Verengung der Halsschlagader: Offene Operation in Lokalanästhesie ist der sicherste Eingriff
Rund jedem siebten bis zehnten Schlaganfall – das sind allein in Deutschland 20.000 bis 30.000 Fälle jährlich – liegt eine Carotisstenose (Verengung und Verkalkung der Halsschlagader) zugrunde. Ein Großteil dieser Carotis-bedingten Schlaganfälle ließe sich durch eine frühzeitige Diagnose und Therapie verhindern, meint die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG). Ist ein Eingriff erforderlich, erweist sich neuen Daten zufolge die offene Operation in Lokalanästhesie als erste Wahl – sie ist deutlich sicherer als ein Stent-Eingriff per Katheter.
Arteriosklerotische Veränderungen der Halsschlagader sind keine Seltenheit: Ablagerungen, die den Blutfluss um mindestens die Hälfte einschränken, finden sich bei rund 4 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Ab dem 65. Lebensjahr steigt die Häufigkeit allmählich bis auf 15 Prozent an. „Neben dem höheren Lebensalter zählen das Rauchen, Diabetes mellitus, hoher Blutdruck, erhöhte Blutfettwerte und das männliche Geschlecht zu den Risikofaktoren für eine Carotisstenose“, sagt Prof.Dr.med. Hans-Henning Eckstein, Direktor der Klinik und Poliklinik für Vaskuläre und Endovaskuläre Chirurgie am Universitätsklinikum rechts der Isar der TU München.
Dagegen senken eine ausgewogene Ernährung, ausreichende Bewegung, Nikotinverzicht und eine gute Kontrolle von Blutzucker, Blutfettwerten und Blutdruck das Stenoserisiko. „Diese Empfehlungen gelten auch, wenn bereits eine Carotisstenose diagnostiziert wurde“, betont der DGG-Experte, der die Arbeit an der aktuellen Leitlinie zur Behandlung und Therapie der Carotisstenose federführend koordiniert hat. „Zusätzlich sollte jedoch niedrigdosiertes Aspirin zur Vermeidung von Blutgerinnseln eingenommen werden“, sagt Eckstein. Bei Stenosen, die keine Symptome wie vorübergehende Sehstörungen, Sprechstörungen oder einseitige Lähmungen verursachen, kann dies bereits ausreichen, um das Risiko für einen Carotis-bedingten Schlaganfall auf bis zu 1 Prozent pro Jahr zu senken.
Ist die Halsschlagader jedoch hochgradig verengt oder zeigen sich Symptome, kann ein Eingriff erforderlich werden. Dabei stehen zwei unterschiedliche Techniken zur Verfügung, um den Blutfluss durch die Halsschlagader wieder zu verbessern und die Gefahr eines Schlaganfalls durch abgeschwemmte Plaque-Teile oder Blutgerinnsel zu verringern: Zum einen kann das Gefäß per Katheter aufgedehnt und mithilfe eines Stents abgestützt werden; zum anderen kann die Schlagader chirurgisch eröffnet und die Ablagerung ausgeschält werden. „Beide Techniken gehen mit einem geringen, im Einzelfall aber relevanten Schlaganfallrisiko während des Eingriffs einher, welches immer gegen die langfristigen Vorteile der Operation abgewogen werden muss“, erklärt Eckstein.
Systematische Auswertungen von randomisierten Studien belegen nun, dass die Ausschälung gegenüber dem Stent mit einem 50 Prozent geringeren Schlaganfallrisiko verbunden ist. „Damit ist das offen-chirurgische Verfahren sicherer und auch vom langfristigen Erfolg her überlegen“, sagt Eckstein. „Es ist der Goldstandard.“1 Sofern keine individuellen Gründe wie beispielsweise anatomische Besonderheiten dagegen sprechen, bleibt die Entfernung des Plaques für hochgradige asymptomatische und mittel- und hochgradige symptomatische Carotisstenosen die Methode der ersten Wahl.
Der Eingriff, für den nur ein kleiner Schnitt am Hals notwendig ist, sollte zudem bevorzugt in Lokalanästhesie vorgenommen werden. „Unter Lokalanästhesie besteht ein deutlich geringeres Operationsrisiko als unter Vollnarkose“, so Eckstein. Kürzlich veröffentlichte Daten aus seiner Klinik zeigen, dass sich durch den Verzicht auf die Vollnarkose das Behandlungsrisiko mehr als halbieren lässt; umgerechnet auf Deutschland ließen sich dadurch jährlich rund 100 schwere Operationszwischenfälle wie Schlaganfall oder Tod vermeiden.2 Grund: Während der Lokalanästhesie, einer Art Nervenblockade am Hals, bleibt der Patient wach und ansprechbar. „So können wir einen drohenden Schlaganfall früher erkennen und behandeln, auch die Blutdrucküberwachung ist einfacher“, erklärt Eckstein.
Um die für sie optimale Therapie zu erhalten, wenden sich Patienten daher am besten an Einrichtungen, die beide Eingriffsmethoden und beide Narkoseverfahren anbieten. „Darüber hinaus sollten strukturelle Bedingungen wie Stroke Unit und Neuroradiologie gegeben sein, aber auch eine 24-Stunden-Verfügbarkeit von Fachärzten und Bildgebungsverfahren“, sagt Professor Dr. med. Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie, Städtisches Klinikum Karlsruhe. Die aktuelle Leitlinie empfiehlt zudem eine Mindestmenge von 20 Operationen und 10 Stent-Eingriffen pro Jahr.3
Doch ob chirurgisch, endovaskulär oder medikamentös – Voraussetzung für eine zielgerichtete Behandlung ist eine frühzeitige Diagnose. „Das wichtigste Untersuchungsverfahren ist hier der farbcodierte Duplex-Ultraschall, mit dem sowohl der Blutfluss als auch die Gefäßwand beurteilt werden kann“, erläutert DGG-Experte Storck. „Menschen mit Risikofaktoren sollten diese Untersuchung einmalig vornehmen lassen, um arteriosklerotische Veränderungen entdecken und einem drohenden Schlaganfall vorbeugen zu können.“
1 Eckstein, HH., Kühnl, A. & Kallmayer, M. Wichtige Empfehlungen der deutsch-österreichischen S3-Leitlinie zum Management extrakranieller Karotisstenosen. Chirurg 93, 476–484 (2022). https://doi.org/10.1007/s00104-022-01622-x
2 Felix Kirchhoff, Hans-Henning Eckstein. Locoregional Anaesthesia and Intra-Operative Angiography in Carotid Endarterectomy: 16 Year Results of a Consecutive Single Centre Series. Eur J Vasc Endovasc Surg (2023) 65, 223e232 https://www.ejves.com/article/S1078-5884(22)00606-2/pdf
3 Storck, Martin: Struktur- und Qualitätsempfehlungen zur invasiven Behandlung der extrakraniellen Karotisstenose. Aktuel Kardiol 2022; 11: 142–146 DOI 10.1055/a-1693-2139
Mitteilung der der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) vom 13.03.2023