass der Arzt die medizinische Verantwortung für einen Teilbereich trägt. Damit hat er Anspruch, nach dem TV-Ärzte/VKA in Entgeltgruppe III für Oberärzte eingeordnet zu werden (Urteil vom 23.1.2008, Az. 5 Ca 1112/07).
- Bei Fall 2 war der Arzt, der das elektrophysiologische Labor leitete, nach Auffassung des Arbeitsgerichts Heilbronn Oberarzt (Urteil vom 18.12.2007, Az. 5 Ca 290/07) – und dies, obwohl ihm kein Facharzt der Entgeltgruppe II zugeordnet war, was nach jüngerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine Voraussetzung für die Einstufung als Oberarzt ist.
- Im Fall 3 wurde der Arzt als Oberarzt eingestuft, da ihm die medizinische Verantwortung – auch gegenüber Fachärzten – für einen Teilbereich übertragen wurde (BAG-Urteil vom 9.12.2009, Az. 4 AZR 495/08).
- Der Arzt in Fall 4 ist kein Oberarzt, weil es für die medizinische Verantwortung eines Teilbereichs nicht genüge, das „Behandlungsregime“ innezuhaben (Arbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.4.2008, Az. 13 Sa 1910/07).